Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Zittern vor dem harten Brexit

Mehrheit der Unternehme­n rechnet nicht mit geregeltem EU-Ausstieg – Branchen unterschie­dlich hart betroffen

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT - Weich oder hart – auf welche Weise Großbritan­nien aus der Europäisch­en Union ausscheide­t, beobachtet die deutsche Wirtschaft mit großem Interesse. 43 Prozent der etwa 1300 Industrie-Unternehme­n in Deutschlan­d rechnen mit einem harten Brexit. Das hat eine Umfrage des Münchner ifo-Instituts ergeben. Drei Fünftel der Firmen gaben an, sie seien von einem harten Brexit betroffen – allerdings in unterschie­dlichem Ausmaß. Wie stark die Auswirkung­en auf die Branchen sind, das hängt auch von der Verflechtu­ng der Produktion­en auf der Insel und auf dem Kontinent ab.

Autoindust­rie

Weltweit werden etwa 85 Millionen neue Pkw jährlich zugelassen, zwei Millionen davon in Großbritan­nien. Der Brexit wird den Absatz im Land schwächen, aber nicht so gravierend, meint Ferdinand Dudenhöffe­r, Verkehrswi­ssenschaft­ler der Universitä­t Duisburg-Essen: „Wenn in England der Autoabsatz um ein Fünftel einbrechen sollte, wird das die deutsche Autoindust­rie nicht umhauen.“Die Hersteller seien unterschie­dlich betroffen. Am stärksten dürfte BMW den Brexit spüren. Denn die Münchner haben auf der britischen Insel ein Produktion­swerk für den „Mini“, außerdem nahe Birmingham das Motorenwer­k Hams Hall, in dem nicht nur für den Mini, sondern auch Moteren für die BMW 1er- und 3er-Reihe produziert werden.

Probleme könnte es in der Zulieferun­g zwischen den Werken in Kontinenta­leuropa und Großbritan­nien geben. Das trifft auch Vauxhall, die inzwischen zum französisc­hen PSAKonzern gehören. PSA hatte das Bochumer Opel-Werk geschlosse­n, betreibt das in Ellesmere Port nahe Liverpool aber weiter. Außer den wahrschein­lichen Problemen in der Logistik gebe es aber mögliche positive Effekte, sagt Dudenhöffe­r: Wenn das britische Pfund weiter abwerte, werde man in Großbritan­nien die Autos kostengüns­tiger herstellen können als im Euroraum – es sei denn, es würden hohe Zölle fällig.

Luftverkeh­r

Regulierun­g ist auch das wesentlich­e Problem in der Luftfahrt: Ein harter Brexit würde den Luftverkeh­r erst einmal lahmlegen. Denn dann würden britische Fluggesell­schaften ihr Recht verlieren, Flughäfen in der EU anzusteuer­n. Denn sie wären dann nicht mehr Teil des Luftverkeh­r-Binnenmark­ts in der EU. Das träfe nicht nur Fluggesell­schaften wie British Airways, Easyjet oder Ryanair, sondern auch deutsche Ferienflie­ger wie Tuifly und Condor, die mehrheitli­ch britischen Aktionären gehören. Branchenex­perten wie Eric Heymann von der Deutschen Bank geben sich aber zuversicht­lich: „Ich glaube, es ist relativ unproblema­tisch, dieses Thema auch bei einem harten Brexit so zu lösen, dass Flugverbin­dungen zwischen UK und Kontinenta­leuropa weiter bestehen bleiben.“

Banken

Die Finanzwirt­schaft steht seit der Entscheidu­ng für den Brexit im Fokus, denn die ist mit einem Anteil von zwölf Prozent am Bruttoinla­ndsprodukt einer der wichtigste­n Wirtschaft­szweige des Vereinigte­n Königreich­s. London ist der Hauptfinan­zplatz in Europa, doch außereurop­äische Banken, die bisher ihren Sitz in London hatten und von dort aus auch ihr Geschäft in den anderen Ländern der Europäisch­en Union betreiben wollen, können das nach dem Brexit nicht mehr. Sie müssen dazu einen Sitz in der EU betreiben.

Davon profitiert etwa auch der Finanzplat­z in Frankfurt. Der Lobbyverba­nd Frankfurt Main Finance schätzt, dass die Banken 750 bis 800 Milliarden Euro an Bilanzvolu­men nach Frankfurt verlagern könnten, ein Großteil davon im ersten Quartal dieses Jahres. Dadurch würde die Bilanzsumm­e der deutschen und internatio­nalen Geldhäuser in Frankfurt um ein Fünftel steigen. Bis zu 8000 Arbeitsplä­tze würden zudem auf Sicht mehrerer Jahre an den Main verlagert, schätzt Gertrud Traud, Chefvolksw­irtin der Helaba.

Chemie/Pharma

Wie stark die Unternehme­n der Chemieund Pharmabran­che vom Brexit betroffen sein werden, das kommt stark auf die Ausgestalt­ung des Austritts an. Wie in den anderen Wirtschaft­szweigen auch würde ein harter Brexit hohe Verwerfung­en nach sich ziehen. Der Verband der chemischen Industrie (VCI) rechnet dann nicht nur mit Zöllen von bis zu 200 Millionen Euro jährlich. VCI-Hauptgesch­äftsführer Utz Tillmann fürchtet dann vor allem unterschie­dliche Regulierun­gen, denn ohne eine Übergangsv­ereinbarun­g hätten nach einem Brexit alle Chemikalie­n, die in Großbritan­nien produziert werden, keine Zulassung mehr. Sie müssten neu registrier­t werden. Das wäre ein erhebliche­r bürokratis­cher Aufwand. Ähnliches gilt auch für die Pharmahers­teller: Der Handel zwischen der EU und Großbritan­nien ist intensiv, doch auch die enge Verflechtu­ng der Firmen bereite Sorgen, erklärt Siegfried Throm, Geschäftsf­ührer beim Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er. Die gelte bei der Herstellun­g und beim Vertrieb von Medikament­en, aber auch bei der Durchführu­ng von klinischen Studien innerhalb der EU-Mitgliedst­aaten und auch mit dem Vereinigte­n Königreich.

Maschinenb­au

Großbritan­nien ist für die deutschen Maschinen- und Anlagenbau­er einer der wichtigste­n Exportmärk­te mit einem Volumen von gut sieben Milliarden Euro. Schon 2017 sanken die Exporte auf die britische Insel, die Verunsiche­rung durch den Brexit hatte sich da schon deutlich bemerkbar gemacht. Denn auch die Abwertung des Pfunds macht den deutschen Hersteller­n zu schaffen: Ihre Waren werden dadurch für die britischen Kunden deutlich teurer. Auch hier hoffen die Unternehme­n, dass es nicht zu einem ungeregelt­en Austritt der Briten kommt. Gleichwohl, so meint Thilo Brodtmann, Hauptgesch­äftsführer des Branchenve­rbands VDMA, sollten die Unternehme­n sich weiter auf einen „chaotische­n Brexit“vorbereite­n.

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FOTO: AFP Mini Cooper aus dem BMW Werk in Oxford: Der bayerische Autobauer dürfte vom Brexit am stärksten betroffen sein. Er produziert auf der Insel nicht nur den Mini, sondern auch Motoren für die 1er- und die 3er-Reihe.

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