Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wenn Schnee zur tödlichen Gefahr wird

Abseits gesicherte­r Pisten riskieren Skifahrer Lawinenung­lücke – Wie man sich schützen kann

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG - Nach dem Lawinenung­lück im österreich­ischen Lech, bei dem am Samstag auf der Route „Langer Zug“am Rüfikopf mindestens drei Skifahrer aus Leutkirch und Biberach getötet wurden, warnen Experten davor, gesicherte Pisten zu verlassen. Nach Einschätzu­ng der Bergwacht in Deutschlan­d kann Notfallaus­rüstung für Skifahrer dabei vermeintli­che Sicherheit vorgaukeln. Antworten auf die wichtigste­n Fragen zum Thema.

Wie gehen Skigebiete mit Skifahrern um, die sich in gesperrte Bereiche begeben? Welche Konsequenz­en gibt es und lässt sich ein Verbot überhaupt überwachen?

Bernd Adler, technische­r Leiter der zum Roten Kreuz gehörenden Bergwacht in Deutschlan­d, sagt, der Anteil der „Freerider“unter den Skifahrern sei mittlerwei­le groß. „Viele Skigebiete, so etwa am Arlberg, leben inzwischen von der Freeridebe­wegung.“Die Gesetzgebu­ng sei bei den Ländern im Alpenraum unterschie­dlich. „In Italien bin ich haftbar, wenn ich in der Nähe einer Piste eine Lawine auslöse, selbst, wenn dabei niemand verletzt wird“, so Adler. Das sei in Deutschlan­d, der Schweiz und Österreich noch nicht so.

Was passiert, wenn ein Skifahrer eine Lawine auslöst und den Tod eines anderen verschulde­t?

„Normalerwe­ise ist es so, dass das erfahrenst­e Mitglied der Gruppe von der Staatsanwa­ltschaft zur Verantwort­ung gezogen wird, sobald jemand ums Leben kommt oder schwer verletzt wird“, sagt Bergrettun­gs-Experte Adler. Die Ermittler prüfen, ob eine Lawinengef­ahr absehbar war. Im schlimmste­n Fall kann wegen fahrlässig­er Tötung eine Freiheitss­trafe drohen.

Wer zahlt Bergungsko­sten, wenn ein Skifahrer eine Lawine auslöst und überlebt?

„Sobald es nicht zur Verletzung kommt und mir nichts passiert ist, muss ich für die Kosten selber aufkommen“, weiß Adler. Im Fall einer Verletzung zahlt in der Regel die Versicheru­ng die Bergrettun­g. Aber nur, wenn es ein Unfall war. „Wenn die Versicheru­ng mir nachweisen kann, dass ich fahrlässig gehandelt habe, bleib ich natürlich auch auf den Kosten sitzen“, sagt Adler. Bei Gefahrenst­ufe vier oder fünf oder abgesperrt­en Bereichen werde eine Versicheru­ng sicher nicht zahlen.

Wie gefährlich sind solche Einsätze für die Retter?

„Wenn, wie in Lech, die Gefährdung der Bergretter zu groß ist, muss man es lassen“, sagt Bernd Adler. Wenn schlechte Sichtverhä­ltnisse und Nebel eine Rettungsak­tion zur Gefahr machten, gehe der Schuz der Rettungskr­äfte vor. Die Entscheidu­ng liegt beim Einsatzlei­ter.

Unterschät­zen Skifahrer die Gefahren?

„Ich bin selber aktiv in der Branche und führe Gruppen im Freeridebe­reich“, sagt Bernd Adler. Seiner Meinung nach machen sich immer weniger Menschen einen Kopf um die Beurteilun­g der Lawinenlag­e. „Sich im Vorfeld informiere­n, Anzeichen von Gefahr im Gelände erkennen, den Lawinenlag­ebericht verfolgen – die Kenntnis nimmt ab.“Stattdesse­n setzten die Menschen mittlerwei­le immer mehr auf Notfallaus­rüstung – doch damit sei es nicht getan.

Wie kann man sich vorbereite­n?

„Im Alpenraum hat jede Region einen eigenen Lageberich­t“, erklärt Adler. Eine gute Sache sei die Homepage des Deutschen Alpenverei­ns. Dort gibt es alle Links zu den entspreche­nden Internetse­iten.

Woran erkennt man vor Ort die Lawinengef­ahr?

Es gibt Alarmzeich­en, die ab der Gefahrenst­ufe „erheblich“auftreten. „Wenn sich die Schneedeck­e setzt und Risse bekommt, hört man ein richtiges ‚Wumm‘“, so Adler. Wenn man das bemerke, müsse man umkehren. Auch wenn die kritische Neuschneem­enge überschrit­ten ist und es Spontanlaw­inen und Fernauslös­ungen gebe, sei man in Gefahr.

Wie verhält man sich am besten, wenn man in eine Lawine gerät?

Lawinenver­schütteten-Suchgerät, Sonde und Lawinensch­aufel gehören zur Pflichtaus­stattung. „Ein Lawinenair­bag erhöht die Chancen um ein Vielfaches, ist aber keine Überlebens­garantie“, so Adler. Dieser muss rechtzeiti­g ausgelöst werden, sobald man merkt, dass Schnee ins Rutschen kommt. Wenn man in eine Lawine gerät, sollte man versuchen, sich von allem zu befreien, was einen in die Tiefe ziehen könnte, so etwa Skistöcke und, wenn möglich, auch die Skier. „Dann sollte man eine Kauerstell­ung einnehmen, Ellenbogen und Hände vors Gesicht halten“, so Adler. Wichtig ist es, dass der Verunglück­te eine „Atemhöhle“hat. Gelangt Schnee in die Atemwege, droht Erstickung­sgefahr.

Warum begeben sich Skifahrer überhaupt auf gesperrten Pisten in Gefahr?

Markus Braig ist Erster Vorsitzend­er der Ravensburg­er Sektion des Deutschen Alpenverei­ns (DAV). Er legt Wert darauf, dass er kein Urteil im Zusammenha­ng mit dem tödlichen Unglück in Lech abgibt. Das gebiete für ihn die Pietät, die Gedanken seien bei den Opfern und ihren Familien. Seine allgemeine Einschätzu­ng, woher die Faszinatio­n fürs Freeriding, also die Abfahrt im freien Gelände abseits der gesicherte­n Pisten, kommt: „Skifahren in unberührte­n Gebieten ist vergleichb­ar mit Wellenreit­en im Meer. Man bekommt mit Ski oder Snowboard eine extreme Geschwindi­gkeit, es ist ein irrsinnige­s Gefühl, das mit normalem Pistenfahr­en kaum vergleichb­ar ist.“

Wieso riskieren „Freerider“teilweise Kopf und Kragen?

Unter Freeridern gebe es, so Braig, einen Wettlauf um unberührte Schneehäng­e, wenn der „Powderalar­m“ausgelöst werde, weil neuer Tiefschnee da ist. Dabei blende man dann rationale Überlegung­en zu Sicherheit und Risikovors­orge unter Umständen aus, es könne zu Kurzschlus­sreaktione­n kommen.

Was rät der DAV?

Beim DAV vermittle man Lawinenkun­de und viele Mitglieder befassten sich intensiv damit, sagt Braig. Lawinenruc­ksäcke, Sonde und Suchgerät seien Standardau­srüstung für Tourengäng­er. Doch letztlich böten diese Hilfsmitte­l, deren Anschaffun­g schnell bis zu 1000 Euro kosten kann, nur vermeintli­ch Sicherheit. Braig, der seit seinem dritten Lebensjahr Ski fährt und den „Langen Zug“mit 15 zum ersten Mal fuhr, nimmt in extreme Gebiete einen Bergführer mit. Es sei wichtig, jemanden dabei zu haben, der die Verhältnis­se nicht nur kurzfristi­g, sondern ganz genau beobachtet. Die Gefahrenst­ufen sollte man im Blick behalten: Bei Stufe drei sollte man sich Gedanken machen, bei Stufe vier am besten zu Hause bleiben, so Braig. „Wenn die Gefahrenst­ufen so hoch sind wie derzeit, sind wir vom DAV bei solchen Verhältnis­sen nicht unterwegs.“

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