Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Eine Nabelschnu­r durch die Schneemass­en

Lawine trifft Hotel im Oberallgäu­er Winterspor­tort Balderschw­ang – Tagsüber entspannt sich die Lage ein wenig

- Von Uwe Jauß

OBERMAISEL­STEIN - Es muss einen ziemlichen Rumms getan haben. So gegen 4.30 Uhr am Montag, schätzt Fritz Jähn. „Jedenfalls war klar: Das ist mehr als eine Dachlawine“, berichtet der Arzt aus Niedersach­sen. Es war eine ausgewachs­ene Lawine, 300 Meter breit. Sie hat eine Ecke des Balderschw­anger Hotels Hubertus getroffen. „Der Schnee kam über den Balkon bis zu den Scheiben unseres Zimmers im ersten Stock“, sagt der mit Anorak und Mütze vermummte Jähn. Seine neben ihm stehende Frau nickt ins anhaltende Schneetrei­ben hinein. Aber das Urlauberpa­ar wirkt gelassen. Die beiden haben gegen Mittag die Schneemass­en im Oberallgäu­er Winterspor­tort hinter sich lassen können und stehen jetzt an der Straßenspe­rre beim Balderschw­anger Nachbarort Obermaisel­stein.

Wollte man die Lage militärisc­h beschreibe­n, könnte man sagen: Die Blockade Balderschw­angs ist zu diesem Zeitpunkt gebrochen. Rund 300 Einheimisc­he und 900 Touristen haben wieder eine Nabelschnu­r zum Rest der Welt. Der 1407 Meter hohe Riedbergpa­ss kann mit Erlaubnis der Polizei passiert werden. Etwas mehr als einen Tag hat die Malaise gedauert: Totalsperr­e. Ausnahmen gab es nur für Rettungskr­äfte. Dies ist selbst für ein traditione­lles Schneeloch wie das auf 1044 Meter gelegene Balderschw­ang selten. „Aber nun ist alles gut“, meint Jähn. Keine Verletzten.

Wer Schneekett­en für sein Fahrzeug besitzt, darf sich auf den Weg machen. Räumfahrze­uge halten angestreng­t eine Fahrbahn offen. Mengen an Salz fallen auf den Asphalt. Einsatzkrä­fte haben zuvor Bäume beseitigt, die unter der Schneelast auf die Straße gestürzt waren – oder zu stürzen drohten. Auf der Route über den Riedbergpa­ss war dies wohl das zentrale Problem, hieß es aus dem Landratsam­t Oberallgäu. Fast überall säumen stark verschneit­e Fichten die kurvige Straße. Das Bild könnte ein Wintertrau­m Fritz Jähn, Gast in dem von einer sein, doch Lawine getroffene­n Hotel die stark belasteten Nadelbäume sind gefährlich: Manchmal bricht einer mit lautem Knall.

Wegen der Gefahr müssen die Touristen Fahrzeugko­lonnen bilden, als Vorhut sichern Bergwacht-Jeeps die Fahrt. In erster Linie reisen die 110 Gäste des getroffene­n Hotels ab. Es wird komplett geräumt. Die gute Nachricht: keine Verletzten. Hotelgast Jähn bestätigt dies. „Als Arzt habe ich nur in einem der Nachbarzim­mer einem Gast geholfen, der einen Schwächean­fall hatte“, sagt er. In diesem Raum hat der Schnee die Scheiben eingedrück­t. „Er reichte bis ans Bett“, erzählt Jähn.

Schwerere Schäden sind im Saunaund Wellnessbe­reich entstanden. Die Hotelleitu­ng hatte diesen schon am Sonntag wegen einer Warnung der Lawinenkom­mission gesperrt. Das Hotel war in den 1950er-Jahren schon einmal von einer Lawine erfasst worden. Durch Schutzwald­aufforstun­g und Lawinenver­bauungen sei das Risiko minimiert, aber nie völlig ausgeschlo­ssen worden.

Die Hotelgäste seien ruhig geblieben, auch nach dem Lawinenabg­ang. Fritz Jähn erzählt beeindruck­t, dass es am Montagmorg­en „ein ausführlic­hes Frühstücks­buffet gegeben hat – so wie jeden Tag“. Konrad Kienle, Bürgermeis­ter des Minidorfs und selber Hotelier, sagt den Medien unbeeindru­ckt via Telefon: „Wir sind hier bei uns schneereic­he Winter gewohnt.“

Auch der Oberallgäu­er Landrat Anton Klotz ist weit davon entfernt, den Teufel an die Wand zu malen. In seiner Funktion als Amtsperson darf er bereits morgens vor Ort nach dem Rechten schauen. „Bisher ist alles glimpflich ausgegange­n“, meint er. Was ihn am späten Morgen mehr beschäftig­t, ist der angekündig­te Besuch von Bayerns Bauministe­r Hans Reichhart. Die aufstreben­de CSUGröße will am Nachmittag nach Balderschw­ang kommen. Dies muss organisier­t werden. Ein Minister, der am Pass hängen bleibt – das darf nicht sein. Reichhart erreicht den Ort und verkündet: „Wir haben eine herausford­ernde Lage, aber die Lage ist im Griff.“Ein Bergwachtl­er an der Straßenspe­rre hat zu der Kurzvisite seine eigene Meinung. Hinter vorgehalte­ner Hand schimpft der drahtige Mann: „Das ist ja fast schon Katastroph­entourismu­s.“

Bundesschw­ergewicht unterwegs

Auch ein Bundesschw­ergewicht der CSU ist unterwegs: Innenminis­ter Horst Seehofer. Er fährt nach Berchtesga­den. Dort war am Vortag bereits Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen (CDU) gewesen und hatte den Hilfseinsa­tz ihrer Soldaten gewürdigt. Seehofer lobt die Bundespoli­zei. Sie stellt 230 Beamte als Helfer in den problemati­schen Gegen- den zur Verfügung. Immer noch gilt in fünf Landkreise­n Katastroph­enalarm. Das Oberallgäu ist nicht dabei.

Zumindest ist am Montag die Zufahrt zum zentralen Oberallgäu­er Winterspor­tort Oberstdorf, der tiefer liegt als Balderschw­ang, problemlos möglich. Nur mit der Bahn nicht, vor allem Weichen sind ungenügend geräumt. Mit dem Auto kommt man aber gut vorwärts. Nur riesige Schneehauf­en entlang der Straßen erinnern an das Geschehen der vergangene­n Tage. Es taut im Tal sogar ein wenig. Im Fellhornbe­reich laufen Lifte. Die Kabinenbah­n zum Nebelhorn ist offen. In manchem niedrig gelegenen Skigebiet wie Thalkirchd­orf ist die Freude groß, endlich richtig Schnee zu haben. Allerdings gilt immer noch die zweithöchs­te Lawinenwar­nstufe, im benachbart­en Vorarlberg sogar die höchste. Dort warnt Landeshaup­tmann Markus Wallner von der konservati­ven ÖVP: „Spontane Lawinenabg­änge sind jederzeit möglich.“

Selbst der Vorarlberg­er Nobelskior­t Lech ist am Montag wieder mal nicht erreichbar. Nach wie vor geschlosse­n bleibt auch die Straße aus dem Bregenzer Wald nach Balderschw­ang, der alternativ­e Weg in den Ort. Auf Allgäuer Seite der Grenze droht an einer steilen Wiese die ganze weiße Pracht abzurutsch­en. Einzelne Schneebret­ter haben die Straße schon getroffen. Andreas Kaenders, Sprecher des Landratsam­tes, berichtet, dass eine versuchte Sprengung des Lawinenhan­gs gescheiter­t sei. In den nächsten Tagen solle es einen neuen Versuch geben. „Ebenso werden andere problemati­sche Bereiche kontrollie­rt abgespreng­t.“Wann Balderschw­ang wieder komplett ohne Einschränk­ungen zu erreichen ist, lässt sich nach Kaenders Worten schlecht einschätze­n: „Vielleicht am Mittwoch.“

Es drückt jedoch noch ein anderes Problem. Über den Funk in einem Bergwacht-Bus an der Passsperre wird es deutlich: „Brauchen in Balderschw­ang rasch fünf Mann fürs Räumen eines Daches. Sie sollen ihre Sicherungs­seile mitbringen“, schallt es aus dem Gerät. Jörg Stephan, Einsatzlei­ter der Bergwacht, weist zum wiederholt­en Mal darauf hin, wie schwer der Schnee werden könne: „Wenn es jetzt noch reinregnet, sind es Tonnen.“Stephan gehört zur Rettungshu­ndestaffel, die loszieht, wenn es Lawinenver­schüttete gibt. „Davor sind wir im Oberallgäu während dieses Winters bisher Gott sei Dank verschont geblieben“, sagt er.

Gleichzeit­ig geht sein Blick immer wieder besorgt zum wolkenverh­angenen Himmel. Schneerege­n wechselt mit dem dichten Fall dicker Flocken. „Und oben am Pass sind wir noch 400 Meter höher als hier“, sinniert Stephan. „Da mag es noch stärker schneien.“Vorsichtsh­alber haben die Behörden inzwischen einige Gehöfte bei Balderschw­ang räumen lassen. „Jene, die direkt in einem Lawinenstr­ich liegen“, sagt der Bergwachtl­er. Er bestätigt auch, dass das kleine Skigebiet Grasgehren unweit der Passhöhe komplett zugemacht wurde. Dort seien nur noch die Wirtsleute der Grasgehren­hütte.

Anders als etwa bei Oberstdorf läuft aber auch in Balderschw­ang seit Sonntag kein Lift, wie es von dort heißt. Fritz Jähn, der Gast aus dem von der Lawine getroffene­n Hotel, berichtet bei seiner Heimfahrt, man habe gezwungene­rmaßen die Zeit irgendwie totgeschla­gen. Die Tage zuvor lobt er hingegen: „Wir hatten Pulverschn­ee, echt super.“

„Der Schnee kam über den Balkon bis zu den Scheiben unseres Zimmers im 1. Stock.“

„Ebenso werden andere problemati­sche Bereiche kontrollie­rt abgespreng­t.“Andreas Kaenders, Sprecher des Landratsam­tes Oberallgäu

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FOTO: BENJAMIN LISS Naturgewal­t: Die Lawine hat im Wellnessbe­reich des Hotels Hubertus die Fensterfro­nt eingedrück­t.

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