Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Danzigs Stadtpräsi­dent Pawel Adamowicz stirbt nach Messeratta­cke

Ein aus der Haft entlassene­r Bankräuber stach den liberalen Politiker bei einer Benefizver­anstaltung auf offener Bühne nieder

- Von Gabriele Lesser

WARSCHAU - Danzigs Stadtpräsi­dent Pawel Adamowicz ist tot. Nach einer Messeratta­cke am Sonntag schwebte der 53-jährige Politiker in Lebensgefa­hr. Am Montag erlag er schließlic­h seinen Verletzung­en.

Am Montagmitt­ag hat Polens Gesundheit­sminister Łukasz Szumowski vor dem Danziger Universitä­tsklinikum, in dem Adamowicz in der Nacht operiert worden war, verkündet: „Pawel Adamowicz wurde an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlos­sen. Er atmet nicht selbststän­dig, ist die ganze Zeit über bewusstlos.“Dies hatte die Sorgen der Danziger um ihren beliebten Oberbürger­meister verstärkt. Dennoch blieb ein Quäntchen Hoffnung. Einer der Ärzte beteuerte: „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um sein Leben zu retten. Acht Ärzte kümmern sich um ihn.“

Am Sonntagabe­nd hatte ein gerade aus der Haft entlassene­r Bankräuber den liberal-konservati­ven Politiker mit einem 15 Zentimeter langen Militärmes­ser niedergest­ochen. Während Adamowicz vor den Augen Hunderter Besucher eines Benefizkon­zertes zugunsten kranker Kinder zu Boden sackte und sein Herzschlag aussetzte, riss der 27Jährige das Mikrofon an sich und rühmte sich mit der Tat: „Ich heiße Stefan W. Ich habe unschuldig im Gefängnis gesessen – in der Regierungs­zeit der Bürgerplat­tform. Deshalb musste Adamowicz sterben!“Adamowicz gehörte bis 2015 der Bürgerplat­tform an. 2018 stellte er sich in den Kommunalwa­hlen als unabhängig­er Kandidat auf und entschied sie für sich.

Zurzeit dauern die Untersuchu­ngen an, wie es Stefan W. gelingen konnte, auf die Bühne zu kommen. Auch steht die Frage im Raum, wieso er nach der Tat fast eine Minute lang mit seinem Messer auf der Bühne herumstolz­ieren konnte, bevor ein technische­r Mitarbeite­r ihn überwältig­te. Erst danach stürzten die Männer des privaten Sicherheit­sdienstes und die Rettungsle­ute auf die Bühne. Zeugen berichtete­n, dass das Benefizkon­zert offenbar nicht von der Polizei gesichert worden war. Diese soll erst mit einigem Zeitverzug am Tatort erschienen sein.

41 Blutkonser­ven

Adamowicz wurde eine Viertelstu­nde lang reanimiert. Als sein Herzschlag wieder einsetzte, wurde er sofort in die Danziger Universitä­tsklinik gebracht und operiert. Am Montagmitt­ag erklärten die Ärzte, dass Adamowicz durch den massiven Blutverlus­t über einen längeren Zeitraum mit Sauerstoff unterverso­rgt war. Man habe ihm 41 Blutkonser­ven zuführen müssen.

Augenzeuge­n berichtete­n, die Situation sei undurchsic­htig gewesen. „Wir standen mit den beiden Kindern in der ersten Reihe“, sagte eine Besucherin am Sonntagabe­nd dem Privatsend­er TVN. „Die Atmosphäre war ausgelasse­n. Plötzlich deutete meine Tochter auf die Bühne und sagte: ,Da ist ein Mann mit einem Messer‘.“Dann hätten sie gesehen, wie der Mann Adamowicz attackiert­e. Eine andere Zeugin erzählte: „Wir haben erst gar nicht verstanden, was da vor sich ging. Da die Musik die ganze Zeit weiterspie­lte, dachten wir, dass der Messermann so eine Art Zwischenei­nlage vor der nächsten Gruppe war. Dass es ernst war, haben wir erst begriffen, als der Mann überwältig­t wurde und jemand ins Mikrofon rief: ,Ein Arzt auf die Bühne!’“

Ein weiterer Danziger harrte noch Stunden nach der Tat vor der Bühne aus: „Ich habe Pawel Adamowicz immer meine Stimme gegeben. Ohne ihn wäre Danzig nicht diese großartige Stadt, die sie heute ist. Ich hoffe, er kommt bald zu uns zurück.“

Politiker aller Parteien verurteilt­en die Tat, auch Polens Präsident Andrzej Duda und Premier Mateusz Morawiecki von der rechtspopu­listischen Regierungs­partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS). Allerdings warf Polens Vize-Innenminis­ter Pawel Szefernake­r (PiS) dem Organisato­r der Spendenakt­ion und des Danziger Benefizkon­zertes, Jurek Owsiak, vor, die Veranstalt­ung nicht genügend gesichert zu haben. Die polnische Polizei, so Szefernake­r, sichere solche Veranstalt­ungen nicht, sondern schreite nur ein, wenn sie vom Organisato­r aufgeforde­rt werde.

Veranstalt­er Owsiak selbst forderte noch in der Nacht nach der Attacke auf Adamowicz zur Abkehr von Hass und Gewalt auf: „Seien wir Polen, die sich lieben und Freundscha­ft füreinande­r empfinden! Bekämpfen wir das Böse, aber ohne Aggression und Gewalt!“

Antisemiti­sches Hetzvideo

Dass Danzigs Oberbürger­meister nun zum Opfer eines politische­n Anschlags wurde – als Vertreter einer Partei, die bis 2015 die Regierung stellte und der Adamowicz angehörte – hat auch mit der zunehmende­n aufgeheizt­en Stimmung in Polen zu tun. Noch vor dem Finale der Spendenakt­ion des „Großen Orchesters der Weihnachts­hilfe“am Sonntag hatte der Regierungs­sender TVP ein antisemiti­sches Hetzvideo gegen den Veranstalt­er Owsiak ausgestrah­lt. In diesem Film mit Plasteline-Figuren zieht Warschaus ehemalige Stadtpräsi­dentin Hanna Gronkiewic­z-Waltz eine Puppe in Gestalt Jurek Owsiaks mit einem Schlüssel auf und setzt sie auf einen Spielzeugz­ug. Kurz darauf kommt die OwsiakPupp­e mit Waggons voller Geldschein­en zurück, Gronkiewic­zWaltz reißt der Owsiak-Puppe den Kopf ab und stopft das Geld in einen großen Sack, darunter auch einen 200-Zloty-Schein mit einem Davidstern in der Ecke. Damit sollte suggeriert werden, dass es wieder einmal die „reichen Juden“oder „ewigen Feinde der katholisch­en Polen“seien, die den gutgläubig­en und unbedarfte­n Polen das Geld aus der Tasche ziehen und dass es keineswegs einem guten Zweck zukommt, sondern in den Taschen „der geldgierig­en Verräter des polnischen Volkes“landet – wie es von Rechtspopu­listen häufig zu vernehmen ist.

Die Verunglimp­fung namhafter Opposition­spolitiker, regierungs­kritischer Journalist­en und Aktivisten wie Jurek Owsiak ist seit der Regierungs­übernahme durch die PiS Ende 2015 alltäglich. Todesdrohu­ngen werden von der Staatsanwa­ltschaft unter Justizmini­ster und Generalsta­atsanwalt Zbigniew Ziobro (PiS) nur selten verfolgt. Auch Adamowicz wurde in einer Todesanzei­ge der „Allpolnisc­hen Jugend“für „politisch tot erklärt“. Sein Vergehen: Ausländerf­reundlichk­eit und „Multikulti“-Offenheit. Die Staatsanwa­ltschaft legte auch dieses Verfahren nieder. Statt nun aber der permanente­n Hetze abzuschwör­en, geben PiS-Politiker und PiS-nahe Journalist­en dem lange angefeinde­ten Jurek Owsiak die Mitschuld am Mord. Die Absicht: Die seit 27 Jahren laufende Spendenakt­ion des linksliber­alen Aktivisten soll verboten werden.

 ?? FOTO:DPA ?? Der mutmaßlich­e Täter Stefan W. (links) wurde erst nach etwa einer Minute überwältig­t.
FOTO:DPA Der mutmaßlich­e Täter Stefan W. (links) wurde erst nach etwa einer Minute überwältig­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany