Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Sehnsuchtsland Baden-Württemberg
Im Südwesten steigen die Gästezahlen – vor allem in Oberschwaben und auf der Schwäbischen Alb
STUTTGART - Der Tourismus in Baden-Württemberg boomt. Doch trotz erneuter Rekorde bei Übernachtungen und Ankünften von Gästen sieht die Branche Luft nach oben. Auf der Liste der Probleme stehen Fachkräftemangel, starre Arbeitszeit-Regeln und unerschlossene Potenziale, etwa bei Gästen aus dem Ausland.
In den ersten elf Monaten 2018 stieg die Zahl der Übernachtungen und Ankünfte in Baden-Württemberg zum achten Mal in Folge in Rekordhöhen. Die Gastgeber zählten knapp 21 Millionen Ankünfte – ein Plus von 3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – sowie etwa mehr als 51 Millionen Übernachtungen, eine Steigerung um 3,6 Prozent.
Landestourismusminister Guido Wolf (CDU) nutzte die Gelegenheit, um Hoteliers und Gastronomen den Rücken zu stärken beim Thema Arbeitszeit. „Wir müssen der Branche da mit flexibleren Regeln entgegenkommen“, so Wolf. Seine Partei will dazu eine Bundesratsinitiative starten, allerdings ist noch unklar, ob der grüne Regierungspartner mitzieht. Bislang dürfen Angestellte pro Tag maximal zehn Stunden arbeiten. „Wir wollen nicht, dass unsere Beschäftigten länger arbeiten, aber dann, wenn die Gäste da sind“, sagte Eva-Maria Rühle vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Luft nach oben sieht Minister Wolf bei ausländischen Touristen: Sie buchten rund elf Millionen Nächte im Südwesten.
Andreas Braun, Chef der Tourismus Marketing GmbH, sieht unter anderem in Oberschwaben und auf der Schwäbischen Alb noch Möglichkeiten, mehr Touristen anzulocken. Dazu gehöre die entsprechende Infrastruktur – etwa schnelles Internet. „Freies WLan gehört für viele Gäste heute dazu, auch im ländlichen Raum“, sagte Braun. Dort ist man ebenfalls sehr zufrieden mit der Entwicklung im Tourismus. Egal, am Bodensee oder auf der noch nicht ganz so im Fokus der Reisenden stehenden Schwäbischen Alb: Die Übernachtungszahlen steigen weiter.
Die Gastgeber in vier Ländern rund um den See rechnen für 2018 mit einem Anstieg von bis zu vier Prozent. In den Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Biberach verzeichnen die Touristiker sogar ein Plus von 13 Prozent bei den Ankünften. Und das, obwohl der größte Übernachtungsbetrieb der Region noch gar nicht zu den Zahlen beiträgt. Der CenterParc in Leutkirch (Allgäu) öffnete 2018 seine Pforten. Nach der Eröffnung im Herbst mussten die Betreiber den Park zunächst wegen Bau- und Sicherheitsmängel wieder schließen. „Jetzt läuft es gut, wir hatten über Weihnachten rund 400 Ankünfte und 3500 belegte Betten“, so Mitarbeiter Florian Nagel. Der Park hat Raum für 5000 Gäste.
Die künstlich angelegte Ferienwelt sehen in der Region bislang wenige als Konkurrenz für die heimische Hotellerie. „Noch kann man dazu natürlich seriöse wenig sagen, da müssen wir noch abwarten“, erklärte Ravensburgs Landrat Harald Sievers. Aber die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen sei hervorragend. Der Park macht Urlauber Angebote für Tagesausflüge in die Region, derzeit laufen zum Beispiel Skikurse.
„Zahlen von CenterParcs belegen: Viele Gäste reisen zunächst in die Anlage, kommen dann noch einmal in die Region. Dann wählen sie oft andere Gastgeber dort aus“, so Sievers. Der Friedrichshafener Landrat Lothar Wölfle sieht für seine Region ebenfalls Vorteile. In der Hochsaison gebe es am Bodensee kaum freie Betten, erst recht keine günstigen. Der CenterParc könne gerade jene Familien ins Allgäu locken, die sonst gar nicht kämen.
Auf der Schwäbischen Alb stieg die Zahl der Übernachtungen mit vier Prozent über dem Landesschnitt. Alb-Tourismuschef Mike Münzing betonte, welche Bedeutung der Tourismus gerade in weniger dicht besiedelten Regionen habe. Ob Buslinien oder ein flächendeckendes Netz für E-Bike-Ladestationen: All das lohne sich dort oft erst dank der Touristen, hebe aber auch die Lebensqualität der Einheimischen.
Vor diesem Hintergrund wünscht sich Münzing, der auch Bürgermeister von Münsingen ist, mehr politischen Rückenwind. Tourismus sei keineswegs nur Sache des zuständigen Ministers. Die Branche schaffe Jobs – laut Dehoga wuchs die Zahl der Beschäftigten seit 2010 um ein Drittel auf heute 130 000. „Dafür wünsche ich mir schon ein größeres Bewusstsein in der Politik“. Die Schlüsselbranche Automobilindustrie würde dagegen künftig im Land wohl eher Stellen abbauen.