Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Leinentuch statt Sarg
Immer mehr Muslime wollen in Deutschland bestattet werden – Städte und Kommunen reagieren darauf und legen Grabflächen in Richtung Mekka an
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BERLIN (dpa) - Eigentlich sollte die Beisetzung längst begonnen haben. Doch auf dem Friedhof im Berliner Bezirk Spandau muss eine Trauergemeinde aus Bosniern warten. Unterschriften fehlen. Die Friedhofsverwaltung sei unsicher, ob das Grabfeld bereits bezahlt wurde. „Das ist reine Schikane“, sagt Isikali Karayel. Deutsche müssten nicht im Voraus bezahlen.
Der Berliner Bestatter Karayel hat sich auf muslimische Beerdigungen spezialisiert. Meistens laufe alles problemlos ab. Für Friedhofsverwaltungen sei es längst kein Problem mehr, dass er seine Toten im Leinentuch anstatt im Sarg unter die Erde bringt. Ansonsten störten sich seine Kunden aber auch nicht groß an einem Sargbegräbnis. „Im Islam ist lediglich vorgeschrieben, dass die Bestattung einfach sein muss. Ohne Schnickschnack – ob mit oder ohne Sarg.“
Laut dem Zentralrat der Muslime in Deutschland entscheiden sich Hinterbliebene immer häufiger dafür, Verstorbene in Deutschland beerdigen zu lassen. „Viele Muslime haben nur noch lose Verbindungen zu der Heimat ihrer Vorfahren“, sagt Sprecher Zakaria Said. Für die kommenden Jahre rechnet der Verein mit einer steigenden Zahl muslimischer Bestattungen. „Muslime leben mittlerweile in dritter Generation in Deutschland und die Zahl älterer Muslime ist steigend“, sagt Said. Nach den jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge lebten Ende 2015 mehr als vier Millionen Muslime in Deutschland. Ihr prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt damit etwas über fünf Prozent.
Richtung Mekka
Im multikulturellen Berlin hat sich die Zahl muslimischer Bestattungen innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt. Ließen sich im Jahr 2006 laut der Senatsverwaltung für Umwelt lediglich rund 170 Menschen auf muslimischen Grabfeldern beerdigen, waren es 2016 bereits mehr als 330. Auf fünf Friedhöfen wurden muslimische Gräber mit Ausrichtung nach Mekka geschaffen. Auf allen sind auch sarglose Bestattungen möglich.
Auch in anderen Bundesländern nehmen muslimische Bestattungen jährlich zu, wie eine bundesweite Recherche der Deutschen PresseAgentur ergab. So haben sich in Nordrhein-Westfalen Bestattungen nach islamischem Ritus von 2011 bis 2016 in nahezu allen größeren Städten verdoppelt. Ansteigende Zahlen gibt es auch in Baden-Württemberg und Hessen. In Frankfurt zum Beispiel ließen sich 124 Muslime im vergangenen Jahr bestatten. 2015 waren es noch 104.
Friedhof in Wuppertal
Den deutschlandweit ersten Friedhof in muslimischer Trägerschaft soll es bald in Wuppertal geben. „Das wird ein Friedhof, der sich sehen lassen kann“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Trägervereins Muslimische Friedhöfe Wuppertal, Mohammad Abu Dahab. Doch noch fehlen dem Verein knapp 400 000 Euro. „Muslime könnten auch etwas mehr spenden“, findet Abu Dahab.
Geändertes Bestattungsgesetz
2014 änderte NRW sein Bestattungsgesetz. Als bislang einziges Bundesland können Kommunen Errichtung und Betrieb von Friedhöfen seitdem an gemeinnützige Religionsgemeinschaften oder religiöse Vereine übertragen, wenn sie den dauerhaften Betrieb des Friedhofs sicherstellen können. Bislang war die Trägerschaft von Friedhöfen nur öffentlich-rechtlichen Körperschaften gestattet. Diesen Status haben muslimische Verbände bislang nicht verliehen bekommen.
„Wir blicken in vielen Bundesländern auf eine positive Entwicklung, die es Muslimen in Deutschland ermöglicht, bestattet zur werden“, sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.
Keine Ausnahme von der Sargpflicht macht allerdings Bayern. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums gibt es in zahlreichen Gemeinden muslimische Grabfelder auf den Friedhöfen – bestattet wird jedoch nur im Sarg. „Es ist ein herber Rückschlag für die deutschen Muslime in Bayern gewesen“, sagt Mazyek, „dass die CSU unter Horst Seehofer im vergangenen Dezember gegen eine sarglose Bestattung gestimmt hat.“
Frauen stehen abseits
Auf dem Berliner Friedhof Gatow im Bezirk Spandau hat die Beerdigung nach 20 Minuten begonnen. „Im Namen des Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen“, betet der Imam vor dem Grab auf Arabisch. Er möge den Verstorbenen ganz zu sich nehmen. 15 Männer haben sich vor dem Geistlichen versammelt. Sie fahren sich mit den Händen durchs Gesicht, beugen ihre Köpfe bis zum Boden. Die Frauen warten in einiger Entfernung.
Nach der Beisetzung zieht der Trauerzug entlang weiterer muslimischer Grabsteine mit arabischen Schriftzügen zurück zur Friedhofspforte. Auf einem freien Feld hat ein Bagger bereits ein Loch ausgehoben. „Da erweitern sie“, sagt Karayel und zeigt in Richtung des Feldes. Sein Handy klingelt. Er nimmt ab und wird hektisch. „Wir müssen uns etwas beeilen. Die nächste Bestattung wartet.“