Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Mit viel Kaffee auf über 8000 Meter
Extrembergsteiger und gebürtiger Aulendorfer Thomas Lämmle besteigt höchste Berge ohne Sauerstoffgerät
AULENDORF/WALDBURG - Kurz vor dem Gipfel, im Hochlager, trinkt Thomas Lämmle Kaffee – viel Kaffee. Heiß läuft das Getränk aus gerösteten Bohnen die Kehle hinunter und lässt Wärme sich im Körper ausbreiten. Hart stößt er die eiskalte, dünne Luft aus. Dann geht’s die letzten Höhenmeter hinauf auf über 8000 Meter.
Das Atmen fällt ihm schwer. Auf dem Gipfel angekommen, schweift sein Blick in die Ferne. Ein erhebendes Gefühl, mutterseelenallein auf dem Lhotse zu sein. Der Lhotse ist mit 8516 Metern der vierthöchste Berg der Welt. Die Sonne scheint, der Wind bläst, es hat Minusgrade, unter ihm liegen die Gipfel der anderen Berge des Himalaja wie ein spitziger Teppich, nur einer ist höher: der Mount Everest, der höchste Berg der Erde. Den kann er vom Gipfel aus erblicken. Das war am 21. Mai dieses Jahres. Acht Tage zuvor war er auf dem Makalu, mit 8475 Metern der fünfthöchste Berg der Welt.
Auf dem Weg auf den Mount Everest hat der geborene Aulendorfer auch schon Kaffee getrunken. „Kaffee ist natürliches Doping, deswegen trinke ich in der Höhe Kaffee bis zum Abwinken“, berichtet der 53-jährige Waldburger. Kaffee stimuliert nämlich die Atmung, erhöht die Atemfrequenz. Das verstärkt das Abatmen von CO aus der Lunge, was mehr Platz schafft für Sauerstoff. Deswegen hat Thomas Lämmle seine ganz eigene Atemtechnik entwickelt: bewusst gegen einen Widerstand, also die Lippen, mit hoher Frequenz ausatmen und damit CO aus der Lunge abatmen. Der Sauerstoffanteil in der Lunge und der Sauerstoffdruck werden mit dieser Technik erhöht. Es ist ein ähnlicher, wenn auch ein weitaus stärkerer Effekt wie bei der natürlichen Hyperventilation, beschreibt das der Bergsteiger.
Immer allein unterwegs
Regelmäßig steigt der Lehrer an der Leopoldschule in Altshausen auf die höchsten Berge dieser Welt. Allein in diesem Jahr war er schon dreimal auf seinem Trainingsberg, dem Kilimandscharo (5895 Meter) in Tansania, zweimal auf dem Elbrus (5642 Meter) im Kaukasus, dem Makalu (8475 Meter) in Tibet und schließlich dem Lhotse (8516 Meter) an der nepalesisch-chinesischen Grenze. Allein den Kilimandscharo hat er schon 56-mal bestiegen – einer der „7 summits“, die sieben Gipfel der höchsten Berge eines jeden Kontinents. Von denen fehlen ihm nur noch der Mount Vinson in der Antarktis und die Carstensz-Pyramide auf der indisch-australischen Platte.
Doch eine entscheidende Sache unterscheidet Thomas Lämmle von vielen anderen Bergsteigern, die auf dieser Welt unterwegs sind: Lämmle zieht prinzipiell ohne Sauerstoffgerät los. Außerdem trägt er die gesamte Ausrüstung inklusive Zelt selbst. „Das ist, wie wenn bei der Tour de France alle mit dem Motorrad unterwegs sind und ich mit dem Fahrrad“, sagt er. Die Gefahren dabei sind groß: Ohne zusätzlichen Sauerstoff ist die Erfrierungsgefahr deutlich höher, das Blut dickt ein, die Durchblutung wird schlechter. Und noch etwas unterscheidet ihn von anderen: Den Aufstieg absolviert er ohne Begleitung – ganz allein. Wer die nüchternen Fakten hört, der glaubt, dass der 53-jährige Familienvater regelmäßig die Gefahr sucht. Gedanken von Verantwortungslosigkeit mögen manchem in den Sinn kommen. Doch der Waldburger weiß genau, was er tut. Das versichert er glaubhaft.
Dass er alleine auf die Berge geht, sei seine Lebensversicherung und ein Stück weit auch Erfolgsgarantie. „Ich kann nach meinem ganz eigenen Tempo gehen, so schnell und so langsam ich möchte. Ich muss mich niemandem anpassen und kann jederzeit wieder umdrehen, wenn es mir zu viel wird. Wenn man mit jemand anderem unterwegs ist, könnte man dazu neigen, mehr zu wagen, als man eigentlich kann, und dabei sich oder den anderen in Gefahr bringen“, sagt Lämmle. Deswegen verzichte er auch auf ein Sponsoring. Viele Extremsportler und vor allem auch Bergsteiger lassen sich von großen Konzernen wie etwa Red Bull sponsern. „Das könnte einem Druck machen, weiter zu gehen, als man eigentlich kann“, ist er überzeugt. Alleine zu gehen sei die Freiheit, die er für seine Sicherheit brauche. „Ich mach das als Hobby für mich und bin niemandem verpflichtet. Und wenn ich nicht oben war, war ich eben nicht oben. Die Berge bleiben ja.“
Mit der Höhe kennt sich Thomas Lämmle nicht nur physisch als Bergsteiger aus. Neben seinem Lehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten hat er an der Universität Innsbruck in Österreich Sportwissenschaft mit Schwerpunkt Alpinsport studiert und war anschließend als Forschungsassistent am Institut für Sportwissenschaften angestellt. Dort beschäftigte er sich im Rahmen seiner Forschungen mit Höhenphysiologie und Höhenmedizin. Deswegen kann er heute sagen: „Es kommt beim Höhenbergsteigen nicht so sehr auf die Ausdauer an, sondern vielmehr auf die richtige Technik und Taktik – auf Atemtechnik und Akklimatisation.“
Aus diesem Grund besteigt Thomas Lämmle die 8000er auch nicht beim ersten Mal auf einen Rutsch. Das geht in Etappen. Mehrmals steigt er auf und ab. Schläft in der Höhe, steigt wieder nach unten, regeneriert sich und steigt wieder hoch. Die Regenerationsphase sei wichtig, denn über 5500 Meter Höhe baut der Körper nur ab, berichtet er. Für Außenstehende mag die Taktik von Lämmle demotivierend klingen, denn während andere oft mit ihrem Sauerstoffgerät direkt bis nach oben gehen, steigt Lämmle selbst kurz vor dem Gipfelsturm noch einmal bis ganz nach unten ab, um erneut aufzusteigen. Deswegen kann er sagen: „Mir fällt das nicht so arg schwer, weil ich die Berge wissenschaftlich angehe.“
Wie auf einer Mülldeponie
Doch ohne Zweifel wäre ein Aufstieg ohne die Sherpas nicht möglich. Sie sichern die Wege in der Höhe mit Seilen oder Leitern, die über metertiefe Gletscherspalten führen. Doch Thomas Lämmle sieht auch die Schattenseiten seines Hobbys. Wenn er davon erzählt, denkt er an das Everest-Basislager, von dem aus immer mehr Touristen, die das Abenteuer suchen, den Aufstieg starten. „Ich war geschockt von den Menschenmassen und dem Helikopterlärm. Alle fünf bis zehn Minuten startet oder landet hier ein Helikopter“, berichtet er. Denn viele ließen sich auch ein Stück mit dem Helikopter in die Höhe fliegen. Außerdem sehe es mancherorts aus wie auf einer Müllhalde. Viele lassen nämlich ihre Zelte und das Material, das sie nicht mehr brauchen, einfach zurück. Er berichtet von leeren Zeltstädten, Müll, der verbrannt oder einfach in Gletscherspalten versenkt wird.
Nächstes Jahr wird es für ihn wieder steil nach oben gehen – wieder mit viel Kaffee.
Wie es Thomas Lämmle in der Höhe ergeht, was ihn antreibt, immer wieder das Abenteuer zu wagen, und wie es auf über 8000 Meter aussieht, sehen Sie im Video unter