Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Alles oder nichts

Nach dem Überhit „No Roots“liefert Alice Merton jetzt Nachschlag in Albumform

- Von Steffen Rüth

BERLIN - Mit „No Roots“kam für Alice Merton ein früher Durchbruch globalen Ausmaßes. Die Arbeit am Debütalbum „Mint“zog sich wegen des Trubels etwas hin, aber nun ist es da, und es ist ein Fest für Liebhaber selbstbewu­sster, melodische­r, auch mal störrische­r Popmusik.

Warum ihr am 18. Januar erscheinen­des Album „Mint“, also Minze, heißt? „Weil Minze meinen Magen beruhigt“, sagt Alice Merton freimütig beim Gespräch im Büro ihrer (eigenen) Plattenfir­ma „Paper Plane Records“in Berlin-Mitte. Merton wirkt zwar wie ein stets supergelau­ntes Energiebün­del, aber dass die 25-Jährige unter Ängsten leidet, ist eben auch Teil ihrer Wahrheit. „Minze hilft, aber nur gegen die Symptome, nicht gegen die Gründe, warum mich diese Ängste plagen. Was mir aber auf jeden Fall immer Linderung verschafft, ist Songs zu schreiben.“Und so fängt „Mint“auch gleich mit einer Anti-Angst-Nummer an, „Learn to Live“. Darin beschreibt Alice, wie sehr sie sich wünscht, „dass mich die Ängste nicht so bestimmen und ich endlich leben könnte, ohne immer über die Konsequenz­en meines Tuns nachzudenk­en.“

Viel Zeit zum Nachdenken hat Merton aktuell freilich nicht. Der Superhit „No Roots“hat ihr Leben vor gut einem Jahr völlig unerwartet auf den Kopf gestellt. „Es ist für mich immer noch nicht leicht zu verstehen, warum der Song so dermaßen funktionie­rt hat“, sagt Alice Merton. „Aber ich kann mich nicht beschweren.“Der Refrain von „No Roots“bleibt hängen, und mit dem Gefühl, gleichzeit­ig rastlos zu sein und sich doch nach Wurzeln, nach Heimat zu sehnen, können sich sehr viele Menschen identifizi­eren – überall auf der Welt. „Wir haben in der Türkei gespielt, in Serbien, in der Slowakei.“Sogar in der US-amerikanis­chen „Tonight Show“trat Alice Merton auf. „Das Lied war wie ein kleiner Schneeball, der immer weiter den Berg runterroll­te und zu einer krassen Lawine wurde.“Dass „No Roots“aus ihrem Mund so authentisc­h klingt, hat auch eine Menge mit ihrer Vita zu tun. Der Vater Ire, die Mutter Deutsche, geboren in Frankfurt am Main, dann kurz New York, später lange die kanadische Provinz, mit 13 nach München – Alice Merton ist viel rumgekomme­n in ihrem jungen Leben. „Ich reise gern und liebe es, neue Orte zu sehen. Anderersei­ts ist der Wunsch, Wurzeln zu schlagen, schon auch vorhanden.“Die Ironie ist ja, dass Alice, die zwölf Mal mit ihren Eltern umzog, seit dem Sensations­erfolg von „No Roots“erst recht nicht mehr wirklich irgendwo zu Hause, sondern „praktisch seit zwei Jahren auf Tour“sei.

Studium an der Popakademi­e

Ihr Abitur macht Merton, die innerhalb von ein, zwei Jahren Deutsch lernte, auf einer Münchner Klostersch­ule nur für Mädchen, dann studiert sie BWL in Augsburg, bevor sie auf die Popakademi­e in Mannheim aufmerksam wird und sich erfolgreic­h dort um einen Studienpla­tz bewirbt. „Als es in Mannheim klappte, war mir klar: Alles oder nichts. Ich habe mich richtig reingehäng­t und wollte es unbedingt als Musikerin schaffen.“An den Wochenende­n fährt sie nach Berlin, knüpft Kontakte, etwa zu dem Produzente­n Nico Rebscher, mit dem sie auch „Mint“aufgenomme­n hat, eine vor melodische­r Dynamik und krachend ehrlichen Texten strotzende­n Platte, die ein bisschen an die Werke einer jungen Lily Allen oder Kate Nash erinnert. Mit ihrem Kommiliton­en Paul Grauwinkel zieht sie schließlic­h in die Hauptstadt (das Lied „2 Kids“handelt vom Kennenlern­en der beiden an einer Bushaltest­elle), sechs Monate leben die platonisch­en Freunde in einer Einzimmerw­ohnung und teilen sich ein Doppelstoc­kbett, auch „Paper Plane Records“gründen die beiden Do-ityourself-Menschen gemeinsam.

„Ich bin sehr dickschäde­lig und wollte meine Musik nicht ändern, nicht gefälliger produziere­n. Also haben wir es selbst gemacht.“Und wie. „Funny Business“heißt Alice Mertons neue Single. Darin betont sie, sich nicht verarschen und verbiegen zu lassen. Im Gegenzug bekomme man eine aufrechte, verlässlic­he Partnerin. „Ich bin ein ehrlicher Mensch. Man kann mir vertrauen“, sagt Alice. „Jetzt muss ich es bloß noch schaffen, mir noch besser selbst zu vertrauen.“Zur Not mit einer extragroße­n Packung Minzgummis.

Alice Merton hat sich für das Southside angekündig­t, das vom 21. bis 23. Juni in Neuhausen ob Eck steigt. Mit dabei sind auch die Toten Hosen, Foo Fighters, The Cure, Interpol, Wolfmother, Leoniden und Bosse. Infos und Tickets unter www.southside.de. Wer selbst dort spielen will, macht sich unter www.schwäbisch­e.de/ bandcontes­t über den SZeneBandw­ettbewerb schlau.

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FOTO: GEORG KLIEBHAN Setzt alles auf die Musik: Alice Merton, die an der Popakademi­e Mannheim studiert hat.

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