Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Streit um Gentests an Eizellen landet vor Gericht
Münchner Labor will die Ethikkommission in bestimmten Fällen umgehen
ANSBACH (dpa) - Untersuchungen an Embryonen unterliegen in Deutschland strengen gesetzlichen Regelungen. Warum das so ist, zeigt nicht zuletzt die jüngste Schocknachricht aus China. Dort behauptet der Forscher He Jiankui, die ersten genmanipulierten Menschen erschaffen zu haben, indem er Embryonen vor dem Einpflanzen in den Mutterleib genetisch veränderte.
Wer in Deutschland menschliche Keimzellen verändert, dem drohen laut Embryonenschutzgesetz bis zu fünf Jahren Gefängnis. Nur unter besonderen Umständen darf ein Embryo vor dem Einpflanzen überhaupt genetisch untersucht werden (Präimplantationsdiagnostik, kurz PID). Entweder muss das Risiko schwerer Erbkrankheiten bestehen – oder die hohe Wahrscheinlichkeit einer Totoder Fehlgeburt. PID-Ethikkommissionen entscheiden darüber, ob eine Untersuchung erlaubt ist.
Das Münchner Labor Synlab will diese strenge Regelung nicht hinnehmen und streitet vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in Ansbach dafür, bestimmte Untersuchungen durchführen zu dürfen, ohne vorher die Kommission um Erlaubnis zu fragen. Die Landeshauptstadt München hat das untersagt.
Am Donnerstag befasste sich das Gericht mit dem Fall. Ein Urteil soll am kommenden Montag verkündet werden. Das Gericht beabsichtigt allerdings, die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zuzulassen – zu grundsätzlich sei die Bedeutung. Synlab begründet die Klage damit, dass die sogenannten Trophektodermbiopsien, um die es vor Gericht geht, gar nicht unter das Embryonenschutzgesetz fallen. Bei der Untersuchung würden nicht dem Embryo direkt Zellen entnommen, sondern dem umgebenden Gewebe, aus dem nach einer Einnistung in die Gebärmutter der Mutterkuchen entsteht. „Es geht nicht um PID im engen Sinne“, sagt Laborleiterin Claudia Nevinny-Stickel-Hinzpeter. Erblich belastete Zellen sollten nicht aussortiert werden, es werde lediglich untersucht, ob eine Zelle sich überhaupt einnisten kann und die Frau schwanger wird. Das sei vor allem für Frauen ab 35 wichtig. Denn die hätten „ein dramatisch hohes Risiko, dass ihre Kinderwunschbehandlungen scheitern“.
Von einem „Trick“zur Umgehung der rechtlichen Regelung spricht dagegen der Münchner Medizinethiker Georg Marckmann von der LudwigMaximilians-Universität. Ziel des Die chinesische Regierung hat dem Wissenschaftler He Jiankui und seinen Mitarbeitern weitere Forschungsaktivitäten untersagt. Die von He berichtete Erzeugung genmanipulierter Babys sei „äußerst abscheulicher Natur“und verletze chinesische Gesetze und die wissenschaftliche Ethik, sagte der stellvertretende Wissenschaftsminister Xu Nanping der Nachrichtenagentur Xinhua. Zuvor hatten sich schon die Nationale Gesundheitskommission des Landes und die Chinesische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie (CAST) von He distanziert. He hatte zu Wochenbeginn mit einem auf Youtube veröffentlichten Video bei Wissenschaftlern und Ethikern weltweit für Entsetzen gesorgt. Darin hatte er die Geburt der ersten genmanipulierten Babys Lulu und Nana verkündet. (dpa)
Embryonenschutzgesetzes sei es, den Embryo davor zu schützen, nicht eingepflanzt zu werden. Und ob die Erkenntnisse, die dazu führen, dass dies nicht geschieht, aus dem Embryo selbst oder dem Gewebe drumherum stammen, sei völlig egal. „Was zählt, ist ja die Konsequenz: die Nichteinpflanzung aufgrund einer genetischen Untersuchung.“
Das Embryonenschutzgesetz sei offen für Interpretationen, sagt Marckmann aber auch. „Es kann durchaus ethisch vertretbar sein, weitere Anwendungen der PID zuzulassen. Dies sollte dann aber über eine Ergänzung und nicht Umgehung der rechtlichen Regelung erfolgen.“
300 bis 400 Fälle im Jahr
Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Claudia Wiesemann, würde es begrüßen, „wenn die bürokratische Prozedur vor der Durchführung der Präimplantationsdiagnostik erleichtert würde“. Denn in der Regel seien die Familien, die die Anträge stellen, durch ein schwerbehindertes Kind oder mehrere Fehlgeburten schon belastet. „Diesen Paaren sollte man ihre Situation durch ein aufwendiges Verfahren und hohe finanzielle Gebühren nicht noch schwerer machen.“
Wie viele Anträge auf eine PID bei den verschiedenen Ethikkommissionen in Deutschland gestellt werden, wird nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nicht zentral erfasst. Wiesemann geht von 300 bis 400 Fällen im Jahr aus.
„Es kann zum Problem werden, dass die Kommissionen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich entscheiden und es keine übergeordnete Instanz – also auch keine Möglichkeit zur Berufung gibt“, sagt Wiesemann. In vergleichbaren Fällen habe die bayerische Kommission beispielsweise strenger geurteilt. Die Gefahr uneinheitlicher Entscheidungsstandards sieht auch Marckmann. Eine bundesweit zuständige Kommission wäre konsequent, meint er. „Aber sie wäre auch ein Bürokratiemonster.“