Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wenn Schnee zur tödlichen Gefahr wird
Abseits gesicherter Pisten riskieren Skifahrer Lawinenunglücke – Wie man sich schützen kann
RAVENSBURG - Nach dem Lawinenunglück im österreichischen Lech, bei dem am Samstag auf der Route „Langer Zug“am Rüfikopf mindestens drei Skifahrer aus Leutkirch und Biberach getötet wurden, warnen Experten davor, gesicherte Pisten zu verlassen. Nach Einschätzung der Bergwacht in Deutschland kann Notfallausrüstung für Skifahrer dabei vermeintliche Sicherheit vorgaukeln. Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Thema.
Wie gehen Skigebiete mit Skifahrern um, die sich in gesperrte Bereiche begeben? Welche Konsequenzen gibt es und lässt sich ein Verbot überhaupt überwachen?
Bernd Adler, technischer Leiter der zum Roten Kreuz gehörenden Bergwacht in Deutschland, sagt, der Anteil der „Freerider“unter den Skifahrern sei mittlerweile groß. „Viele Skigebiete, so etwa am Arlberg, leben inzwischen von der Freeridebewegung.“Die Gesetzgebung sei bei den Ländern im Alpenraum unterschiedlich. „In Italien bin ich haftbar, wenn ich in der Nähe einer Piste eine Lawine auslöse, selbst, wenn dabei niemand verletzt wird“, so Adler. Das sei in Deutschland, der Schweiz und Österreich noch nicht so.
Was passiert, wenn ein Skifahrer eine Lawine auslöst und den Tod eines anderen verschuldet?
„Normalerweise ist es so, dass das erfahrenste Mitglied der Gruppe von der Staatsanwaltschaft zur Verantwortung gezogen wird, sobald jemand ums Leben kommt oder schwer verletzt wird“, sagt Bergrettungs-Experte Adler. Die Ermittler prüfen, ob eine Lawinengefahr absehbar war. Im schlimmsten Fall kann wegen fahrlässiger Tötung eine Freiheitsstrafe drohen.
Wer zahlt Bergungskosten, wenn ein Skifahrer eine Lawine auslöst und überlebt?
„Sobald es nicht zur Verletzung kommt und mir nichts passiert ist, muss ich für die Kosten selber aufkommen“, weiß Adler. Im Fall einer Verletzung zahlt in der Regel die Versicherung die Bergrettung. Aber nur, wenn es ein Unfall war. „Wenn die Versicherung mir nachweisen kann, dass ich fahrlässig gehandelt habe, bleib ich natürlich auch auf den Kosten sitzen“, sagt Adler. Bei Gefahrenstufe vier oder fünf oder abgesperrten Bereichen werde eine Versicherung sicher nicht zahlen.
Wie gefährlich sind solche Einsätze für die Retter?
„Wenn, wie in Lech, die Gefährdung der Bergretter zu groß ist, muss man es lassen“, sagt Bernd Adler. Wenn schlechte Sichtverhältnisse und Nebel eine Rettungsaktion zur Gefahr machten, gehe der Schuz der Rettungskräfte vor. Die Entscheidung liegt beim Einsatzleiter.
Unterschätzen Skifahrer die Gefahren?
„Ich bin selber aktiv in der Branche und führe Gruppen im Freeridebereich“, sagt Bernd Adler. Seiner Meinung nach machen sich immer weniger Menschen einen Kopf um die Beurteilung der Lawinenlage. „Sich im Vorfeld informieren, Anzeichen von Gefahr im Gelände erkennen, den Lawinenlagebericht verfolgen – die Kenntnis nimmt ab.“Stattdessen setzten die Menschen mittlerweile immer mehr auf Notfallausrüstung – doch damit sei es nicht getan.
Wie kann man sich vorbereiten?
„Im Alpenraum hat jede Region einen eigenen Lagebericht“, erklärt Adler. Eine gute Sache sei die Homepage des Deutschen Alpenvereins. Dort gibt es alle Links zu den entsprechenden Internetseiten.
Woran erkennt man vor Ort die Lawinengefahr?
Es gibt Alarmzeichen, die ab der Gefahrenstufe „erheblich“auftreten. „Wenn sich die Schneedecke setzt und Risse bekommt, hört man ein richtiges ‚Wumm‘“, so Adler. Wenn man das bemerke, müsse man umkehren. Auch wenn die kritische Neuschneemenge überschritten ist und es Spontanlawinen und Fernauslösungen gebe, sei man in Gefahr.
Wie verhält man sich am besten, wenn man in eine Lawine gerät?
Lawinenverschütteten-Suchgerät, Sonde und Lawinenschaufel gehören zur Pflichtausstattung. „Ein Lawinenairbag erhöht die Chancen um ein Vielfaches, ist aber keine Überlebensgarantie“, so Adler. Dieser muss rechtzeitig ausgelöst werden, sobald man merkt, dass Schnee ins Rutschen kommt. Wenn man in eine Lawine gerät, sollte man versuchen, sich von allem zu befreien, was einen in die Tiefe ziehen könnte, so etwa Skistöcke und, wenn möglich, auch die Skier. „Dann sollte man eine Kauerstellung einnehmen, Ellenbogen und Hände vors Gesicht halten“, so Adler. Wichtig ist es, dass der Verunglückte eine „Atemhöhle“hat. Gelangt Schnee in die Atemwege, droht Erstickungsgefahr.
Warum begeben sich Skifahrer überhaupt auf gesperrten Pisten in Gefahr?
Markus Braig ist Erster Vorsitzender der Ravensburger Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV). Er legt Wert darauf, dass er kein Urteil im Zusammenhang mit dem tödlichen Unglück in Lech abgibt. Das gebiete für ihn die Pietät, die Gedanken seien bei den Opfern und ihren Familien. Seine allgemeine Einschätzung, woher die Faszination fürs Freeriding, also die Abfahrt im freien Gelände abseits der gesicherten Pisten, kommt: „Skifahren in unberührten Gebieten ist vergleichbar mit Wellenreiten im Meer. Man bekommt mit Ski oder Snowboard eine extreme Geschwindigkeit, es ist ein irrsinniges Gefühl, das mit normalem Pistenfahren kaum vergleichbar ist.“
Wieso riskieren „Freerider“teilweise Kopf und Kragen?
Unter Freeridern gebe es, so Braig, einen Wettlauf um unberührte Schneehänge, wenn der „Powderalarm“ausgelöst werde, weil neuer Tiefschnee da ist. Dabei blende man dann rationale Überlegungen zu Sicherheit und Risikovorsorge unter Umständen aus, es könne zu Kurzschlussreaktionen kommen.
Was rät der DAV?
Beim DAV vermittle man Lawinenkunde und viele Mitglieder befassten sich intensiv damit, sagt Braig. Lawinenrucksäcke, Sonde und Suchgerät seien Standardausrüstung für Tourengänger. Doch letztlich böten diese Hilfsmittel, deren Anschaffung schnell bis zu 1000 Euro kosten kann, nur vermeintlich Sicherheit. Braig, der seit seinem dritten Lebensjahr Ski fährt und den „Langen Zug“mit 15 zum ersten Mal fuhr, nimmt in extreme Gebiete einen Bergführer mit. Es sei wichtig, jemanden dabei zu haben, der die Verhältnisse nicht nur kurzfristig, sondern ganz genau beobachtet. Die Gefahrenstufen sollte man im Blick behalten: Bei Stufe drei sollte man sich Gedanken machen, bei Stufe vier am besten zu Hause bleiben, so Braig. „Wenn die Gefahrenstufen so hoch sind wie derzeit, sind wir vom DAV bei solchen Verhältnissen nicht unterwegs.“