Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Bräuche von Martini bis Weihnachten
Prominenter Redner Werner Mezger hält Vortrag in Bad Saulgau
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BAD SAULGAU - Werner Mezger, Wissenschaftler für Kulturanthropologie und Ethnologie, hat am Dienstagnachmittag auf Einladung der ökumenischen Seniorenbewegung im voll besetzten Saal des evangelischen Gemeindehauses Bad Saulgau einen Vortrag über Bräuche von Martini bis Weihnachten gehalten. Fritz Weiß von der ökumenischen Seniorenbewegung bezeichnete bei seiner Begrüßung den bekannten Redner als einen Höhepunkt im Jahresprogramm. Der mit so viel Vorschusslorbeeren bedachte Mezger bewies, dass er nicht nur ein profunder Kenner der Brauchtumskultur, sondern auch ein humorvoller Zeitgenosse ist.
„Feste gaben dem gesellschaftlichen Leben der früheren Jahrhunderte, die zyklischer verliefen als unsere heutige linear verlaufende Zeit, die Struktur“, sagte Mezger bei seiner Einführung in die Feste und Bräuche der vorweihnachtlichen Zeit. Der Martinstag ist im Kirchenjahr der 11. November und erinnert an die Grablegung des Bischofs Martin von Tours am 11. November 397 und ist in ganz Mitteleuropa von zahlreichen Bräuchen geprägt. In der von Byzanz beeinflussten Christenheit lag der Martinstag am Beginn der Fastenzeit, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein – in den orthodoxen Kirchen teilweise bis heute – vor Weihnachten begangen wurde.
Fett, Schmalz und Eier
Der Tierbestand, der nicht durch den Winter gefüttert werden konnte, musste reduziert werden, vorhandene und nicht Fastenzeit taugliche Lebensmittel wie Fett, Schmalz und Eier mussten verbraucht werden. Am letzten Tag vor Beginn dieser Fastenzeit konnten die Menschen noch einmal schlemmen. Als Brauch ist heute vor allem das Martinsgansessen verbreitet. Als Sekundärlegende, die diesen Brauch im Nachhinein zu erklären versucht, ist es die Legende von den Gänsen, die den heiligen Martin verraten haben. Noch relativ neu, aber dafür populär, sind die symbolträchtigen St-Martins-Umzüge mit dem Rollenspiel der Mantelteilung als Appell zum mitmenschlichen Helfen.
Adventsfasnet hieß die Nacht vor dem Fastentag. Die Zahl elf galt im Mittelalter als eine närrische Zahl. Damit vermischte sich Christliches und Karnevalistisches zum heutigen Fasnetsbeginn. In die Zeit fiel auch der Brauch der Licht- und Spinnstuben, der Treffpunkt der unverheirateten Frauen. Er diente nicht nur der Geselligkeit, sondern hatte auch ökonomische Gründe: Vor Einführung der elektrischen Beleuchtung konnten so Kienspäne, Kerzen, Öllampen sowie Heizmaterial durch die gemeinschaftliche Nutzung effizienter genutzt und damit eingespart werden. Sie waren damit Orte einer sehr lebendigen dörflichen Kultur, die darauf abzielte, Arbeit und Leben miteinander zu versöhnen.
Es war vielfach üblich, dass die Burschen die Mädchen am Ende des Abends besuchten und nach Hause begleiteten.
Wirken des heiligen Nikolaus
Der Adventskranz ist ein junger Brauch. 1839 ließ der evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern in Hamburg einen hölzernen Leuchter mit 23 Kerzen aufhängen. Er diente als Visualisierung zum Abzählen der Tage bis Weihnachten. In der katholischen Kirche hat der Adventskranz wie auch der obligatorische Adventskalender erst nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug gehalten. Mit der populärste vorweihnachtliche Brauch ist der Nikolaustag am 6. Dezember. Das Wirken des heiligen Nikolaus hat zu vielfältigen Legendenbildungen beigetragen, die im Laufe der Jahrhunderte dazu führten, dass er als einer der wichtigsten Heiligen angesehen wurde. Die Legenden basieren allerdings nicht nur auf dem Leben des Bischofs von Myra, sondern auch auf denen eines gleichnamigen Abtes des Klosters Sion bei Myra, der später Bischof in Pinara war. Die bekannteste Legende von der Mitgift an drei arme Mädchen hat ihn zum Schenkheiligen gemacht.