Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Keine Angst vor Montagmorgen
Ein Gewerbecampus in Konstanz soll zu einer wunderbaren Zukunftswelt der Arbeit werden
„Es wird Leute geben, die stöhnen, wenn das Wochenende kommt.“
Cristina Bäppler prognostiziert die schöne neue Arbeitswelt
„Ich mag meine Arbeit. Aber schöner als Freizeit wird sie auch in Zukunft nicht sein.“
Robert, Arbeitnehmer bei Siemens
KONSTANZ ●
- Wenn Marketingmenschen etwas sagen, dann tragen sie manchmal ein bisschen dick auf. Das gilt auch für Tanja Lenz, die unter einem mobilen Pavillon an einer pechschwarzen Biertischgarnitur sitzt, dreierlei Biolimonaden in Griffnähe, und über die Art, wie wir in Zukunft in Büros arbeiten werden, sagt: „The Plant ist wie eine Operation am offenen Herzen.“Natürlich stimmt das kein bisschen. Denn bei The Plant – dem schicken Namen für ein Gewerbe-Immobilienkonzept – geht es nicht um Leben oder Tod, sondern ums Geld. „Es zählt die Rendite“, sagt dann irgendwann auch Roland Hampe von Union Investment, der Fondsgesellschaft, die das Kapital für den Kauf des Gewerbecampus Konstanz locker gemacht hat. Aber schön der Reihe nach.
Während der Arbeitsmarkt wie ausgedorrt nur darauf wartet, dass neue Fachkräfte nachfließen, zeichnet den Rest der Arbeitnehmerschaft vor allem eines aus: Unzufriedenheit. Laut einer Erhebung der Hochschule für Ökonomie und Management in Essen sind fast zwei Drittel aller Beschäftigten nicht so richtig glücklich mit ihrem Job. Für Arbeitgeber bedeutet das: Es wird nicht nur immer schwieriger, gute Leute zu bekommen. Es ist zudem überhaupt nicht leicht, sie zufrieden zu machen – und damit langfristig zu halten. Was also tun im Umgang mit der launischen Ressource Mensch?
Wie eine Märchenerzählerin
Die Antwort auf diese entscheidende Zukunftsfrage glaubt zum Beispiel Cristina Bäppler von Investa Real Estate zu kennen. Auch sie hat am schwarzen Biertisch Platz genommen und beginnt fast wie eine Märchenerzählerin zu den Pressevertretern zu sprechen: „Stellen Sie sich vor, es ist Montagmorgen. Sie kommen bei der Arbeit an, haben einen Parkplatz sicher. Oder eine Ladestation fürs Fahrrad. Sie müssen sich keine Gedanken über die Kinderbetreuung machen, denn The Plant sorgt mit einer eigenen Kita für alles. Im Büro wartet eine gesunde Gemüsekiste auf Sie. Eine hauseigene Packstation macht es möglich, dass sie Pakete aller Anbieter direkt bei der Arbeit erledigen können …“Bäppler erzählt noch mehr wundersame Dinge in detailreichen Ausschmückungen. Was man kurz und bündig darüber sagen kann, ist: Am Arbeitsplatz der Zukunft zerfließen die Grenzen zwischen dem, was man sonst nur außerhalb erledigen kann, und der Welt des Berufs. Freizeit und Arbeit, das soll und darf sich ruhig mischen, wenn Angestellte ohnehin gar nicht sicher sagen können, was sie eigentlich lieber mögen. Der Arbeitsplatz braucht die Qualitäten eines Zuhause. „Es wird Leute geben, die stöhnen, wenn das Wochenende kommt“, prognostiziert Cristina Bäppler – und es klingt wie ein Scherz, doch die Managerin hat es überhaupt nicht lustig gemeint. Im Gegenteil. Aus ihrer Sicht ist ein Arbeitsumfeld nur dann ein richtig gutes, wenn der Angestellte sich am Sonntag sagt: „Zum Glück ist morgen Montag.“
Ob die Sehnsucht nach dem Montag die Wochenenden der Zukunft prägen wird, ist selbst unter märchenhaften Arbeitsbedingungen fraglich. Fakt aber ist, dass der Wettbewerb um die besten Talente und Fachkräfte nicht mehr allein durch den freien Zugang zu einer Kaffeemaschine oder den Zuschuss zur Busfahrkarte gewonnen wird. Was sich Arbeitnehmer aktuell wünschen, hat eine groß angelegte Studie der IDG Research Services 2018 untersucht. Sie basiert auf 628 Interviews in verschiedenen Unternehmen, die im engeren und weiteren Sinn zur Branche der Informationstechnologie gehören. Die Befragten wünschen sich für die Arbeit der Zukunft vor allem eins: Flexibilität und Mobilität. Mehr als die Hälfte gibt jeweils an, dass sie sich erhofft, in Zukunft orts- und zeitungebunden zu arbeiten. Diese Vorstellungen sind eng mit dem Wunsch verknüpft, generell eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Das Modell feste Arbeitszeit von neun bis fünf hat laut Studie bei den meisten Arbeitnehmern ausgedient. Ein frei zur Verfügung stehender Dienstwagen landet ebenfalls weit in den hinteren Rängen und ist heute kaum mehr ein Faktor für eine qualifizierte Kraft, in ein bestimmtes Unternehmen einzusteigen.
Einen Fuß in der Tür
Die Initiatoren von The Plant in Konstanz wissen natürlich um die Inhalte solcher Studien. Und das Konzept – das es inzwischen auch für Gewerbeeinheiten in Nürnberg und Fürth gibt – ist langfristig auch ein Instrument, um entsprechende Objekte für Investoren attraktiver zu machen. Die grundsätzliche Idee stammt vom Immobilienentwickler Investa Real Estate, der wiederum die Fondsgesellschaft Union Investment als Geldgeber hat gewinnen können, um die früher als Gewerbecampus bekannten Flächen zu erwerben. Union Investment hat mit dem Einkaufszentrum Lago bereits seit Längerem in Konstanz einen Fuß in der Tür. Die Stadt sei sehr interessant, da Zuzugsmagnet. Idyllisch gelegen und viel Entwicklungspotenzial, sagt Manager Roland Hampe von Union Investment, der sich über konkrete Investitionssummen und Renditeerwartungen aber ausschweigt.
Insgesamt stehen bei The Plant 47 000 Quadratmeter Gewerbefläche auf zwölf Gebäude verteilt zur Verfügung. Genug Raum also, um sowohl große als auch kleine Unternehmen dort unterzubringen. Im Augenblick arbeiten an diesem
Standort ganz unterschiedliche Firmen wie Siemens, Biosynth oder Teile des Finanzamts. Dass ein neues Immobilienkonzept nicht schaden kann, verdeutlicht auch die Tatsache, dass im Augenblick rund ein Drittel der Flächen leer steht. Diese Lücke haben Pharmaunternehmen nach ihrem Wegzug bis heute hinterlassen.
Für The Plant vor Ort zuständig ist Julia Wilde. Und die sagt an diesem sonnigen Tag der feierlichen Vorstellung des Konzepts: „Wir richten unser Angebot ganz gezielt an den Wünschen der Mieter aus.“Alle denkbaren Einrichtungen wie Kita oder Fitnessclub entstünden nur dann, wenn der Bedarf dafür auch in ausreichendem Maß vorhanden sei. Selbst betreiben oder managen würde The Plant solche Einrichtungen aber nicht – „sehr wohl aber bei der Vermittlung helfen“. Ein bereits existierendes Vorbild, an dem sich The Plant orientieren würde, gibt es noch nicht, wie Julia Wilde betont. Die Idee einer neuen und besseren Arbeitswelt sei ergebnisoffen und dürfe sich nach den Vorstellungen der Mieter entwickeln.
Gegen Mittag strömen dann auch neugierige Arbeitnehmer von allen Seiten der Bürogebäude herbei und informieren sich an den Informationsständen, die The Plant aufgebaut hat. Neben Espresso und Limo gibt’s belegte Brötchen. Thomas Huber präsentiert sich als Kooperationspartner mit seiner Reichenauer Gemüsekiste, die er den Mitarbeitern auf Wunsch vor die Bürotür stellt. Volkmar Zingel, der am Standort Konstanz Chef eines Unternehmens ist, das sich mit Arzneimittelzulassungen beschäftigt, zeigt sich überrascht: „Bis heute habe ich von The Plant nicht viel mitbekommen.“Grundsätzlich begrüßt er es aber, dass sich etwas in der Welt der Arbeit bewegt, denn auch er kennt die Schwierigkeiten, in Zeiten des Fachkräftemangels gute Mitarbeiter zu binden.
Eine wichtige Rolle bei The Plant soll die Digitalisierung spielen. Eine Art elektronischer Pförtner soll am Empfang Informationen bereitstellen, Fragen beantworten und Hilfe anbieten. Das gilt auch für die The Plant App, mit deren Hilfe sich möglichst alle Menschen, die vor Ort arbeiten, vernetzen sollen. Egal ob es darum geht, sich als Kollegen kennenzulernen, Mitteilungen am virtuellen schwarzen Brett zu lesen oder lokale Dienstleistungen wie Blumenlieferung oder Textilreinigung zu buchen.
Erst mal ’nen Baum pflanzen
Nachdem die Häppchen gegessen und die Biolimonade getrunken ist, begeben sich Tanja Lenz und Cristina Bäppler ans Rednerpult. Vor ihnen klafft ein ausgehobenes Loch in der Erde, in das gleich ein Baum gepflanzt werden wird. Cristina Bäppler breitet vor den Zuhörern noch einmal jene Zukunftsvisionen aus, die wieder darin gipfeln, dass der Arbeitsplatz von morgen einer ist, auf den sich die Angestellten schon am Wochenende freuen. Robert, der bei Siemens arbeitet, fängt an zu kichern und sagt: „Ich mag meine Arbeit. Aber schöner als Freizeit wird sie auch in Zukunft nicht sein.“