Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Für deutsche Touristen wird der Türkei-Urlaub günstiger
Viele Türken stehen durch den Verfall der eigenen Währung vor einem Problem – Großes Handelsbilanzdefizit
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ISTANBUL (dpa) - Jede Krise hat ihre Gewinner, im Fall der Lira-Krise in der Türkei gehören dazu deutsche Touristen: Die Türkei hat nach einem Einbruch bei den Besucherzahlen wieder an Beliebtheit gewonnen, und wer Euro in der Tasche hat, für den sind die Preise wegen des Verfalls der heimischen Währung im Keller. Pensionszimmer sind im Juli auf einschlägigen Buchungsportalen schon ab fünf Euro zu haben, FünfSterne-Hotels ab 69 Euro. Für viele Türken ist die Entwicklung allerdings hochproblematisch.
Gegenüber dem Dollar und dem Euro hat die Lira seit Jahresbeginn mehr als 20 Prozent an Wert verloren, Mitte vergangener Woche stürzte die türkische Währung regelrecht ab. Die Zentralbank beschloss daraufhin in einer Krisensitzung, einen wichtigen Leitzins anzuheben. Analysten waren sich einig, dass der Schritt viel früher hätte erfolgen müssen. Tatsächlich gewann die Lira nach der Zinserhöhung zwar an Wert, doch schon am Tag darauf gab die Währung wieder nach.
Dramatisch ist die Entwicklung für Türken, die in Lira verdienen, aber Ausgaben in Fremdwährungen haben. Zum Beispiel solche, die ihr Kind auf die deutsche Grundschule in Istanbul geben, wo die Schulgebühren mit Steuern bei rund 13 000 Euro pro Jahr und Kind liegen.
In Lira wird fast alles teurer, und so gut wie jeder ist betroffen. Preise für Importwaren haben stark zugelegt, was viele Lebensbereiche betrifft: Die Türkei hat ein großes Handelsbilanzdefizit, sie führt also wesentlich mehr ein als aus. Für Lebensmittel muss deutlich tiefer in die Tasche gegriffen werden, und wegen der zweistelligen Inflationsrate gilt das nicht nur für importierte, sondern auch für einheimische Waren. Beim Benzin hat die Regierung die Steuern angepasst, um die Preise kurz vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen am 24. Juni nicht explodieren zu lassen. Das verringert aber die Einnahmen des Staates.
Unternehmen, die vor allem exportieren, verschafft die Lira-Schwäche zwar Gewinne. In Schieflage bringt die Entwicklung aber vor allem türkische Firmen, die sich in Dollar oder Euro verschuldet haben und die in Lira Geschäfte machen. Umgerechnet in die einheimische Währung haben sich ihre Schulden innerhalb weniger Jahre verdoppelt, und die Zinsen werden immer teurer. Große Unternehmen können ihre Dollar-Kredite nicht mehr bedienen und müssen umschulden.
Ein Grund für die alarmierende Entwicklung ist nach Einschätzung von Analysten die Wirtschaftstheorie des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die der gängigen Lehre widerspricht: Erdogan ist vehement gegen Zinssteigerungen. Er geht davon aus, dass höhere Zinsen nicht zu weniger, sondern zu mehr Inflation führen – was der Analyst Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank für eine „groteske Idee“ hält. Gemeinhin reagiert eine Zentralbank mit Zinserhöhungen, um die Inflation und den Wertverfall der eigenen Währung zu stoppen. Die Konsequenz daraus ist allerdings, dass das Wirtschaftswachstum nachlässt, das in der Türkei im vergangenen Jahr bei stolzen 7,4 Prozent lag.
Beschleunigt hat die Talfahrt der Lira eine Äußerung Erdogans, er werde die Zentralbank im Falle seines Wahlsieges stärker an die Leine nehmen. Jene Notenbank also, die unabhängig sein sollte. Investoren zeigten sich irritiert. Die „Financial Times“kommentierte: „Finanzmärkte sind nicht wie die unglücklichen Journalisten, die er ins Gefängnis gesperrt hat.“Nach der Zinserhöhung rief Erdogan die Bürger auf, nicht aus der Lira zu flüchten: „Tauscht eure lokale Währung nicht in Devisen um.“In einer Umfrage machen 42 Prozent „ein Komplott ausländischer Mächte gegen die Türkei“für die Lira-Schwäche verantwortlich.