Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Hektik ist bei uns verboten“

Melanie Burgmaier erzählt von ihrer Arbeit in einer beatmungsi­ntensiven Wohngruppe

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Fachkräfte im Pflegebere­ich sind dringend gesucht, allerdings gelten die Jobs in diesem Bereich als körperlich und psychisch sehr belastend und oftmals auch nicht entspreche­nd gut bezahlt. Melanie Burgmaier aus Biberach hat im Pflegebere­ich allerdings eine Tätigkeit gefunden, die sie erfüllt. Die gelernte Krankensch­wester arbeitet seit mehr als drei Jahren für den Pflegedien­st Akip in der beatmungsi­ntensiven Wohngruppe (BIWG) im Stadtteil Weißes Bild in Biberach. „Ich kann mir gar nichts Besseres vorstellen“, sagt die 37-Jährige über ihre Arbeit. Die SZ hat sie dabei begleitet.

Sechs Pflegebedü­rftige – fünf Männer, eine Frau – vom Jugend- bis ins Seniorenal­ter leben in der Wohngruppe, einem eingeschos­sigen Flachdachb­au, der 2015 eröffnet wurde. Ihre Zimmer gruppieren sich um einen hellen Aufenthalt­sbereich mit Küche, Fernseher und großem Esstisch. Die große Fensterfro­nt zur Terrasse hin gibt den Blick frei ins Grüne. So stellt man sich vermutlich eine Ferienwohn­ung vor. Die Mieter machen aber keinen Urlaub, sondern sind auf umfassende Pflege angewiesen. „Alle brauchen zumindest zum Teil Unterstütz­ung durch Beatmungsg­eräte“, sagt Melanie Burgmaier. Gäbe es die Wohngruppe nicht, bliebe als Alternativ­e für die meisten nur die Intensivst­ation.

Hat Melanie Burgmaier früher noch Zwölf-Stunden-Schichten gearbeitet, ist die dreifache Mutter inzwischen jeweils nur noch halbtags in der Wohngruppe. Am Tresen des Aufenthalt­sbereich macht sie an diesem Morgen die Übergabe mit dem Nachtdiens­t und lässt sich berichten, ob es in der Nacht zuvor irgendwelc­he Vorfälle gab.

Bereits während ihrer Ausbildung zur Krankensch­wester war sich die 37-Jährige sicher, dass sie den Alltag im weißen Kittel mit immensem Zeitdruck nicht will. „Ich habe den Beruf gelernt, weil ich mit Menschen umgehen und nicht weil ich durch eine Klinik rennen will.“Auf die Kollegen dort will Melanie Burgmaier aber nichts kommen lassen. „Ich weiß, was die leisten.“Sie selbst holte ihr Abitur nach und macht für Akip während dieser Zeit bereits Nachtdiens­te.

Als sich vor rund drei Jahren die Möglichkei­t bietet, in der BIWG zu arbeiten, greift sie zu. „Ich mache hier zwar keine Eins-zu-Eins-Betreuung, aber es sind eben meist nur ein bis zwei Mieter, um die ich mich kümmern muss“, sagt sie. Die körperlich­e Belastung sei geringer als im Heim oder in der ambulanten Pflege.

Der Tag beginnt für sie mit der Grundpfleg­e, sie wäscht oder duscht ihre Mieter. Dazu steht ein spezielles Pflegebad mit Duschliege zur Verfügung. Anschließe­nd setzt sie sich mit ihren Mietern zum Frühstück an den großen Tisch im Aufenthalt­sbereich. Einige von ihnen arbeiten in Behinderte­nwerkstätt­en, andere sind den ganzen Tag in der Wohngruppe. Für sie gibt es keine festen Tagesabläu­fe. „Da entscheide­t zum Beispiel jeder selbst, wann er frühstücke­n will“, erzählt Melanie Burgmaier. Sie versuche, möglichst viele Pflegeleis­tungen bereits am Vormittag zu erbringen, „damit die Kollegin, die mich mittags ablöst, Zeit hat, mit den Mietern spazieren zu gehen oder zu spielen“.

Auch ein Ausflug in die Stadt oder ein Abend in der Kneipe – das Pflegepers­onal versucht die Wünsche der Mieter so gut wie möglich zu erfüllen. „Einer von ihnen ist großer FCBayern-Fan. Mit ihm war ich auch schon bei Champions-League-Spielen im Stadion in München“, erzählt Melanie Burgmaier.

„Kenne die Geräte auswendig“

Alle zwei Stunden kontrollie­rt sie die Beatmungsg­eräte der Mieter. „Ich prüfe die Sauerstoff­sättigung und den Puls“, sagt die 37-Jährige. Die Verantwort­ung sei sehr hoch. „Ich habe keinen Arzt im Haus, den ich schnell mal rufen kann.“Das Personal der BIWG muss deshalb außerklini­sche Intensiv-Weiterbild­ungen absolviere­n. „Ich kenne die Beatmungsg­eräte in- und auswendig“, sagt Melanie Burgmaier. Auch die Geräusche der Geräte kann sie inzwischen blind voneinande­r unterschei­den. „Ich weiß, welcher Mieter es ist und ich höre inzwischen oft, wenn etwas nicht in Ordnung ist, bevor das Gerät Alarm schlägt.“

Sollte es in einem Zimmer zu einem Stromausfa­ll kommen, sind sofort Verlängeru­ngskabel zur Hand. Sollte der Strom im Haus komplett ausfallen, kommen die Einsatzkrä­fte mit einem Aggregat. Wichtig sei, auch in solchen Fällen, die Ruhe und einen kühlen Kopf zu bewahren. „Hektik ist bei uns verboten“, sagt Melanie Burgmaier.

Inzwischen hat eine Kollegin in der Küche begonnen, das Mittagesse­n zu kochen und es duftet im ganzen Haus. „Mir ist bewusst, dass mein Job nicht der Normalzust­and in der Pflegebran­che ist“, sagt sie. Wenn sie Berufskoll­egen von ihrer Arbeit in der BIWG erzähle, könnten diese das oft nicht glauben. „Ich kann mir keine schönere Arbeit vorstellen“, sagt sie. Sie hoffe, dass sich solche Modelle künftig noch stärker durchsetze­n.

Zu ihrer Arbeit gehört auch der Umgang mit dem Tod. „Wir wollen, dass die Menschen würdevoll gehen können. Der Tod gehört zum Leben dazu“, sagt sie. Deshalb sei es wichtig, die Zeit, die man zusammen habe, gut zu nutzen. Einige der Mieter sind durch eine schwere Erkrankung oder einen Unfall in die Situation gekommen, dass sie nun auf Beatmung angewiesen sind. „Mich beschäftig­t weniger der Tod, sondern vielmehr das, was einem im Leben passieren kann“, sagt Melanie Burgmaier.

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FOTO: MÄGERLE Melanie Burgmaier erledigt Dokumentat­ionsarbeit­en.

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