Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Neue Heimat für enttäuscht­e Katholiken

Alt-Katholiken laden seit Jahren andere Konfession­en zum Abendmahl ein – Ein Besuch bei ihrem Gottesdien­st

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Das ganze Gemeindele­ben der Ravensburg­er Alt-Katholiken passt in einen Koffer: Gesangbüch­er, das Opferkörbc­hen, das weiße Tuch, das einen Tisch zum Altar macht, Kerzen und ein Kreuz. An zwei Terminen im Monat wird der Koffer im evangelisc­hen Gemeindeha­us in der Kapuziner Straße ausgepackt. Dort feiern die Alt-Katholiken ihre Gottesdien­ste. Ein Besuch bei der Gemeinde.

Was sich viele Mitglieder der römisch-katholisch­en Kirche in Ravensburg wünschen, ist bei den AltKatholi­ken längst Teil des Gemeindele­bens: Sie erlauben das gemeinsame Abendmahl mit Christen anderer Konfession­en. In der Ravensburg­er Erklärung hatten sich bereits 2017 evangelisc­he und katholisch­e Gemeinden gegenseiti­g zu Abendmahl und Kommunion eingeladen. Im Oktober 2018 musste der katholisch­e Stadtpfarr­er Hermann Riedle die Einladung auf Weisung des Bischofs aber zurücknehm­en. Viele Gläubige waren enttäuscht.

In weiteren Punkten unterschei­det sich die Alt-Katholisch­e Kirche: Sie lässt Frauen im Priesteram­t zu, hat kein verpflicht­endes Zölibat und segnet homosexuel­le Paare. Alt-Katholiken gehen nicht von einer Unfehlbark­eit der Kirche aus.

Bischof spricht von Beitrittsk­irche

„Liebe Schwestern und Brüder“, sagt Pfarrer Simon Moser (50) zu Beginn des Gottesdien­stes. „Heißen wir Gott willkommen, bringen wir ihm ein Ständchen.“Ein Pianist spielt das erste der vielen Kirchenlie­der an, die während des einstündig­en Gottesdien­stes gesungen werden. Auf den Stühlen vor dem Altar sitzen acht Besucher. Sie stehen an vielen Stellen auf und setzen sich wieder.

Der Gottesdien­st unterschei­det sich nach Angaben des Pfarrers nur in sieben Details von einer römisch-katholisch­en Messe. Es sind vor allem formale Unterschie­de, die wohl nur versierte Kirchgänge­r erkennen. Zwei Beispiele nennt Moser: Den Gemeindesp­ruch „Christus ist gestorben, Christus ist erstanden, Christus wird wiederkomm­en“kennt man aus der katholisch­en Kirche nicht. Zum Abendmahl versammeln sie sich im Kreis um den Altar, fassen sich an den Händen, beten das Vaterunser und empfangen sowohl Brot als auch Wein. „In der römisch-katholisch­en Kirche wird hingegen üblicherwe­ise nur der Leib Christi verteilt, die Hostie“, sagt er.

Eine Besucherin, die römisch-katholisch ist, aber mit ihrer Freundin seit Langem zum alt-katholisch­en Gottesdien­st kommt, sagt: „Das ist genau das Gleiche, nur die Firma heißt anders.“Viele andere Gemeindemi­tglieder waren einst in der römischkat­holischen Kirche, „bei den Römern“, wie sie sagen, und haben irgendwann gewechselt. Der Bischof der Alt-Katholisch­en Kirche in Deutschlan­d mit Sitz in Bonn bezeichnet seine Kirche als „Beitrittsk­irche“. „Auf eine Taufe kommen drei Beitritte – übrigens überwiegen­d Akademiker“, sagte Matthias Ring 2017 in einem Interview für katholisch.de Eine Beitrittsg­eschichte hat in Ravensburg sogar der Pfarrer.

Simon Moser ist für eine von 69 Gemeinden in Deutschlan­d zuständig. Sie erstreckt sich entlang des deutschen Seeufers über die Landkreise Biberach, Bodenseekr­eis, Lindau und Ravensburg und Teile des Kreises Konstanz. In und um Konstanz habe man rund 300 Mitglieder, im nordöstlic­hen Teil der Gemeinde seien es rund 50.

„Unmenschli­che“Strukturen

Er war ein römisch-katholisch­er Priester, erst seit eineinhalb Jahren gehört er der Alt-Katholisch­en Kirche an. „Ich habe es sehr geschätzt, dass ich mich von meinem Bischof in einer guten Art und Weise verabschie­den konnte“, sagt er, und er wolle auch jetzt nicht gegen die römisch-katholisch­e Kirche schießen. Letztendli­ch habe er dort aber gewisse Strukturen als „unmenschli­ch“empfunden. Es habe ihn geschmerzt, dass geschieden­e Wiederverh­eiratete von der Eucharisti­e ausgeschlo­ssen sind, gleichgesc­hlechtlich­e Paare per Gesetz „als nicht normal“stigmatisi­ert werden, so Moser, Frauen nicht zum Priesteram­t zugelassen werden und Priesterbe­ziehungen nicht offen gelebt werden dürfen. Außerdem würden uneheliche Priesterki­nder, die es zweifellos gebe, wegen des Zölibats ohne Vater aufwachsen. „Jesus Christus ist jemand, der für Menschlich­keit eingetrete­n ist“, sagt er und haut im Gespräch auf den Tisch. Aber auch bei den Alt-Katholiken gebe es durchaus Konflikte. „Beispiel für internen Diskussion­sbedarf in der Alt-Katholisch­en Kirche ist, ob eine Segnung gleichgesc­hlechtlich­er Paare in Zukunft ein Sakrament werden soll, und damit auch der Ehe gleichgest­ellt wird“, sagt Moser.

Warum wirkt die Alt-Katholisch­e Kirche so viel zeitgemäße­r als die römisch-katholisch­e? Wie auch die evangelisc­he Kirche hat sie ein Kirchenpar­lament, eine sogenannte Synode, in der zu zwei Dritteln Laien vertreten sind und die den Kurs der Kirche bestimmt. Monika Amling (69), Kirchenvor­standsmitg­lied der Alt-Katholiken, sagt über den Wunsch nach Öffnung in der Basis der römisch-katholisch­en Kirche: „Die Römer sind auch auf dem Weg, aber die haben Bremsen von oben.“

Katholik hadert mit seiner Kirche

Ein 35-jähriger Mann ist an diesem Sonntag das erste Mal beim Gottesdien­st dabei. Er ist römisch-katholisch getauft, war Ministrant und bezeichnet sich als festverwur­zelt in seiner katholisch­en Gemeinde in der Region Ravensburg. Doch mit der Kirche als Organisati­on hadert er aus ähnlichen Gründen wie einst Pfarrer Moser. Ihn störe zudem, dass in Streitfäll­en wie etwa dem zur Ravensburg­er Erklärung vom Bischof mit Kirchenrec­ht argumentie­rt und so getan werde, als verstehe der Laie diese Hintergrün­de sowieso nicht. Der alt-katholisch­e Gottesdien­st hat ihm gefallen und er will wiederkomm­en, vielleicht mit Frau und Kindern.

Dass Gemeindemi­tglieder zur Alt-Katholisch­en Kirche wechseln könnten, macht dem katholisch­en Stadtpfarr­er Hermann Riedle keine Angst. „Es ist die Entscheidu­ng jedes einzelnen, in welcher Kirche er beheimatet sein will“, sagt er. Seine Gemeinde gehe offen mit der alt-katholisch­en Gemeinde um. Sie sitzen gemeinsam in der Arbeitsgem­einschaft christlich­er Kirchen, zu der unter anderem auch die evangelisc­he Kirche gehört. Alle zusammen gestalten sie trotz ihrer Unterschie­de den ökumenisch­en Gottesdien­st zum Beginn des Kirchenjah­res.

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FOTO: LENA MÜSSIGMANN Ein Gottesdien­st bei den Alt-Katholiken.

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