Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Schatten der Kolonialzeit
Belgien und der Kongo: Africamuseum in Tervuren wieder eröffnet
TERVUREN - Die Erinnerung an die koloniale Vergangenheit fällt Belgien nicht leicht. Lange wurde im Land gerungen um die Neukonzeption des Africamuseums in Tervuren bei Brüssel. Nun wird es wieder eröffnet. Aber das Museum will zu viel.
Zwei Pariser Touristen stehen vor einer Tierfigur, die an Stelle des Rückgrats eine Öffnung aufweist. Sie rätseln, welchem Zweck das etwa 1895 entstandene, in der Kolonialzeit ins Brüsseler „Kongomuseum“verbrachte Ding wohl gedient haben mag. Da nähert sich ein aus dem Kongo stammender Belgier mit seinen kleinen Töchtern. Er hockt sich vor die Skulptur und fängt an, mit flachen Händen auf das Holz zu schlagen. Es ist eine Spalttrommel aus seiner Heimat.
Die kleine Szene spielt, kurz bevor das heute Africamuseum genannte Haus wegen Umbauarbeiten für fünf Jahre geschlossen wurde. Sie verdeutlicht, was die Debatte um die Geschichte, die Neuinterpretation einer der größten europäischen Sammlungen zentralafrikanischer Artefakte am Stadtrand von Brüssel befeuert hat. Unter Einheimischen heißt das Haus einfach nur das „Kolonialmuseum“. Hier präsentierte Belgien über viele Jahrzehnte der Welt unbefangen seine auf Raubzügen in Ruanda, Burundi und Kongo erbeuteten Schätze.
Millionen Tote
Über die blutige, fast achtzig Jahre währende koloniale Unterdrückung des Kongo, die nach jüngerer Forschung bis zu acht Millionen Kongolesen das Leben gekostet haben soll, wurde im Land kaum gesprochen. Das änderte sich erst zu Beginn des Jahrtausends, als der US-Journalist Adam Hochschild die Verbrechen aufarbeitete. Eine Parlamentskommission kam zu dem Schluss, dass der belgische Geheimdienst in die Ermordung Patrice Lumumbas, des ersten frei gewählten Regierungschefs des Kongo, verwickelt gewesen ist. Hochschilds Buch „Schatten über dem Kongo“hatte auf die belgische Gesellschaft eine ähnlich kathartische Wirkung wie die populärwissenschaftlich aufbereitete Holocaust-Forschung auf das Deutschland der 1970er-Jahre.
Das Museum will zuviel
Schaut man heute auf das wieder eröffnete Haus, scheint es vor widerstreitenden Ansprüchen und Erwartungen aus den Nähten zu platzen. Eingangsbereich, Garderobe und Museumsshop wurden in einen glaswürfeligen Neubau im Park ausgelagert. Von dort gelangt man unterirdisch durch das ehemalige Magazin ins alte Museumsgebäude. So konnten die ursprünglich 6000 Quadratmeter Ausstellungsfläche auf 11 000 Quadratmeter erweitert werden. Obwohl nur ein Bruchteil des Bestandes gezeigt wird, reicht diese Fläche nicht aus. Zu viele Themen, widerstreitende Interpretationen, unterschiedliche Erwartungen wurden in die elf Säle gepresst. Das neue Museum will zu viel.
In einem der kleineren Räume drängen sich zwei Millionen Jahre zentralafrikanischer Geschichte. Ein einsamer Zahn legt Zeugnis ab von Afrika als Wiege der Menschheit. Das mächtige Königreich der Luba muss sich dafür mit einem kleinen Schaukasten begnügen.
Der zuständige Kurator der anthropologischen Abteilung führt am Eröffnungstag selbst und äußert sich erleichtert, dass keine sterblichen Überreste in den Magazinen lagern. Wenigstens diese Verwicklung bleibe ihm erspart. Der Mann, der den zur Stätte passenden Namen Alexandre Livingstone Smith auf dem Namensschild trägt, berichtet von anderen Problemen.
Politiker kontra Museumsleute
Die Hälfte der ruandischen Exponate wurde im Rahmen von Restitutionsvereinbarungen nach Kigali verschifft. „Mit den ruandischen Kollegen waren wir uns einig, dass es für alle das Beste wäre, den gesamten Bestand zu digitalisieren und dann an beiden Standorten nur noch Kopien auszustellen. Die Politik sah das aber anders.“
Direkt nebenan kann sich der Besucher im „Salle des Crocodiles“einen Eindruck verschaffen, wie das Museum vor der Renovierung aussah. Die Wandfresken wurden aufgefrischt, die Glasvitrine aufgemöbelt. Aber die zwei großen Echsen beherrschen noch immer den Raum. Ziemlich genau so wurde den Besuchern schon vor 100 Jahren das wilde exotische Afrika ihrer eigenen Fantasie gespiegelt. Wer es nicht selber merkt, den klärt der Begleittext auf: Hier handelt es sich um ein Museum im Museum.
Allerdings wurden in dem Bemühen um optische Auffrischung viele der ausgestopften Tiere aus ihren Diaramas hinter Glas befreit. Das wirkt durchaus eindrucksvoll, wenn zum Beispiel der Löwe sprungbereit auf seinem Schaukasten lauert oder sich die Hyäne vor dem Auge des Betrachters über einen Antilopenkadaver hermacht. Sämtliche Exponate mussten dafür aber entgiftet werden, denn ohne gläserne Ummantelung ist die Gefahr des Schädlingsbefalls deutlich größer.
Dekolonisierung fängt erst an
Die beiden großen Säle, die der Flora, Fauna und den natürlichen Ressourcen Zentralafrikas gewidmet sind, wurden durch multimediale Elemente dem Zeitgeschmack angepasst. Einen der Eckräume dominiert ein Roboter der kongolesischen Ingenieurin Therèse Izay Kirongozi namens Moseka – also Mädchen. Er wurde eigens für die neue Ausstellung gebaut. In der Nachbarschaft von ausgestopften Tieren, rituellen Masken und Tonscherben wirkt das Robotermädchen fehl am Platze.
Die Geschichte der Kolonialzeit, die noch immer wie ein großer Schatten über der gesamten Ausstellung hängt, wird in einem der größeren Säle abgehandelt. Noch spannender aber ist, was in einem kleinen Kellerraum, quasi auf dem Schrottplatz der Geschichte landete: Bronzeskulpturen blutrünstiger „Wilder“ und eine elfenbeinverkleidete Büste von König Leopold II.. Im Jahr 1900 wurden im Hafen von Antwerpen 5000 Tonnen Elfenbein entladen, was den Stoßzähnen von 80 000 Elefanten entspricht. Wer die Jugendstilpracht in Brüssels Straßen bewundert, sollte wissen, woher der Reichtum stammt.
„Der Prozess der Dekolonisierung fängt bei uns erst an“, sagt Museumsdirektor Guido Gryseel und begründet damit, warum die Debatte zwar schon zur Jahrtausendwende begann, der Umbau aber erst 2013 beginnen konnte. Bis zur Schließung vor fünf Jahren sei die Plakette mit der Inschrift „Belgien bringt dem Kongo die Zivilisation“zu sehen gewesen. Man könne ja Respekt haben für die vielen Menschen, die „da unten“gearbeitet haben. „Aber das System war schlecht. Im Namen des Museums übernehme ich die Verantwortung für den Überlegenheitsanspruch, der in der Ausstellung zum Ausdruck kam.“Deshalb sei die afrikanische Diaspora in Belgien von Anfang an in die Neugestaltung einbezogen worden.
Afrikaner im Komitee
Wissenschaftler, belgische Politiker, aus Kinshasa angereiste Gäste – sie alle stellen unterschiedliche Erwartungen an das neue Museum. Deshalb will es zu viel. Fragt man allerdings Billy Kalonji vom beratenden Komitee der afrikanischen Diaspora, so will es noch immer nicht genug – oder das Falsche. Wenn er „sein“Museum in Tervuren besucht, denkt er an seine Mutter und an seine Tochter. Als er seiner Mutter vor einigen Jahren die Schätze zeigte, die damals noch im Magazin des Gebäudes lagerten, sagte sie: „Die Belgier haben uns immer gesagt, die Sachen seien wertlos und schlecht. Ich wusste schon damals, dass das nicht stimmt.“
Kalonji hofft, dass seine Tochter bei einem Besuch dieses Hauses stolz auf ihre Wurzeln sein kann, aber auch versteht, warum sich ihr Vater als junger Zuwanderer so oft gedemütigt und herabgesetzt fühlte. Er möchte, dass sie erfährt, dass der belgische König zum Amüsement seiner Landsleute 1897 ein kongolesisches Dorf in seinem Park ausstellen ließ, was sieben der Dorfbewohner mit dem Leben bezahlten.