Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wo aus Abwasser wieder sauberes Wasser entsteht
In der Kläranlage Isny beseitigt der WAV Untere Argen in vier Reinigungsschritten den Flüssigschmutz der Zivilisation
●
ISNY - Enten planschen auf der Ach, die durch die Allgäustadt Isny fließt. Weil es regnet, strömt das Flüsschen schneller an den Grashalmen vorbei. Sie verbiegen sich. Der Weg über die Holzbrücke führt auf eine Wiese zwischen der Ach und der Durchfahrtstraße. Sie ist gemäht und hat vielleicht die Größe eines halben Fußballfeldes. In ihrem Süden liegt der städtische Bauhof, im Osten Isny, im Norden steht ein Schuppen. Statt Maulwurfshügeln ragen rechteckige Asphaltgebilde aus dem Grün hervor. Die meisten davon haben einen Metalldeckel, wenige ein Metallgitter.
„Vorsicht, unten ist es schmierig“, sagt Ulrich Schneider, Abwassermeister des Wasserund Abwasserverbands (WAV) Untere Argen. „Das ist mit unser wichtigstes RÜB“, fügt er an. RÜB steht für Regenüberlaufbecken; sieben davon gibt es im WAV rund um Isny und die bayerische Nachbargemeinde Weitnau. Die Regenüberlaufbecken schlucken Abwasser, das nicht mehr in das 200 Kilometer lange Kanalnetz passt. Sollte es mal viel regnen und mehr als 98 Liter pro Sekunde durch die Leitung schießen, füllt sich nach und nach das Becken. Alles genau berechnet, von Computern gesteuert, die von der Kläranlage aus bedient werden.
Schneiders Kollege Robert Metzler zieht mit beiden Händen und einem handgroßen Metallstift an einem dieser Metalldeckel. Um den Hals trägt er ein gelb-schwarzes Messgerät. Es misst unter anderem den Anteil von Schwefeldioxid in der Luft, einem giftigen Gas, entstanden aus dem Abwasser. Der Metalldeckel geht auf. Es öffnet sich ein schwarzes Loch, eine Treppe führt nach unten. Einmalhandschuhe sollen die Hände vor dem Dreck am Geländer schützen.
Es riecht nach altem Keller
18 Stufen tiefer ist der Boden schmierig braun. Es riecht nach altem Keller: modrig, feucht, aber es ist kein übler Gestank. Wenige Meter unterhalb der Wiese tut sich ein verborgener Ort auf: ein riesiger Betonraum, vergleichbar mit einem 25-MeterSchwimmbecken. Hinten ist der Boden niedriger als vorne, damit das Wasser Richtung Kanal abfließen kann.
Insgesamt passen 1300 Kubikmeter in das Becken, 1,3 Millionen Liter – das entspricht rund 11 000 Badewannen. An der Decke hängen LEDLampen, wirklich hell ist es unter Tage aber nicht. Menschen sind hier auch recht selten. An den Wänden klebt schwarzer Dreck: wieder getrocknete Papierfetzen, natürlich auch Klopapier und in Resten vermutlich auch alles andere, was die Menschen in Isny in den Abguss kippen oder in die Toilette werfen. „Die Müllentsorgung über den Kanal hat zugenommen“, stellt Schneider fest. Auch Speisereste finden den Weg in die Kanalisation. Zur Freude der Ratten, gegen die inzwischen auch mit Giftködern vorgegangen wird. Vor allem aber machen feuchtes Toilettenpapier und andere Hygieneartikel Probleme, denn diese Produkte zersetzen sich nicht und müssen aufwendig entfernt werden.
Sind die Überlaufbecken voll, fließt das Wasser über einen Kanal in die Ach nebenan – vorbei an mehreren Metallstäben, die den gröbsten Müll abfischen. Die Enten planschen trotzdem vor den Stäben. Und Gras wächst auch. Aufgrund des vielen Regens hierzulande sei das Abwasser so stark verdünnt, dass es keine Gefahr für die Umwelt darstelle, erklärt Schneider. Aktuell fließen knapp 93 Liter pro Sekunde durch das 90 Zentimeter breite Rohr neben dem Regenüberlaufbecken. Bei „Trockenwetter“, also wenn es nicht regnet, seien es gerade mal zehn Liter pro Sekunde, erzählt der Klärmeister.
Allerdings sind die Rohre auch nicht überall gleich dick. Der Durchmesser und auch das Material hängen vor allem von der Funktion der Leitungen ab. Nach einer Pumpe, die das Wasser beschleunigen muss, um es von A nach B zu bekommen, weil es zum Beispiel kein Gefälle in der Leitung gibt, werden im Normalfall Kunststoffrohre mit einem kleineren Durchmesser verwendet.
Der Sand ist ein Problem
Später in der Kläranlage, wo das Wasser mit sehr viel Druck durch die Rohre schießt, kommt es außerdem darauf an, ob das Wasser geradeaus fließt oder nicht. Macht der Kanal eine Kurve, können kleine Sandteilchen, die sich noch im Wasser befinden, am Betonrohr reiben wie Schleifpapier. Das Rohr muss deshalb in der Krümmung dicker sein. Diesem Problem versucht man auch mit einem Sandfilter zu Beginn der Klärung entgegenzuwirken.
Der Wasserverbrauch, erklärt Schneider, habe in Isny insgesamt abgenommen. Waren es vor 30 Jahren noch zwischen 140 bis 150 Liter pro Einwohner und Tag, sind es heute nur noch 110 Liter. Das liege an sparsameren technischen Geräten wie Wasch- und Spülmaschine, aber auch am veränderten Bewusstsein der Menschen. „Das Wasser ist teurer geworden“, sagt Schneider. „Aber man denkt auch mehr an die Umwelt.“
Am sogenannten Stollenportal laufen fast alle Abwasserleitungen zusammen, bevor die gesamten Wassermassen Richtung Kläranlage strömen. Das Rohr hat dann einen Durchmesser von rund 2,5 Metern. Bei „Vollgasregen“können so 365 Liter pro Sekunde zur Kläranlage durchjagen. Kommt mehr bei der Anlage an, fließt das überschüssige Abwasser in zwei Regenbecken. Sollten sogar mehr als 10 000 Liter pro Sekunde ankommen, gibt es kein Halten mehr und das Wasser schießt ähnlich wie beim Überlaufbecken am Bauhof direkt in den nächstgelegenen Fluss, die Untere Argen. „Aber das kommt vielleicht zweimal im Jahr vor“, sagt Schneider: „Doch das ist dann auch so viel, das kannst du nicht mehr bewerkstelligen.“
Abgesehen von solchen Ausnahmesituationen, sehen sich der Abwassermeister und sein sechsköpfiges Team mit der Kanalisation und der dazugehörigen Kläranlage des WAV gut aufgestellt. „Wir sind in manchen Dingen sogar Vorreiter“, sagt Schneider. Für Gemeinden ist die Kläranlage oftmals der größte Stromverbraucher. 800 000 Kilowattstunden verbraucht die Anlage in Isny im Jahr. Knapp mehr als die Hälfte davon erzeugt sie selbst: über eine im Herbst 2016 neu errichtete Solaranlage auf einer zum Teil in Eigenleistung erbauten Gerätehalle, zum Großteil aber über Blockheizkraftwerke. Während das geklärte Wasser wieder in Umlauf gebracht wird, landen die Schlammreste aus dem Abwasser in zwei 1250 Kubikmeter großen Faultürmen. Dabei entstehen energiereiche Faulgase, die Strom erzeugen, der dann wieder dafür verwendet wird, das Abwasser zu säubern: ein Kreislauf.
Wenn das zu säubernde Wasser über den rund 2,5 Meter breiten Stollenkanal die Kläranlage erreicht, werden erst einmal in regelmäßigen Abständen Proben entnommen. Das Wasser wird unter die Lupe genommen, die Schwere der Verschmutzung festgestellt: Wie viel Kohlenstoff, wie viel Phosphor und wie viel Stickstoff enthält es? Alle drei Parameter können sich negativ auf das Wasser auswirken und müssen im Lauf der Klärung minimiert bis eliminiert werden. Die erhobenen Werte dienen später als Richtwerte für die Steuerung des Klärvorgangs, der sich in Isny in insgesamt vier Phasen unterteilen lässt.
Abwassermeister Ulrich Schneider zum zurückgehenden Verbrauch
Reinigung mit viel Biologie
Zuerst erfolgt eine mechanische Reinigung, bei der der grobe Dreck wie Laub, Sand, aber auch tote Tiere entfernt werden. Darauf folgt in Schritt zwei und drei die biologische Reinigung, bei der Kohlenstoff-StickstoffVerbindungen mithilfe von Bakterien und Einzellern entnommen werden. Und weil das Abwasser über die Untere Argen, die später zusammen mit der Oberen Argen zur Argen wird, bei Langenargen in das Schwimmgewässer Bodensee mündet, erfolgt noch ein weiterer, vierter Schritt: Durch die Zugabe von Fällmitteln wird das überschüssige Phosphat entfernt, das über Düngemittel ins Abwasser gelangt ist.
So soll das Umkippen der Gewässer verhindert werden. Beim Bodensee handelt es sich ja nicht nur um ein Schwimmgewässer; es ist auch Trinkwasserreservoir für Städte bis hinauf nach Heilbronn. „In den 1970er-Jahren war das Wasser besorgniserregend, aber heute ist es so sauber wie um das Jahr 1900 herum“, sagt Schneider.
Die Enten in der Ach, aber auch die Menschen im Bodensee können sich also weiterhin beruhigt im Wasser vergnügen. Es ist geklärt.
„Das Wasser ist teurer geworden. Aber man denkt auch mehr an die Umwelt.“