Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Türken wählen Präsidenten
Großer Andrang vor Wahllokalen in Baden-Württemberg
STUTTGART (dpa/kra) - In BadenWürttemberg hat die Stimmabgabe türkischer Wahlberechtigter für die Parlaments- und Präsidentenwahlen in der Türkei begonnen. Am Donnerstagmorgen bildete sich vor dem Wahllokal in Stuttgart-Zuffenhausen eine Menschentraube. Rund 50 Türken warteten dort schon vor der Öffnung. Im Einzugsbereich des Generalkonsulats Stuttgart sind 147 000 Wahlberechtigte registriert – das ist der größte Teil der in Deutschland lebenden Türken. Auch in Karlsruhe startete die Wahl. Im dortigen Generalkonsulat können insgesamt rund 93 000 Menschen abstimmen.
Laut dem Chef der türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg, Gökay Sofuoglu, ist die Stimmung bei den im Süden lebenden Türken derzeit entspannt. „Es gibt eine große Anhängerschaft von Präsident Recep Tayyip Erdogan, aber auch eine Art Wechselstimmung“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“.
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RAVENSBURG - Rund 240 000 Türken in Baden-Württemberg können seit Donnerstag ein neues Parlament und den Präsidenten wählen. In der Türkei selbst finden die vorgezogenen Wahlen erst am 24. Juni statt. In ganz Deutschland sind 1,44 Millionen Türken wahlberechtigt. Vertreter der türkischen Gemeinden in Baden-Württemberg beschreiben die Stimmung unter ihren Mitgliedern als gelassen. 2017, im Vorfeld des Verfassungsreferendums zum Präsidialsystem, war das noch ganz anders. Trotzdem herrsche gerade bei Minderheiten wie Kurden oder Aleviten Angst davor, ihre Meinung frei zu äußern.
Obwohl der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoga n mit seinen Entscheidungen jüngst immer wieder auch in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt hat, ist das politische Klima zwischen beiden Ländern deutlich weniger hitzig als im vergangenen Jahr.
Wechselstimmung unter Türken
Laut Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland und Baden-Württemberg, hat vor allem dies dazu geführt, dass die Stimmung innerhalb der türkischen Community im Süden derzeit entspannt sei. Auch was die politische Ausrichtung angehe, erkennt Sofuoglu Veränderungen in der Gemeinschaft. „Es gibt hier eine große Anhängerschaft von Erdogan, aber auch eine Art Wechselstimmung“, sagt Sofuoglu. Mehr Menschen als 2017 wünschten sich einen Politiker, der die Beziehungen zum Ausland und vor allem zu Deutschland verbessere und nicht nur polarisiere. Mehreren Gegenkandidaten Erdogans werden Chancen eingeräumt. Als stärkster Konkurrent gilt Muharrem Ince, Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratischen und säkularen Oppositionspartei CHP. Er gewinnt laut Umfragen immer mehr an Zustimmung in der türkischen Bevölkerung.
Die Vertreter kurdischer und alevitischer Verbände in Baden-Württemberg werben bei der Wahl aber eher für die linksgerichtete, kurdisch geprägte Partei HDP. Ihr Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas sitzt derzeit allerdings mit weiteren Parteifunktionären im Gefängnis. Für Aynur Karakaya von der „HDP Stuttgart Wahlplattform“und Ergin Özcan, den Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Baden-Württemberg, wird die HPD entscheidend für Sieg oder Niederlage von Präsident Erdogan sein. Denn wegen des türkischen Wahlrechts ziehen die Kandidaten der HDP nur dann ins Parlament ein, wenn die Partei in der ganzen Türkei die Zehn-Prozent-Hürde nimmt. Wenn sie das nicht schafft, verfallen auch ihre Direktmandate.
Karakaya erklärt: „Vor allem in den kurdischen Gebieten in der Türkei tritt häufig nur die HDP gegen Erdogans AKP an. Schafft es die HDP nicht ins Parlament, fallen in diesen Gebieten automatisch alle Sitze an die AKP.“Um das zu verhindern, hat sie im Vorfeld der Wahl bei den Kurden in Baden-Württemberg für die HDP geworben.
Von entspannter Stimmung will sie unter den Kurden nicht viel bemerkt haben: „Wenn man die HDP wählt, sagt das niemand öffentlich. Viele hier lebende Kurden haben noch Verwandte in der Türkei. Die Angst vor negativen Folgen für ihre Angehörigen ist selbst unter den Kurden, die hier leben, sehr verbreitet.“Auch Özcan von der Alevitischen Gemeinde in BadenWürttemberg nimmt eine große Anspannung wahr. Einen Riss zwischen Aleviten und konservativen Türken in Baden-Württemberg gebe es schon seit 30 Jahren. Immerhin: Es sei deutlich besser als vor dem Referendum 2017 „Die, die hier leben, haben gemerkt, dass diese Konflikte gar nichts bringen“, sagt er.
Die einzigen Wahllokale im Südwesten liegen in Stuttgart-Zuffenhausen und im Genneralkonsulat Karlsruhe. Zu Zwischenfällen vor dem Wahllokal in Zuffenhausen ist es laut Polizei bislang nicht gekommen.
Mehrere Beamte seien dort dauerhaft vor Ort. Es handele sich aber um einen reinen Routineeinsatz. Bis zum 19. Juni können in Baden-Württemberg lebende Türken noch ihre Stimme abgeben.