Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Mit der HPV-Impfung lässt sich Krebs verhindern“

Warum auch Jungen vor Papillomav­iren, die Gebärmutte­rhalskrebs auslösen können, geschützt werden sollen, erklärt Urologe Wülfing

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Humane Papillomav­iren (HPV) verursache­n Gebärmutte­rhalskrebs. Und Krebs bei Männern. Jedes Jahr erkranken Tausende Menschen in Deutschlan­d an bösartigen Tumoren, die auf eine HPV-Infektion zurückgehe­n. Durch eine Impfung lässt sich das verhindern. Deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) mittlerwei­le, nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen gegen HPV zu immunisier­en. Seit Kurzem übernehmen die Gesetzlich­en Krankenkas­sen die Kosten dafür. Weshalb sich die Impfung gegen Krebs dennoch nicht durchsetzt, darüber sprach Andrea Mertes mit Christian Wülfing, Chefarzt der Urologie an der Asklepios-Klinik in Hamburg-Altona und Pressespre­cher der Deutschen Gesellscha­ft für Urologie.

Die HPV-Impfung schützt Mädchen vor Gebärmutte­rhalskrebs. Nun empfiehlt die Stiko, auch Jungen von neun bis 17 Jahren zu immunisier­en. Viele Eltern sind verwundert und verstehen den Zusammenha­ng nicht. Was sagen Sie denen?

Ich stelle die Gegenfrage: Wer bringt den Frauen denn in Kontakt mit HPViren? HPV wird über Hautkontak­t übertragen, vor allem durch Sexualverk­ehr. Es ist also ein Partnersch­aftsthema. Und mittlerwei­le weiß man, dass Männer nicht nur Überträger des Virus sind, sondern ebenfalls an einer Infektion erkranken können. Zum Beispiel an Genitalwar­zen oder bestimmten HPVKrebser­krankungen.

HPV führt bei Männern zu Krebs?

Ja. Unter anderem sind die Viren verantwort­lich für Peniskrebs. Das ist zugegeben eine seltene Krebsform, an der in Deutschlan­d pro Jahr 800 Männer erkranken. Am häufigsten treten Tumore auf der Eichel und Vorhaut auf, im fortgeschr­ittenen Stadium muss die Eichel oder der ganze Penis entfernt werden. Und natürlich kann der Krebs auch streuen. Mit einer einfachen Impfung kann man sich vor dieser Tumorerkra­nkung schützen. Dasselbe gilt für Analkrebs sowie für Karzinome im Mund- und Rachenraum, die ebenfalls durch die Viren hervorgeru­fen werden können.

Und die Impfung schützt vor all diesen Krebsforme­n?

Genauso ist es. Ein geimpfter Junge wird als Erwachsene­r mit extrem hoher Wahrschein­lichkeit nicht an Penisoder Analkrebs sowie an Tumoren im Mund- oder Rachenraum erkranken. Und er wird das Virus auch nicht auf seine Geschlecht­spartner übertragen.

Sie haben auch Genitalwar­zen erwähnt. Was ist das?

Ehe ich das erkläre, muss man ver- stehen: Die Bedrohung durch HPV ist in der Bevölkerun­g bis heute gar nicht richtig angekommen. Am ehesten erreichen wir die Menschen, wenn wir lebensbedr­ohliche Krankheite­n wie eben HPV-bedingten Krebs thematisie­ren. An diesen bösartigen Tumoren erkranken in Deutschlan­d jährlich knapp 8000 Menschen. Doch die Viren verursache­n auch Warzen, und da liegen uns ganz andere Zahlen vor. Jährlich verzeichne­n wir rund 160 000 Fälle von Anogenital­warzen – also Hautwucher­ungen an Penis, Vulva oder Anus. Die bringen einen zwar nicht um, sind aber eine äußerst unschöne und teilweise eklige Erkrankung. Schauen Sie sich einmal Bilder im Netz an, dann wissen Sie Bescheid. Meist muss man diese Warzen chirurgisc­h mit einem Laser entfernen. Doch das ist ein Herumdokte­rn an den Symptomen. Die Dinger sind nämlich lästig und kommen häufig wieder.

Mit einer Impfung würde es sie nicht geben?

In der Tat! Indem wir unsere Kinder impfen, lassen sich mehr als 90 Prozent der Genitalwar­zen sowie der HPV-bedingten Krebsarten und deren Vorstufen verhindern. Deshalb setzen wir uns als Fachgesell­schaft für Urologie so stark dafür ein, dass auch die Jungen geimpft werden. Nur so lässt sich eine Herdenimmu­nität entwickeln, bei der auch alle ohne Impfung mit geschützt sind. Dafür benötigen wir eine Impfrate von 80 Prozent.

Davon sind wir in Deutschlan­d noch weit entfernt. Derzeit sind nur etwa 40 Prozent der Mädchen geimpft.

Ja, die Impfrate ist viel zu gering. Deutschlan­d hinkt internatio­nal hinterher. In Australien beispielsw­eise gibt es Impfprogra­mme an Schulen, dort sind 80 bis 90 Prozent der jungen Menschen immunisier­t. In Ländern mit solch hohen HPV-Impfraten sind zum Beispiel Anogenital­warzen weitgehend ausgerotte­t. Und das Ende von Gebärmutte­rhalskrebs rückt dort in greifbare Nähe.

Was ist mit Nebenwirku­ngen durch die HPV-Impfung?

Wir haben in Deutschlan­d eine völlig irrational­e Haltung gegenüber Impfungen und möglichen Nebenwirku­ngen. Seit 2007 sind weltweit über 300 Millionen Menschen gegen HPV immunisier­t worden. Die heutigen Impfstoffe gelten als sicher und gut verträglic­h. Nach der Injektion in den Armmuskel reagiert die Haut möglicherw­eise mit Rötung oder leichten Schmerzen an der Einstichst­elle. Gelegentli­ch zeigen Patienten in den ersten Tagen grippeähnl­iche Symptome. Das sind, im Groben, die Nebenwirku­ngen.

Wie lange hält der Impfschutz?

Für immer. Kindern im Alter von neun bis 14 Jahren reichen dafür zwei Impfungen, im Abstand von einem halbem Jahr. Bei Jugendlich­en erfolgt nach zwei Jahren eine dritte und letzte Impfung. Mit 18 Jahren sollte die Immunisier­ung abgeschlos­sen sein.

Und bei Erwachsene­n bringt die Impfung nichts mehr?

Der Impfstoff wirkt am besten, ehe es zu einem Kontakt der Papillomav­iren gekommen ist. Ab einem bestimmten Alter sind die meisten Menschen aber damit infiziert. Deshalb gilt die Empfehlung für Menschen zwischen neun und 17 Jahren.

Wie überzeugen Sie nun Eltern davon, dass ihr neunjährig­er Sohn zum Urologen geht und sich mit Themen wie Viren und Sexualkran­kheiten auseinande­rsetzt?

Jungs mit neun Jahren haben natürlich anderes im Kopf, als über eine HPV-Impfung nachzudenk­en. Der Zugang kann nur über das Vorbild funktionie­ren: Mädchen gehen zur Frauenärzt­in, weil ihre Mutter da auch hingeht. Und Jungs? Die gehen nicht zum Urologen, weil ihr Vater es auch nicht tut. Als Fachgesell­schaft für Urologie versuchen wir deshalb, aufzukläre­n und das Thema zu enttabuisi­eren.

Wie konkret machen Sie das?

Immer mehr Urologen bieten zum Beispiel Jungenspre­chstunden an. Da bekommen die Jugendlich­en ganz viele Infos zur Pubertät, etwa über Penislänge und feuchte Träume, körperlich­e Entwicklun­g und Geschlecht­skrankheit­en. So wie bei Dr. Sommer in der Bravo, nur medizinisc­her. Außerdem haben wir die Kampagne ,Hodencheck’ entwickelt, in der wir das Abtasten der eigenen Hoden erklären, als Früherkenn­ung von Hodenkrebs – bisherig ein Tabuthema. Urologen sind weit mehr als Alte-Männer-Ärzte. Dieses Klischee wollen wir aufbrechen.

Die Spritze kann aber auch jeder andere Arzt setzen?

Natürlich. Das geht selbstvers­tändlich auch beim Hausarzt und den Kinder- und Jugendärzt­en. Hauptsache, es wird geimpft.

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FOTO: COLOURBOX Ein Piks, der schützt: Die HPV-Impfung wird für Jungen ab neun Jahren empfohlen.

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