Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kia setzt den Niro unter Strom
Der elektrische, kompakte Crossover soll in der Stadt bis zu 615 Kilometer weit kommen – Zwei Motorisierungen sind verfügbar
Die meisten heimischen Autobauer tun sich mit rein elektrischen Antrieben noch schwer: Nach wie vor sind alltagstaugliche und erschwingliche Fahrzeuge für die breite Kundschaft Mangelware. Ganz anders beim HyundaiKia Mischkonzern, der jetzt vorprescht und zeigt, wie der Umstieg schneller vonstattengehen kann. Die Südkoreaner verpassen Modellen, die sich bereits als Verbrenner und Hybride auf dem Markt behaupten, dicke Batteriepakete und starke Elektromotoren. Mit wachsenden Reichweiten und halbwegs moderaten Preisen lehren sie die europäischen Branchenriesen ein wenig das Fürchten.
Synergien geschickt genutzt
Der erste Paukenschlag kam vor wenigen Wochen von Hyundai. Der 4,18 Meter lange Kona Elektro vermochte mit realistischen Reichweiten von bis zu 500 Kilometern und Preisen ab 34 000 Euro die Motorpresse auf Anhieb zu überzeugen. „Das bisher beste E-Auto auf dem deutschen Markt“, schwärmte der Kollege von der „FAZ“. Aus dem selben Stall wie der kleine SUV fährt am 6. April 2019 der 4,38 Meter lange Kia e-Niro bei den Händlern vor. Antrieb und Technik des elektrischen, kompakten Crossover sind weitgehend identisch mit dem Hyundai Kona, und auch bei den Preisen schenken sie sich nicht viel. Die Plattform teilt er sich mit dem Hyundai Ionic. Die Koreaner verstehen es offenbar, die Synergien im Konzern geschickt zu nutzen.
Bei 167 km/h ist Schluss
Erste Testfahrten mit dem neuen Kia e-Niro lassen keine Zweifel aufkommen: Dieses Elektroauto gibt sich in puncto Technik, Leistung und Reichweite keine Blöße. Obwohl es bis zu 1,8 Tonnen auf die Waage bringt, lässt es die 500 Kilogramm leichteren Benziner und Hybride ziemlich alt aussehen. Mit seinen 204 PS bewegt sich der Kia e-Niro äußerst leichtfüßig über die A8 bei Nizza und jagt zügig durch enge Kurven und über sanfte Hügel im Hinterland der Côte d’Azur. Das maximale Drehmoment von 395 Newtonmetern macht jeden Überholvorgang zu einem Kinderspiel. Der Druck aufs Gaspedal wird direkt und unverzüglich in Bewegungsenergie umgesetzt, wobei aus dem Motorraum kein Heulen mehr dringt. Bei 167 km/h ist allerdings Schluss, dann wird aus Energiespargründen abgeregelt.
Ebenso beherzt wie er beschleunigt, verzögert der e-Niro auch, sobald Gas weggenommen wird. Der Motor arbeitet dann als Generator, der die Batterie auflädt. Mit Schaltwippen am Lenkrad kann der Fahrer die Intensität der Rekuperation in drei Stufen wählen. Das klappt mit etwas Übung ganz gut und schont außerdem die Bremsen. Bei vorausschauender Fahrweise und in normalen Fahrsituationen kann man auf das Bremspedal weitgehend verzichten. Im Automatikmodus erledigt eine Steuerung, die sich der Hilfe der Kamera der adaptiven Geschwindigkeitsregelanlage bedient, das effiziente Zurückgewinnen von Energie. Wie bereits im neuen Kia Ceed bietet der Tempomat eine Staufunktion, das heißt, das Auto bremst nicht nur selbstständig, sondern fährt auch automatisch wieder an. Vom Notbremsassistenten mit Fußgängererkennung über Spurhalter und Spurwechselassistent bis hin zum Querverkehrswarner ist – je nach Ausstattungsvariante – im e-Niro vieles drin, was den Fahrer entlastet und das Fahren sicherer macht.
Passable Platzverhältnisse
Äußerlich ist der e-Niro vom konventionell angetriebenen Modell nur durch den geschlossenen Kühlergrill, pfeilförmige Tagfahrlichter und türkisfarbene Zierleisten zu unterscheiden. Das Interieur in schwarz oder grau kommt recht nüchtern daher. Nur in der Topversion gibt es eine freundliche Ambientebeleuchtung und etwas mehr Glanz und Farbe im Innern. Das automatische Reduktionsgetriebe wird mittels eines Drehschalters auf der Mittelkonsole bedient. Dort befinden sich auch die Tasten für Sitzheizung und -ventilation, Lenkradheizung, Parkbremse und Parksensoren. Die Fahrmodi (Eco+, Eco, Komfort und Sport) können per Knopfdruck vorgewählt werden. Das funktioniert reibungslos, und die Effekte sind erstaunlich.
Der Touchscreen in der Mitte des Armaturenbretts misst sieben beziehungsweise acht Zoll und beinhaltet neben umfassendem Infotainment spezielle Elektrofahrzeug-Funktionen. Das Audiosystem kann mit einer JBL-Anlage aufgewertet werden. Android Auto und Apple CarPlay sind an Bord, ebenso DAB+ und eine induktive Ladestation für Smartphones. Das große Zentraldisplay hinter dem Lenkrad hält den Fahrer über Geschwindigkeit, Ladezustand der Batterie, Reichweite und Rekuperation auf dem Laufenden. Die Sitze könnten etwas ergonomischer geformt sein und mehr Halt bieten, aber an den Platzverhältnissen gibt es nichts zu meckern. Der Gepäckraum fasst 451 Liter, nach Umklappen der Rücksitzlehne (60:40 geteilt) gehen 1405 Liter hinein. Damit kann eine Familie prima zurechtkommen.
Zwei Antriebe stehen zur Wahl: ein Motor mit 136 PS und einer Batteriekapazität von 39,2kWh – damit schafft das Auto nach Angaben des Herstellers eine kombinierte Reichweite von 289 Kilometern. Der Preis für das Basismodell in der Ausführung „Edition 7“startet bei 34 290 Euro – nach Abzug des Umweltbonus sind also gut 30 000 Euro zu berappen.
Die stärkere Version verfügt über einen 204-PS-Motor und einen 64kWh-Akku. Damit sind voll geladen angeblich bis zu 455 Kilometer (kombiniert) zu schaffen. Mindestens 38 090 Euro sind dann als Einstiegspreis fällig. Wer mit „Spirit“die höchste von drei Ausstattungsvarianten wählt und dazu noch Leder und Glasschiebedach ordert, muss fast 48 000 Euro auf den Tisch legen.
Beim Tanken ist Geduld gefragt
Klar, für so viel Geld kann man auch einen konventionell angetriebenen, kompakten SUV aus dem Premiumsegment kaufen. Aber nur wenige dieser angesagten Sportskanonen spurten in 7,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Und bei der Reichweite dürfte der Kia e-Niro zumindest die Benziner übertreffen, denn nach dem neuen Testverfahren WLTP kommt er im City-Zyklus bis zu 615 Kilometer weit. Für das Tanken muss sich der Elektrofahrer allerdings etwas Zeit nehmen: An einer 100-kW-Station ist die flüssigkeitsgekühlte Lithium-Ionen-Polymer-Batterie zwar in 42 Minuten von 20 auf 80 Prozent aufgeladen, an einer Haushaltssteckdose dauert der gleiche Vorgang jedoch fast 18 Stunden.
Gebaut wird der e-Niro in Hwasung in Korea. Wer ihn heute bestellt, muss mit sechs Monaten Lieferzeit rechnen, sagte Produktmanager Steffen Mischulski bei der Vorstellung in Nizza. Gleichzeitig mit dem e-Niro bringt Kia den kleineren Soul – eine Art Mini-Van – als reines Elektrofahrzeug auf den europäischen Markt. Für beide gilt die 7-Jahre-Herstellergarantie – übrigens auch auf die Antriebsbatterie.