Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Geburtstunde des Frauenwahlrechts
So lief vor 100 Jahren die Wahl in Bad Waldsee ab
BAD WALDSEE - Was hat die Waldseer vor 100 Jahren bewegt? Welche prägenden Ereignisse fanden 1919 statt? Und wie hat sich das Leben zu jener Zeit in Waldsee abgespielt? Der ehemalige Geschichtslehrer und Buchautor Alfred Weißhaupt hat dazu recherchiert und interessante Informationen zusammengetragen:
„Es standen Wahlen an, im Januar vor 100 Jahren. Die ersten allgemeinen, freien, geheimen, gleichen und direkten Wahlen, die in Deutschland durchgeführt wurden für alle Männer und Frauen über 20 Jahren. In Württemberg und damit auch im Oberamt Waldsee bereits eine Woche vor dem übrigen Deutschland, denn am 12. Januar sollten hier Wahlen zur „Verfassungsgebenden Landesversammlung“stattfinden. Noch vor den Reichstagswahlen, die auf den 19. Januar im gesamten deutschen Reich angesetzt waren.
Das Waldseer Tagblatt, wie es sich seit Jahresbeginn nennt, lässt alle Anzeichen für Unabhängigkeit und Neutralität fallen und wird zum reinen Zentrumsblatt. „Gewiss war schon ein fremder Hausierer bei euch, um einen hochfeinen Goldschmuck für feines Geld euch aufzuschwätzen. Er pries seine Ware als etwas ganz Neues, nie Dagewesenes an. Die Ware war Schund, wer etwas kaufte war betrogen. So ein Hausierer klopft gegenwärtig an allen Türen an. Er heißt Sozialdemokratie“, kann man Anfang Januar im Tagblatt lesen. Als Fazit weiß das Blatt seinen Lesern am 11. Januar, einen Tag vor den Landtagswahlen, nur einen Rat: Wer das Glück erhalten wolle, müsse seine Stimme unbedingt der Zentrumspartei geben.
Das Ergebnis dieser Wahl im Oberamt fällt dann auch zur Zufriedenheit der Zeitung aus: 11633 Stimmen und damit 76 Prozent erhielt das Zentrum bei einer Wahlbeteiligung im Oberamt von 94 Prozent. „Ein sehr erfreuliches Resultat“, findet das Tagblatt am 13. Januar und veröffentlichte sodann die Namen der 31 neuen Mitglieder des Zentrums im württembergischen Landtag. – Die Abgeordneten der anderen Parteien bleiben unerwähnt.
Mehrheit stimmt für Zentrum
Insgesamt stimmte eine überwältigende Mehrheit für das Zentrum im Oberamt Waldsee, die sich bei den eine Woche später stattfindenden Reichstagswahlen wiederholt. Dabei erhält das Zentrum im Oberamt Waldsee 80 Prozent der Stimmen. Die SPD mit 9 Prozent und die DDP mit 8,6 Prozent landen weit abgeschlagen. Der Zentrumskandidat für den Wahlkreis Biberach, Waldsee und Wangen, Matthias Erzberger schickt zur Wahl über das Tagblatt ein Grußwort nach Oberschwaben, findet aber keine Zeit für eine Wahlversammlung in der Gegend. Auf der Landesliste für die „Unabhängigen Sozialdemokraten“steht 1919 auf Platz eins im übrigen Clara Zetkin, Schriftstellerin aus Sillenbuch bei Stuttgart. Von 1899 bis 1927 war Clara Zetkin mit dem Maler Friedrich Zundel verheiratet. Die 42jährige Clara Zetkin, geborene Eisner, hatte den 24jährigen Kunstmaler in Stuttgart-Sillenbuch kennengelernt, wo sie mit ihren beiden Söhnen aus erster Ehe mit dem russischen Revolutionär Ossip Zetkin seit 1890 wohnte. Die Ehe mit dem Maler wurde 1927 geschieden. Friedrich Zundel heiratete kurze Zeit später Paula Bosch, die Tochter seines Sillenbucher Nachbarn Robert Bosch. Obwohl Friedrich Zundel ein recht erfolgreicher Künstler war, brachte Paula Bosch wohl doch das nötige Geld mit in die Ehe, um landwirtschaftliche Güter, wie den St. Georgs-Hof in Haisterkirch zu kaufen und zu bewirtschaften. Nach dem Tod von Friedrich Zundel 1948 ließen seine Witwe Paula Zundel-Bosch und ihre Schwester Margarete FischerBosch in Tübingen 1971 die Kunsthalle errichten, um dem Werk des Malers Friedrich Zundel eine bleibende Ausstellungsfläche zu bieten.
Die Kandidatur für den Reichstag 1919 war für Clara Zetkin übrigens erfolglos. Eine Woche vorher in die „Verfassungsgebende Versammlung“von Württemberg gewählt, stimmte sie am 25. September 1919 gegen die neue Verfassung des „Volksstaates Württemberg“.
Die USDP erhielt bei den Reichstagswahlen 1919 in Württemberg nur 2,7 Prozent der Stimmen und damit kein Mandat. Stärkste Parteien bei dieser Wahl in Württemberg waren die SPD (35,4 Prozent), die DDP (25 Prozent) und das Zentrum (22,8 Prozent). Die drei Parteigruppierungen der sogenannten „Weimarer Koalition“, welche die demokratische Verfassung des Deutschen Reiches verfassten und vertraten.
In Waldsee heftig diskutiert wird Anfang 1919 die Forderung der SPD und der Liberalen, eine konfessionslose Schule einzuführen. Das Ende des christlichen Abendlandes wird in diesem Zusammenhang heraufbeschworen. Gleichzeitig wird im Hirschkeller eine 20-köpfige Militärtruppe unter Unteroffizier und Obermetzger Josef Lang stationiert. Die Truppe soll Sicherungsdienste versehen und mit den „diesbezüglichen Behörden in Stadt und im Bezirk in Verbindung stehen“,heißt es im Tagblatt am 7. Januar 1919). Eine „Schutztruppe“nicht etwa unter dem Kommando der gewählten Arbeiterund Bauernräte, sondern zur Unterstützung der vom Kaiserreich übernommenen alten Verwaltungsbehörden.
Auch die adeligen Herrschaften beginnen ihren Besitz in die neue Zeit hinüberzuretten. Am 9. Januar gibt das Haus Königsegg-Aulendorf bekannt, dass seine Torfbetriebe in Tannhausen in eine GmbH mit bürgerlichem Geschäftsführer umgewandelt wurden. Erbgraf Erwin fungiert nur noch als Stellvertreter der Geschäftsführung – Man weiß ja nie, was die „Sozen“in Stuttgart und Berlin bezüglich einer Landreform beabsichtigen und bringt so wenigstens einen kleinen Teil der Ländereien in Sicherheit.“