Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Wir senken die Steuern erheblich“
Bundesfinanzminister Olaf Scholz will auch nach 2019 ohne Neuschulden auskommen
BERLIN - Viele Entscheidungen der Koalition werden sich unmittelbar auf den Geldbeutel der Steuerzahler auswirken. Davon zeigt sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz überzeugt. Eine komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags hält der SPD-Politiker aber für ungerecht. Warum, erklärt er im Gespräch mit Andreas Herholz und Markus Sievers.
Herr Scholz, der Bundestag verabschiedet den Haushalt 2019, den sechsten hintereinander ohne neue Schulden. Die Opposition kritisiert, die schwarze Null sei eine Mogelpackung und tatsächlich eine rote Null. Rechnen Sie sich den Etat schön?
Nein, sicher nicht. Der Haushalt 2019 sieht schon in der Planung keine neuen Schulden vor. In diesem Jahr werden wir am Ende aller Voraussicht nach mit einem Überschuss abschließen. Das ist eine gute Grundlage für die nächsten Jahre und wappnet uns auch für mögliche Rückschläge. Meine Haushaltspolitik zielt darauf, dass wir nicht nur für 2019, sondern auch danach ohne neue Schulden auskommen.
Sie selbst haben im Bundestag vor konjunkturellen Risiken und einem Rückfall in die Zeiten neuer Schulden gewarnt. Wie sicher ist die schwarze Null in Zukunft noch?
Die deutsche Wirtschaft wird auch in den nächsten Jahren wachsen. Allerdings werden voraussichtlich die Steigerungsraten geringer ausfallen als zuletzt. Deutschland verzeichnet Rekordbeschäftigung, die weiter zunimmt. Dennoch mahne ich zur Vorsicht, weil der Aufschwung sich zwar fortsetzt, aber etwas an Kraft verliert.
Andererseits steigen die Einnahmen und die Steuerquote kräftig. Ist es da nicht an der Zeit, die Bürger deutlicher zu entlasten?
Natürlich, deshalb senken wir die Steuern in erheblichem Umfang. Für das kommende Jahr sind deutliche Verbesserungen für Familien vorgesehen. Wir erhöhen das Kindergeld und den Kinderfreibetrag. Wir verändern den Steuertarif, um die kalte Progression auszugleichen. Und die Koalition hat weitere Entscheidungen getroffen, die sich unmittelbar auf den Geldbeutel auswirken. Die Krankenversicherung wird künftig wieder halbe-halbe von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt. Wir senken den Arbeitslosenbeitrag. Eine vierköpfige Familie mit einem Jahreseinkommen von 42 000 Euro hat dann 400 Euro im Jahr mehr zur Verfügung, ab 2020 sogar noch mehr – das ist viel Geld. Geringverdiener zahlen weniger in die Rentenkasse ein, ohne dass ihre Ansprüche dadurch abnehmen. Und wir werden 2021 den Solidaritätszuschlag abschaffen für 90 Prozent der Bürger, die ihn heute zahlen. Das bringt abermals eine dauerhafte Senkung der Steuern von zehn Milliarden Euro pro Jahr.
Der Ruf wird lauter, den Soli komplett abzuschaffen. Was spricht dagegen?
Dieser Vorschlag ist nicht gerecht. Wieso? Da verweise ich gerne auf eine kleine Rechnung: Wenn wir den Soli wie geplant für 90 Prozent derer abschaffen, die ihn heute zahlen müssen, bedeutet dies Mindereinnahmen von zehn Milliarden Euro pro Jahr. Wenn man den Soli für die übrigen zehn Prozent streichen würde, kostet dies abermals fast zehn Milliarden Euro. Unter denen sind also Steuerzahler, die sehr hohe Summen verdienen, auch einige Politiker.
Sie haben ein gemeinsames Budget für die Eurozone vorgeschlagen, um die Währungsunion jetzt zu stärken. Welches Volumen schwebt Ihnen vor?
Als wir den Euro eingeführt haben, hatten wir viele Regeln, aber als gemeinsame Institution der Euroländer nur die Europäische Zentralbank. Das hat nicht ausgereicht, wie sich in der Finanzkrise gezeigt hat. Das kam uns teuer zu stehen. Inzwischen gibt es mehrere Einrichtungen wie den Banken-Abwicklungsfonds oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Das sind wichtige Fortschritte. Jetzt müssen wir die nächsten Schritte gehen, um bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten frühzeitig handeln zu können. Das Eurozonen-Budget gehört zu solchen Instrumenten. Es soll ab 2021 Teil des EU-Haushalts sein, den genauen Umfang werden wir in den nächsten Monaten miteinander besprechen. Zudem habe ich eine Rückversicherung für die nationalen Sicherungssysteme für Arbeitslose vorgeschlagen.
Wird die EU so nicht immer mehr zu einer Sozial- und Transferunion?
Nein, ausdrücklich nicht. Mein Konzept für eine europäische Rückversicherung für die Arbeitslosenunterstützung führt keine Transfers ein. Etwas ganz Ähnliches gibt es in den USA – die Einzelstaaten zahlen alle in einen Fonds ein, aus dem sie in Krisenzeiten günstige Kredite beziehen können, um eben nicht Leistungen zu kürzen oder Beiträge anheben zu müssen. Diese Kredite müssen sie später zurückzahlen. Die Idee hat breite Unterstützung gefunden, nicht nur bei Wissenschaftlern, sondern sogar bei Friedrich Merz. Erst seit er in die Politik zurückgekehrt ist, will er davon plötzlich nichts mehr wissen.
Die EU-Kommission will ein Defizitverfahren gegen Italien eröffnen. Droht eine neue Eurokrise?
Nein, uns droht keine neue Eurokrise. Die Staaten der Europäischen Union haben gemeinsame Regeln vereinbart, die für unsere Währung wichtig sind und an die sich alle halten sollten. All dies geschieht aber jeweils in nationaler Verantwortung, das gilt auch für Italien.
Die Regierung in Rom bleibt aber auf Konfrontationskurs. Wie sollte die EU reagieren?
Eine Regierung, deren Staatsverschuldung 130 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht hat, muss vorsichtig agieren. Die Vorschläge der EU-Kommission in Richtung Italien sind sachgerecht. Es ist konsequent, jetzt die nächsten Schritte zu gehen. Darüber werden wir in Europa natürlich diskutieren. Im Übrigen sind nicht alle Ideen der italienischen Regierung falsch. Etwa die Forderung nach einer Absicherung gegen Langzeitarbeitslosigkeit ist nachvollziehbar: Eine solche Sicherung gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen EU-Ländern längst. Klar ist aber: Wenn man so viele Schulden hat, muss man mit Augenmaß agieren und kann nicht alle Projekte gleichzeitig auf den Weg bringen.