Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Aus Vogter Torf wird Moor für Heilbäder
Einziges Abbaugebiet in Baden-Württemberg – Wie das Material in die Kurstädte kommt
VOGT/BAD WURZACH - Betreten verboten. Dieses Schild steht am Anfang eines Feldwegs in der Nähe von Vogt. Der Weg führt in ein Gebiet, das in Baden-Württemberg einzigartig ist: das Torfabbaugebiet Reichermoos. Durchschnittlich vier- bis fünfmal in der Woche fährt ein Kipplaster diesen Weg entlang hinein ins Abbaugebiet. Am Ende des Weges steht ein einsamer Bagger. Rechts und links davon eine weite Ebene, auf der kaum etwas wächst. Vereinzelt sieht man kleine Bäume, vertrocknetes Gras, Moos und ein paar Büschel Heidekraut. Dahinter kommt Wald. Bis auf entferntes Vogelgezwitscher ist es still. Das Moor ist eine ungewöhnliche Landschaft. Schön und gefährlich. Gefährlich?
Der Fahrer parkt den Laster und wechselt in den Bagger. Mit der Baggerschaufel sticht er in den schwarzbraunen Untergrund und schaufelt den Torf auf die Ladefläche des Lastwagens. Der Bagger steht auf großen Holzbalken. Jedes Mal, wenn sich die Schaufel in den Boden gräbt, geben die Balken ein Stück nach und wackeln. Fest ist das Moor nur scheinbar. Es besteht zum überwiegenden Teil aus Wasser. Hin und wieder trifft die Schaufel eine Wasserlinse, einen Hohlraum im Torf, der mit Wasser gefüllt ist. Eben diese Linsen machen das Moor gefährlich, erklärt bei einem Pressetermin Alfons Diem, der für den Zweckverband „Moorgewinnung Reichermoos“die Geschäfte führt. „Sie sehen die Wasserlinsen von oben nicht“, sagt er und erzählt, wie er selbst einmal im Winter eingebrochen ist. „Es lag Schnee und Eis. Ich wollte ein Foto machen, bin einen Schritt zurück. Das Eis ist gebrochen, aber unter dem Eis war eine Wasserlinse. Ich sank bis zu den Hüften in das Moor. Ohne fremde Hilfe wäre ich nicht mehr rausgekommen. Der Sogeffekt zog mich runter“, erzählt er. Eben aus diesem Grund geht Diem nicht mehr gerne allein in das Abbaugebiet, wenn es viel geregnet hat oder der Schnee schmilzt. Und eben aus diesem Grund ist das Betreten dieses Gebietes für Spaziergänger verboten. „Im Abbaugebiet lauert Gefahr“, sagt Diem. Eine unsichtbare Gefahr.
Etwa zwei Meter tief holt der Bagger den Torf aus dem Boden. Die oberste Schicht, etwa zwanzig Zentimeter, hat er zuvor beiseitegelegt. Das gesamte Abbaugebiet ist etwa 20 Hektar groß. Auf etwa 30 Prozent davon wurde laut Diem bisher Badetorf abgebaut, im Verlauf von 22 Jahren. So lange gibt es den Zweckverband, der die Fläche vom Land BadenWürttemberg gepachtet hat. Seine Mitglieder sind die bekannten oberschwäbischen Kurorte: Bad Wurzach, Bad Waldsee, Bad Buchau und Bad Schussenried. Der Torf, den der Bagger auf den Laster lädt, ist braunschwarz, triefend nass und riecht – nach nichts. „Das ist Schwarztorf“, erklärt Diem. Schwarztorf ist der tiefer liegende Torf. Er ist älter und dunkler als der Weißtorf, der darüberliegt. Dieser war auch im Reichermoos einmal über dem Schwarztorf. Doch er wurde bereits abgebaut, nicht als Heilmittel, sondern für den Gartenbau.
Torf wird auch „Schwarzes Gold“genannt
Sobald der Laster voll beladen ist, macht er sich auf den Weg. Sein Ziel sind die Kureinrichtungen in Bad Wurzach, Bad Waldsee oder Bad Buchau. Geladen hat er „Schwarzes Gold“. So wird der Torf auch genannt. Was ihn als Heilmittel so wertvoll macht, sind seine Inhaltsstoffe. In tausenden von Jahren ist er aus den Pflanzen entstanden, die auf dem Moor wuchsen, abstarben und sich langsam zersetzten, darunter vor allem die sogenannten Torfmoose. Das Reichermoos ist ein Hochmoor. „Das hat nichts mit der Höhe zu tun“, erklärt Diem. „Hochmoore werden allein vom Niederschlag gespeist. Niedermoore vom Grundwasser.“Wasser spielt für die Entstehung eines Moores und seinen Fortbestand eine wichtige Rolle. „Ohne Wasser kein Moor. Wenn Sie das Gebiet trockenlegen würden, würde sich der Torf in Humus verwandeln.“Auch wenn es nicht so aussieht: Auch am Reichermoos ist der außergewöhnlich trockene Sommer nicht spurlos vorüber gegangen. „So trocken habe ich das Moor noch nie gesehen“, sagt Diem.
Beim Gesundheitszentrum in Bad Wurzach angekommen, lädt der Laster seine dunkle Fracht ab. 3000 bis 4000 Kubikmeter Torf werden im Schnitt jährlich abgebaut. Es ist eine sehr feuchte, aber auch feste Masse. Nichts, worin man baden könnte. Damit sich das ändert, wird der Torf an Ort und Stelle aufbereitet. In mehreren Arbeitsschritten wird er mechanisch zerkleinert und mit der „Moormühle“gemahlen. Baumstümpfe und Äste werden von Hand aussortiert. Dem Torf wird Thermalwasser zugesetzt, sonst nichts. „Das Moor hat einen PH-Wert von 4. Es ist so sauer, dass Keime nicht darin überleben können“, sagt Diem. Durch die Aufbereitung entsteht etwas, das wie schwarz gefärbtes Wasser aussieht. Es riecht erdig und ein bisschen metallisch. Die Flüssigkeit wird auf 40 bis 42 Grad erhitzt. Jetzt kann man darin baden. 20 Minuten dauert ein Moorvollbad.
Abgebauter Torf nur in Oberschwaben verwendet
Im Schnitt würden die Gäste in Bad Wurzach 8000 Moorvollbäder im Jahr nehmen, Tendenz steigend, erklärt Markus Bazan, Geschäftsführer des Städtischen Kurbetriebs. Dazu kämen 6000 Moorpackungen. Dafür sinke der Verbrauch in Bad Waldsee und Bad Buchau, in Bad Schussenried würden gar keine Moorbäder mehr angeboten. „Insgesamt wird weniger abgebaut“, sagt Diem. Der abgebaute Torf wird allein in Oberschwaben verwendet. „Wir verkaufen nichts“, betont Diem. Nach dem Bad wird der „Moorbrei“abgelassen und ins Wurzacher Ried geleitet. Dort kann er sich erholen. Nach Schätzung von Diem reichen die vorhandenen Vorräte im Abbaugebiet noch für mehrere Jahrzehnte. Danach könnte es sein, dass man den Torf nutzt, der sich im Wurzacher Ried bis dahin erholt hat.