Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Danzigs Stadtpräsident Pawel Adamowicz stirbt nach Messerattacke
Ein aus der Haft entlassener Bankräuber stach den liberalen Politiker bei einer Benefizveranstaltung auf offener Bühne nieder
WARSCHAU - Danzigs Stadtpräsident Pawel Adamowicz ist tot. Nach einer Messerattacke am Sonntag schwebte der 53-jährige Politiker in Lebensgefahr. Am Montag erlag er schließlich seinen Verletzungen.
Am Montagmittag hat Polens Gesundheitsminister Łukasz Szumowski vor dem Danziger Universitätsklinikum, in dem Adamowicz in der Nacht operiert worden war, verkündet: „Pawel Adamowicz wurde an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Er atmet nicht selbstständig, ist die ganze Zeit über bewusstlos.“Dies hatte die Sorgen der Danziger um ihren beliebten Oberbürgermeister verstärkt. Dennoch blieb ein Quäntchen Hoffnung. Einer der Ärzte beteuerte: „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um sein Leben zu retten. Acht Ärzte kümmern sich um ihn.“
Am Sonntagabend hatte ein gerade aus der Haft entlassener Bankräuber den liberal-konservativen Politiker mit einem 15 Zentimeter langen Militärmesser niedergestochen. Während Adamowicz vor den Augen Hunderter Besucher eines Benefizkonzertes zugunsten kranker Kinder zu Boden sackte und sein Herzschlag aussetzte, riss der 27Jährige das Mikrofon an sich und rühmte sich mit der Tat: „Ich heiße Stefan W. Ich habe unschuldig im Gefängnis gesessen – in der Regierungszeit der Bürgerplattform. Deshalb musste Adamowicz sterben!“Adamowicz gehörte bis 2015 der Bürgerplattform an. 2018 stellte er sich in den Kommunalwahlen als unabhängiger Kandidat auf und entschied sie für sich.
Zurzeit dauern die Untersuchungen an, wie es Stefan W. gelingen konnte, auf die Bühne zu kommen. Auch steht die Frage im Raum, wieso er nach der Tat fast eine Minute lang mit seinem Messer auf der Bühne herumstolzieren konnte, bevor ein technischer Mitarbeiter ihn überwältigte. Erst danach stürzten die Männer des privaten Sicherheitsdienstes und die Rettungsleute auf die Bühne. Zeugen berichteten, dass das Benefizkonzert offenbar nicht von der Polizei gesichert worden war. Diese soll erst mit einigem Zeitverzug am Tatort erschienen sein.
41 Blutkonserven
Adamowicz wurde eine Viertelstunde lang reanimiert. Als sein Herzschlag wieder einsetzte, wurde er sofort in die Danziger Universitätsklinik gebracht und operiert. Am Montagmittag erklärten die Ärzte, dass Adamowicz durch den massiven Blutverlust über einen längeren Zeitraum mit Sauerstoff unterversorgt war. Man habe ihm 41 Blutkonserven zuführen müssen.
Augenzeugen berichteten, die Situation sei undurchsichtig gewesen. „Wir standen mit den beiden Kindern in der ersten Reihe“, sagte eine Besucherin am Sonntagabend dem Privatsender TVN. „Die Atmosphäre war ausgelassen. Plötzlich deutete meine Tochter auf die Bühne und sagte: ,Da ist ein Mann mit einem Messer‘.“Dann hätten sie gesehen, wie der Mann Adamowicz attackierte. Eine andere Zeugin erzählte: „Wir haben erst gar nicht verstanden, was da vor sich ging. Da die Musik die ganze Zeit weiterspielte, dachten wir, dass der Messermann so eine Art Zwischeneinlage vor der nächsten Gruppe war. Dass es ernst war, haben wir erst begriffen, als der Mann überwältigt wurde und jemand ins Mikrofon rief: ,Ein Arzt auf die Bühne!’“
Ein weiterer Danziger harrte noch Stunden nach der Tat vor der Bühne aus: „Ich habe Pawel Adamowicz immer meine Stimme gegeben. Ohne ihn wäre Danzig nicht diese großartige Stadt, die sie heute ist. Ich hoffe, er kommt bald zu uns zurück.“
Politiker aller Parteien verurteilten die Tat, auch Polens Präsident Andrzej Duda und Premier Mateusz Morawiecki von der rechtspopulistischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“(PiS). Allerdings warf Polens Vize-Innenminister Pawel Szefernaker (PiS) dem Organisator der Spendenaktion und des Danziger Benefizkonzertes, Jurek Owsiak, vor, die Veranstaltung nicht genügend gesichert zu haben. Die polnische Polizei, so Szefernaker, sichere solche Veranstaltungen nicht, sondern schreite nur ein, wenn sie vom Organisator aufgefordert werde.
Veranstalter Owsiak selbst forderte noch in der Nacht nach der Attacke auf Adamowicz zur Abkehr von Hass und Gewalt auf: „Seien wir Polen, die sich lieben und Freundschaft füreinander empfinden! Bekämpfen wir das Böse, aber ohne Aggression und Gewalt!“
Antisemitisches Hetzvideo
Dass Danzigs Oberbürgermeister nun zum Opfer eines politischen Anschlags wurde – als Vertreter einer Partei, die bis 2015 die Regierung stellte und der Adamowicz angehörte – hat auch mit der zunehmenden aufgeheizten Stimmung in Polen zu tun. Noch vor dem Finale der Spendenaktion des „Großen Orchesters der Weihnachtshilfe“am Sonntag hatte der Regierungssender TVP ein antisemitisches Hetzvideo gegen den Veranstalter Owsiak ausgestrahlt. In diesem Film mit Plasteline-Figuren zieht Warschaus ehemalige Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz eine Puppe in Gestalt Jurek Owsiaks mit einem Schlüssel auf und setzt sie auf einen Spielzeugzug. Kurz darauf kommt die OwsiakPuppe mit Waggons voller Geldscheinen zurück, GronkiewiczWaltz reißt der Owsiak-Puppe den Kopf ab und stopft das Geld in einen großen Sack, darunter auch einen 200-Zloty-Schein mit einem Davidstern in der Ecke. Damit sollte suggeriert werden, dass es wieder einmal die „reichen Juden“oder „ewigen Feinde der katholischen Polen“seien, die den gutgläubigen und unbedarften Polen das Geld aus der Tasche ziehen und dass es keineswegs einem guten Zweck zukommt, sondern in den Taschen „der geldgierigen Verräter des polnischen Volkes“landet – wie es von Rechtspopulisten häufig zu vernehmen ist.
Die Verunglimpfung namhafter Oppositionspolitiker, regierungskritischer Journalisten und Aktivisten wie Jurek Owsiak ist seit der Regierungsübernahme durch die PiS Ende 2015 alltäglich. Todesdrohungen werden von der Staatsanwaltschaft unter Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro (PiS) nur selten verfolgt. Auch Adamowicz wurde in einer Todesanzeige der „Allpolnischen Jugend“für „politisch tot erklärt“. Sein Vergehen: Ausländerfreundlichkeit und „Multikulti“-Offenheit. Die Staatsanwaltschaft legte auch dieses Verfahren nieder. Statt nun aber der permanenten Hetze abzuschwören, geben PiS-Politiker und PiS-nahe Journalisten dem lange angefeindeten Jurek Owsiak die Mitschuld am Mord. Die Absicht: Die seit 27 Jahren laufende Spendenaktion des linksliberalen Aktivisten soll verboten werden.