Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Flüchtlingspolitik soll auf den Prüfstand
Annegret Kramp-Karrenbauer setzt Schwerpunkte bei Wirtschaft, Sicherheit und Rente
POTSDAM - Neues Jahr, neue Chefin, neue Wahlen, neue Vorhaben: Die CDU startet mit einer Klausur in Potsdam in die politische Arbeit. Hier, am Templiner See, fühlt sich manches für die Vorstands- und Präsidiumsmitglieder noch ungewohnt an – etwa, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich melden muss, um zu reden.
Die CDU möchte sich für ein schwieriges Jahr wappnen. Ende März wird der Brexit erwartet, im Frühjahr die Europawahl und im Herbst die Wahlen in Ostdeutschland, wo die AfD sich vielleicht vor die CDU schieben könnte. Angesichts der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen redet man daher auch über die Renten im Osten. Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring, nach einer Krebserkrankung mit Mütze in Potsdam dabei, fordert daher die Grundrente.
Harmonie am See
Zum Jahresanfang geht es am Templiner See harmonisch zu. Zum ersten Mal hat die Union einen gemeinsamen Spitzenkandidaten für die Europawahl. Die CDU hat einstimmig den CSU-Mann Manfred Weber gewählt. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier scherzt: „Der Manfred Weber ist einfach ein Schatz.“Fast übermütig fügt er hinzu: „Und jetzt haben wir noch beschlossen, dass wir die Europawahl gewinnen.“Ähnlich gut gelaunt sind auch andere Teilnehmer. Die Migrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz etwa ist zufrieden mit dem ersten großen Aufschlag ihrer Parteichefin im neuen Jahr, sie spürt Aufbruchstimmung.
Spitzenkandidat Manfred Weber will ein Europa, das ambitioniert ist, aber „geerdet bei den Menschen“. Er zählt auf, was die Union anstrebt: von der Stärkung des Wirtschaftswachstums bis zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Es gelte, jetzt aus dem wirtschaftlichen Giganten Europa auch einen politischen Giganten zu machen. Deshalb müsse das Einstimmigkeitsprinzip in Europa Mehrheitsentscheidungen weichen. Für Manfred Weber gehört es zusammen, regional, national und als Europäer zu denken. Und er will auch die Unterschiede zu anderen Parteien verdeutlichen. Klar ist für Weber auch, dass er antritt, um EU-Kommissionspräsident zu werden. Zum Beschluss der AfD, das Europaparlament aufzulösen, meint er: „Wer Parlamente abschaffen will, ist nicht von der Demokratie überzeugt.“Und er warnt, wer wolle, dass auch in Deutschland wirtschaftliche Instabilität und politisches Chaos wie derzeit in Großbritannien herrsche, der müsse die AfD wählen.
Gespräch über Migration
Im Februar will Kramp-Karrenbauer ein Werkstattgespräch über Flüchtlinge und Migration führen. Angela Merkel hatte gewarnt, mit einem Rückblick auf das Jahr 2015 würde man nur Zeit verplempern. KrampKarrenbauer sagt, das treffe zu, wenn man die Flüchtlingsdebatte auf die Rückschau verenge. Doch ihr geht es um mehr.
Im Praxistest wolle man „die gesamte Wirkkette“betrachten, um zu sehen, was nicht funktioniert. Als ehemalige saarländische Innenministerin will sie erforschen, woran es liegt, wenn etwas nicht klappt. Deshalb sei es kein politisches Gespräch, sondern der Austausch mit Praktikern, vielleicht mit Lehrern, die Sprachunterricht geben, oder mit Polizisten aus Abschiebegruppen. Merkel, deren Flüchtlingspolitik viele Parteimitglieder kritisierten, will aber wohl nicht dabei sein.
Im weiteren Verlauf des Jahres könnte sich die Konjunktur eintrüben. Für diesen Fall schlägt KrampKarrenbauer vor, proaktiv Spielräume zu verwenden. Dazu gehöre auch, den Solidaritätszuschlag auf den Prüfstand zu stellen. Der CDU-Parteitag in Hamburg hatte im Dezember beschlossen, den Soli ganz abzuschaffen. Denn zu den oberen zehn Prozent, die ihn weiterhin zahlen sollen, zählen nicht nur die Reichen, sondern auch viele Kleinunternehmer, die ihre Firmen selbst führen.
Die Parteichefin kann sich gut vorstellen, die komplette Soli-Abschaffung einzufordern, wenn im Herbst die vereinbarte Revision des Koalitionsvertrags mit der SPD ansteht.