Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Juden und Muslime verneigen sich vor den Opfern des Holocaust
Gemeinsames Gedenken in Auschwitz – Ein Projekt, das Schule machen soll im Kampf gegen Antisemitismus
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OSWIECIM (dpa) - An der Todeswand von Auschwitz, an der Tausende KZ-Häftlinge erschossen wurden, singt ein Imam Klagelieder aus dem Koran. Ein Rabbiner spricht ein jüdisches Gebet. Mit ihnen beten bei brütender Hitze 25 aus Deutschland angereiste Juden und muslimische Geflüchtete. Inmitten der bedrückenden Szenerie aus Stacheldrahtzäunen und Baracken des ehemals größten Vernichtungslagers der Nazis beten sie gemeinsam dafür, dass sich das Grauen des Holocaust nicht wiederholt.
Viele legen zur Erinnerung an die Schoah-Opfer rote Rosen an der Todesmauer des Konzentrationslagers nieder, in dem die Nazis mehr als ei- ne Million Menschen ermordeten. Die meisten davon waren Juden. „Die Trauer eint uns“, sagt der 25-jährige Syrer Khaled Naeem bedrückt. Die Erlebnisse rufen bei ihm Erinnerungen an den Bürgerkrieg in Syrien hervor. Der Rabbiner Henry G. Brandt würdigt den Entschluss der Gruppe, sich in Auschwitz zu treffen. „Ich bin tief beeindruckt, dass Muslime und Juden zusammen hier sind.“Er hoffe, sie könnten Lehren für das Leben ziehen. „Ihr jungen Menschen seid die Architekten des Morgen“appelliert Brandt.
Auch die Politik ist mit den Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins und Thüringens, Daniel Günther (CDU) und Bodo Ramelow (Linke), bei der Zeremonie vertreten. Aus ihren Bundesländern sind die Juden und syrischen und irakischen Geflüchteten im Alter von 18 bis 26 Jahren angereist.
Fünf Tage dauert die Reise
Die Gedenkfeier ist der Höhepunkt ihrer gemeinsamen Bildungsreise. Die gegen Antisemitismus gerichtete Aktion wurde vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und der Union progressiver Juden (UpJ) organisiert. Eine Premiere sei das jüdisch-muslimische Treffen, sagt Zakaria Said vom ZMD. Er meint: „Für intensive Gespräche zwischen Juden und Muslimen gibt es in Deutschland viel zu selten die Gelegenheit.“
Nun setzen sich die Jugendlichen fünf Tage lang bei KZ-Besichtigungen, Zeitzeugengesprächen und Diskussionsrunden mit dem Holocaust auseinander – und kommen sich näher. Oqba, der vor drei Jahren aus dem syrischen Damaskus nach Deutschland floh, stellt fest: Bei dem Treffen würde das Schubladendenken abgebaut. Der Muslim setzt sich lächelnd eine Kippa auf. Er selbst sei Juden gegenüber schon vor der Reise aufgeschlossen gewesen.
In Deutschland hatten zuletzt immer wieder antisemitische Übergriffe für Schlagzeilen gesorgt, teils auch von muslimischen Tätern. Rund 30 jüdische Organisationen riefen die Bundesregierung dazu auf, den Antisemitismus unter Muslimen ernst zu nehmen. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) schlug zu Jahresbeginn vor, den Besuch einer KZ-Gedenkstätte für alle in Deutschland zur Pflicht zu machen.