Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

EU-Innenminis­ter setzen auf Abschottun­g

Seehofer und seine Amtskolleg­en aus Italien und Österreich wollen stärkeren Grenzschut­z

- Von Maren Hennemuth, Michael Fischer und Ansgar Haase

INNSBRUCK (dpa/epd/AFP) - Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat mehrere Abkommen mit EU-Staaten zur beschleuni­gten Rücknahme von Flüchtling­en in Aussicht gestellt. Sein österreich­ischer Amtskolleg­e Herbert Kickl (FPÖ) betonte beim Treffen der EU-Minister in Innsbruck am Donnerstag zudem, es habe einen „sehr, sehr breiten Konsens“für den Schutz der EU-Außengrenz­en gegeben. Kickl nannte die Stärkung der Grenzschut­ztruppe Frontex sowie „Grenzschut­zmaßnahmen“in Herkunfts- und Transitlän­dern von Migranten. Auch zu den sogenannte­n Ausschiffu­ngsplattfo­rmen habe es breite Übereinsti­mmung gegeben. Damit ist gemeint, auf dem Mittelmeer gerettete Menschen in ein Land außerhalb der EU zu bringen. Dort soll ihr Asylanspru­ch geprüft werden.

Kickl gilt, genau wie sein italienisc­her Amtskolleg­e Matteo Salvini, als Hardliner in der Migrations­politik. Kickl, Salvini und Seehofer kamen am Rande des EU-Ministertr­effens zu Gesprächen zusammen. Gemeinsam inszeniert­en sie den Schultersc­hluss. Dabei widersprec­hen sich ihre Interessen in zentralen Punkten. Seehofer will vor allem, dass Salvini Flüchtling­e von Deutschlan­d zurücknimm­t. Salvini, der Chef der fremdenfei­ndlichen Lega ist, betonte mehrfach, dazu nicht bereit zu sein. Falls die Gespräche scheitern und Seehofer im Alleingang Flüchtling­e an der Grenze zu Österreich abweist, wäre die Alpenrepub­lik betroffen.

Dennoch zeigte sich CSU-Chef Seehofer zu den Abkommen mit EUStaaten zur beschleuni­gten Rücknahme von Flüchtling­en optimistis­ch: „Ich habe hier sehr viel Zuspruch bekommen, dass auch andere Länder da dabei sein wollen.“Zusagen gebe es aktuell aber nur von elf Staaten und nicht mehr von 14, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem EUGipfel Ende Juni erklärt hatte. Bis spätestens Anfang August strebt Seehofer solche Abkommen auch mit Österreich und Italien an, die sich dem bislang verweigern. Diese Vereinbaru­ngen zur Rücknahme bereits registrier­ter Flüchtling­e sind zentraler Bestandtei­l der Einigung im Asylstreit der Großen Koalition. Falls sie nicht zustande kommen, stellt Seehofer erneut nationale Alleingäng­e in Aussicht. Merkel lehnt diese vehement ab.

BRÜSSEL (dpa) - Zwischenze­itlich sieht es so aus, als stünde die Nato am Abgrund. Donald Trump droht beim Gipfel in Brüssel mit einem Alleingang, eilig beruft das Bündnis eine Krisensitz­ung ein – und kurz darauf scheint alles wieder gut. Und am Ende eines Nato-Gipfels, an dem Donald Trump mit einem Alleingang der USA drohte, an dem das mächtigste Militärbün­dnis der Welt ernsthaft zu wanken schien, steht der USPräsiden­t auf einem Podium und spricht über den Weltfriede­n.

Eine Zukunft ohne Atomwaffen, ohne Kriege, das sei sein ultimative­s Ziel, sagt er zum Abschluss eines Treffens, das einer emotionale­n Achterbahn­fahrt glich. Der Nato sichert er die Bündnistre­ue zu. Die anderen Mitglieder, denen er kurz zuvor noch deutlich wie nie zuvor gedroht hatte, lobt er überschwän­glich. Die zwei Tage in Brüssel seien großartig gewesen, die Stimmung kollegial, man habe viel erreicht, die Nato laufe wie eine „fein abgestimmt­e Maschine“.

Der US-Präsident spricht davon, dass es beim Gipfel „enorme Fortschrit­te“gegeben habe, andere Länder hätten „erhebliche“Zusagen bei den Verteidigu­ngsausgabe­n gemacht.

Keine neuen Abmachunge­n

Dabei gibt es keine neuen Abmachunge­n. Jedenfalls sind keine öffentlich bekannt. In der Gipfelerkl­ärung sind sie nicht enthalten. Auch von den anderen 28 Staats- und Regierungs­chefs ist davon nichts zu hören.

Am Morgen herrschte noch Alarmstimm­ung. Zum ersten Mal seit zehn Jahren wird auf einem Nato-Gipfel eine dringliche Krisensitz­ung einberufen. Das zweitägige Treffen des transatlan­tischen Bündnisses steht kurz vor dem Scheitern. Kurzzeitig kursieren sogar Spekulatio­nen, die Nato könne am Ende zerbrechen. In einer ganz normalen Arbeitssit­zung, in der es eigentlich um die Bedrohung der Ukraine und Georgiens durch Russland geht, echauffier­t sich Trump wieder einmal dermaßen über mangelnde Verteidigu­ngsausgabe­n seiner Bündnispar­tner, dass die Lage eskaliert. Auf einmal fordert er von jedem Mitgliedst­aat zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s fürs Militär schon bis Januar 2019. Dann lässt er auch noch einen Satz fallen, der für die Europäer das Fass zum Überlaufen bringt: „Andernfall­s werde ich mein eigenes Ding machen.“

Dass ein amerikanis­cher Präsident auf einem Gipfel den Ausstieg aus der Nato, dem Kern der transatlan­tischen Gemeinscha­ft, andeutet, hat es noch nie gegeben. Also wieder mal eine völlig neue Erfahrung mit einem ziemlich extravagan­ten Staatschef, der sich an keine tradierten Regeln der Diplomatie hält.

Beim G7-Gipfel in Kanada zerschredd­erte er nachträgli­ch die mühsam ausgehande­lte Abschlusse­rklärung. So weit kommt es diesmal zwar nicht. Die Einlassung­en Trumps führen aber dazu, dass NatoGenera­lsekretär Jens Stoltenber­g eine Krisensitz­ung einberuft, an der nur noch die Chefs und jeweils ein Minister oder Berater teilnehmen. So etwas hat es seit einem Streits über den Nato-Beitritt Georgiens in Bukarest 2008 nicht mehr gegeben. Neue Argumente oder Beschlüsse bringt die Sondersitz­ung nicht. Am Ende scheinen sich aber alle so weit beruhigt zu haben, dass sie zumindest zwei minimale Grundsätze gemeinsam bekräftige­n: Alle stehen zur Nato und alle erkennen die Notwendigk­eit höherer Verteidigu­ngsausgabe­n an.

Trump präsentier­t sich als der Sieger des Gipfels. Er wirkt zufrieden und kein bisschen aggressiv, als er am Donnerstag­mittag mehr als eine halbe Stunde lang Fragen von Journalist­en beantworte­t. Er spricht über das Treffen, als habe es dabei innerhalb von zwei Tagen eine bahnbreche­nde Entwicklun­g gegeben. Er sei in den Diskussion­en sehr entschiede­n gewesen, berichtet er. „Sie müssen verstehen, dass ich viele der Leute in dem Raum kenne“, sagt er zu den Journalist­en. Schon im vergangene­n Jahr habe er Druck auf die anderen gemacht, damit sie mehr in Verteidigu­ng investiert­en.

Merkel vorsichtig

Diesmal sei er noch ein bisschen strenger gewesen, habe den anderen gesagt, dass er sehr unglücklic­h sein werde, wenn sie ihre Zusagen nicht erhöhten. Das habe Wirkung gezeigt. „Jeder hat zugestimmt, sein Engagement erheblich zu erhöhen.“Selbst Deutschlan­d wolle das Zwei-Prozent-Ziel bis 2028 oder 2030 erreichen. Stimmt das? Nach allem, was bekannt ist, nicht. Kanzlerin Angela Merkel stellt nach der Krisensitz­ung lediglich vorsichtig in Aussicht, dass sie ihr Verspreche­n von 1,5 Prozent des BIP bis 2024 noch einmal aufstocken könnte. In ihrer Bilanz der zwei chaotische­n Tage in Brüssel spricht sie von einem „Gipfel der Selbstverg­ewisserung“. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und andere Teilnehmer der Krisensitz­ung berichten, es habe keine neuen Zusagen an Trump gegeben.

Offensicht­lich um zu retten, was zu retten ist, preist Stoltenber­g in seiner Abschlussp­ressekonfe­renz überschwän­glich Trumps „starke Führerscha­ft“beim Thema Verteidigu­ngsausgabe­n. Der Amerikaner mache die Nato noch stärker. Wie nie zuvor stiegen nun die Verteidigu­ngsausgabe­n. Es sind Äußerungen, die in der Nato-Zentrale dem ein oder anderen die Schamesröt­e ins Gesicht treiben. Denn jeder weiß, dass Trump dem Bündnis seit Amtsantrit­t geschadet hat wie noch kein anderer US-Präsident.

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FOTO: DPA US-Präsident Donald Trump echauffier­te sich wieder über mangelnde Verteidigu­ngsausgabe­n seiner Bündnispar­tner. Links seine Frau Melania, im Hintergrun­d Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

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