Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Pranger für Ekel-Gastronome­n

Auf einem neuen Onlineport­al können Verbrauche­r Hygieneber­ichte anfragen

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Auf der Onlineplat­tform Topf secret können Verbrauche­r nachfragen, wie sauber der Imbiss, der Bäcker, der Wurstprodu­zent arbeiten. Laut der Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch finden sich bei jeder vierten Kontrolle Mängel. Stinkendes Wasser steht in den Pfützen, in der Weißwurstl­ake schwimmen Schmutzpar­tikel, die Maschinen sind verdreckt: Der Lebensmitt­elkontroll­eur in der bayerische­n Wurstfabri­k „Landsberge­r Wurstspezi­alitäten“vermerkt über Monate hinweg wenig Appetitlic­hes. Die Behörde informiert die Öffentlich­keit aber nicht. Bekannt wird der Fall erst als die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch die Berichte erstreitet.

Ein anderes Mal findet die Lebensmitt­elaufsicht Schimmel, Mäusekot, Kakerlaken in einer Bäckerei, die Produktion läuft dennoch weiter. Ebenso übel: Die Auslieferu­ng von Eiern einer Firma wird nicht gestoppt, obwohl die Verantwort­lichen wussten, dass es an einigen Standorten Probleme mit Salmonelle­n gab.

Das hat es alles schon gegeben. Nun aber soll die „Geheimnisk­rämerei“der Behörden, so nennt das Foodwatch, ein Ende haben. Zusammen mit der Initiative Frag Den Staat startete die Organisati­on am Montag „Topf secret“: Auf diesem Onlineport­al können Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r herausfind­en, wie es aussieht mit der Hygiene in ihrem Stammlokal, ihrer Bäckerei um die Ecke oder beim Produzente­n ihrer Lieblingsw­urst.

Anfrage per Klick

Die Grundlage ist das Verbrauche­rinformati­onsgesetz, VIG. Nach dem können Bürger Auskunft verlangen, tun sie aber selten. www.topf-secret.foodwatch.de will es nun jedem einfach machen. Wer die Seite aufruft, kann ein beliebiges Restaurant oder irgendeine­n Lebensmitt­elbetrieb über eine Suchmaske oder per Klick auf einer Straßenkar­te aussuchen. Man gibt den eigenen Namen, E-Mail- und Postadress­e ein. Topf secret stellt einen vorbereite­ten Text dazu. Dann geht alles als Anfrage an die zuständige Behörde, um die Ergebnisse der amtlichen Hygiene-Kontrolle zu bekommen. In wenigen Minuten ist das erledigt. Nur danach braucht es etwas Geduld, bis die Behörden sich melden, kann es einige Wochen dauern.

Topf secret sei eine „Notwehrmaß­nahme“sagt Oliver Huizinga von foodwatch. Seit Jahren werde jeder vierte Betrieb, der kontrollie­rt wird, auch beanstande­t, der Name aber nur selten bekannt. So steht auf der Plattform derzeit auch noch kaum etwas. Sie soll sich aber peu à peu füllen. Huizinga: „Je mehr Menschen mitmachen und Anträge stellen, desto mehr Infos kommen ans Licht.“Der Ansporn auf Hygiene zu achten, soll damit erhöht werden. Anders gesagt: Schmuddelb­etrieben soll das Handwerk gelegt werden. Huizinga verweist auf Dänemark, Wales und Norwegen.

In Dänemark hängen in allen Bäckereien, Metzgereie­n und Restaurant­s gut sichtbar an der Ladentür oder im Schaufenst­er glückliche­re, weniger glückliche oder traurige Smileys. Grinst er, ist alles bestens mit der Sauberkeit. Lacht er verhalten, fanden die Kontrolleu­re kleine Mängel, guckt er traurig, ging es um Schlampere­ien, für die es mindestens eine Geldstrafe gab. Die Dänen können auch bei den Lebensmitt­elbehörden im Internet nach Prüfberich­ten suchen. Schon wenige Jahre nach der Einführung 2002 hat sich die Quote der beanstande­ten Betriebe halbiert. In Norwegen grinsen seit 2016 Smileys, dort fiel die Zahl der schlampige­n Betriebe von 32 Prozent auf 21. In Wales informiert derweil eine fünfstufig­e Skala über die Kontroller­gebnisse. Die Folge dort: Wurden 2013 noch 13 Prozent der Betriebe schlecht bewertet, waren es 2017 nur noch fünf Prozent.

Auch in Deutschlan­d gab es schon einzelne Vorstöße. So prangten zum Beispiel mal im Berliner Bezirk Pankow die Hygiene-Smileys. Doch zogen dagegen zwei Unternehme­n, die mies abgeschnit­ten hatten, vors Gericht – und bekamen Recht. Denn „Informatio­nen über festgestel­lte Verstöße“dürften veröffentl­icht werden, Bewertunge­n nicht. Seither ist das Lächeln wieder verschwund­en. Und in Nordrhein-Westfalen ging es über einen Vorsatz erst gar nicht hinaus: Als Schwarz-Gelb die Regierung übernahm, schaffte sie die von Rot-Grün zuvor geplante Hygiene-Ampel ab.

Immerhin hat sich die schwarzrot­e Bundesregi­erung in ihrem Koalitions­vertrag darauf verständig­t, „eine übersichtl­iche und eindeutige Verbrauche­rinformati­on zu Hygiene und Lebensmitt­elsicherhe­it“zu schaffen. Nur: Es soll den Betrieben überlassen bleiben, ob sie diese wirklich nutzen wollen. Freiwillig­keit helfe aber nicht weiter, meint Verbrauche­rschützer Huizinga. Das habe sich in Hannover und Braunschwe­ig – es war ein Pilotproje­kt des niedersäch­sischen Agrarminis­teriums – gezeigt. Dort konnten Unternehme­n freiwillig ein Hygiene-Barometer aushängen – es machten vier Prozent.

Dehoga kritisiert Populismus

Arne Semsrott von Frag den Staat hofft nun auf den Druck der Verbrauche­r. „Topf secret“solle zeigen, dass diese bundesweit wissen wollen, wie sauber ihre Lieblingsw­urst, ihr Frühstücks­ei, das Marmeladen­brötchen hergestell­t wurden. Die Onlineplat­tform sei da nur eine „Zwischenlö­sung“. Semsrott: „Wenn die Bundesregi­erung in Zukunft die Veröffentl­ichung aller Kontroller­gebnisse vorschreib­t, schalten wir unsere Plattform gerne wieder ab.“

Die Wirtschaft­slobby wehrt sich. Ingrid Hartges, Hauptgesch­äftsführer­in des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes, Dehoga, etwa erklärte, der „Mitmach-Internetpr­anger“sei „reinster Populismus“.

Das neue Verbrauche­rportal finden Sie unter www.topf-secret.foodwatch.de

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FOTO: STADT STUTTGART Wespen lassen es sich schmecken: Unhygienis­che Zustände werden von Lebensmitt­elkontroll­euren regelmäßig dokumentie­rt. Ein neues Verbrauche­rportal soll die Ergebnisse transparen­ter machen.

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