Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Im Süden lebt es sich am besten

Neue Studie sieht Baden-Württember­g und Bayern bei der Zukunftsfä­higkeit ganz vorn

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Deutschlan­ds Spitzenplä­tze zum Leben liegen im Süden. In Baden-Württember­g und Bayern finden sich die Regionen Deutschlan­ds, die auch in Zukunft besonders lebenswert sind. Von den 20 besten Kreisen liegen 19 in Baden-Württember­g und Bayern. Nach München (Platz 1) und Heidelberg (Platz 3) kommen unter anderem Ulm (Platz 10) und der Bodenseekr­eis (Platz 14) in die Liste der Besten.

Wie zukunftsfä­hig sind Deutschlan­ds Regionen? Das wollte das Berlin-Institut für Bevölkerun­g und Entwicklun­g messen. In einem Index wurden unter anderem die demografis­che Entwicklun­g, Wirtschaft, Bildung und Familienfr­eundlichke­it gewertet, die dann zusammen eine Gesamtnote für jeden Kreis ergeben. Die Bestnote mit 2,61 hat der Bodenseekr­eis, aber auch Biberach (2,79) und Ravensburg (2,88) liegen ganz vorn inder Bewertung der Landkreise. Dass der wirt schafts starke Süden insgesamt die Rangliste anführt, ist für Reiner Kling holz, den Instituts direktor, nicht verwunderl­ich.

Überrasche­nd dagegen: Der Osten holt auf. Die am schnellste­n wachsende Stadt Deutschlan­ds ist Leipzig, ein attraktive­r Studienort und Leuchtturm im Osten. Aber auch Dresden, laut Klingholz umgeben von „Silicon Saxony“, ist eine einzige Erfolsgesc­hichte und muss sich in Zukunft wahrschein­lich nur Sorgen machen, wie man mehr Fachkräfte bekommt. Klingholz empfiehlt den Dresdnern, künftig für „Ausländer rein“auf die Straße zu gehen.

Für Baden-Württember­g spricht die In novat ions freude. Zwei Drittel der 67 700 Patente in Deuschland kamen aus Bayern und Baden-Württember­g. Auch die Lebenserwa­rtung ist hier mit 82 Jahren am höchsten.

Dunkle Wolken aber ziehen am Himmel auf. „Baden-Württember­g schwächelt, aber auf höchstem Niveau“, steht in der Studie des BerlinInst­ituts. Grund seien Exportschw­ierigkeite­n und die Lage im Automobilb­au. Verbrennun­gsmotoren verlören an Bedeutung, und die Frage sei, ob die deutschen Autobauer den Anschluss bei Hybrid- und Elektroant­rieben bereits verloren hätten. In Baden-Württember­g sitzen die Autobauer Daimler und Porsche, „um die sich Zulieferfi­rmen wie Bosch, ZF in Friedrichs­hafen, Mahle oder Voith“ranken, heißt es in der Studie. Erst am Donnerstag hatte jedoch ZF den größten Auftrag der Konzern geschichte verkündet–unter anderem für Hybrid getriebe. Auf der Habenseite des Landes stehe die hervorrage­nde Forschungs- und Bil dungs landschaft. Im Land leben besonders viele Hochqualif­izierte, jeder Vierte hat einen Hochschula­bschluss oder eine höhere Ausbildung absolviert.

In Sachen Familien freundlich­keit belege der Südwesten indes nur Rang zwölf. Das liege, so die Studie, vor allem daran, dass der Anteil der Kinder bis zu sechs Jahren, die ganztägig betreut werden, mit 16,1 Prozent deutschlan­dweit am niedrigste­n sei.

BERLIN (sal) - Leipzig, Erfurt, Dresden – es gibt handfeste Überraschu­ngen im Osten des Landes. Obwohl in allen fünf Ostländern laut Prognose die Bevölkerun­gszahlen zurückgehe­n werden, hat der Osten doch auch die am schnellste­n wachsende Stadt der Republik: Leipzig muss bis 2035 ein Plus von 16 Prozent verkraften. Vor allem für junge Leute und Bildungswa­nderer sei Leipzig interessan­t. Weitere Leuchttürm­e im Osten seien Potsdam, Dresden, Erfurt, Jena, Rostock,Halle und Magdeburg, heißt es in der Studie des Berlin Instituts. Trotzdem träten die Lücken der 1990er-Jahre, als viele in den Westen abwanderte­n, in Ostdeutsch­land zutage, so Reiner Klingholz, der Direktor des Berlin Instituts. Aber auch Berlin wirke wie ein Magnet – bis 2035 wird es der Studie zufolge elf Prozent mehr Hauptstädt­er geben.

Auch im Westen wachsen die Städte und schrumpfen die Randregion­en, etwa entlang der früheren DDR-Grenze in Bayern. Das wahre Armenhaus Deutschlan­ds liege aber heute nicht in den neuen Ländern, sondern sei das Ruhrgebiet. Hier seien die Einkommen jetzt niedriger als im Osten.

Überrasche­nd gut macht sich das Emsland. Es liegt entlegen und passt eigentlich nicht ins Bild, ist aber kolossal beliebt. Für Klingholz ein Beispiel von gelungener Strukturpo­litik. Ländlich peripher, aber mit starker Zuwanderun­g, niedriger Arbeitslos­igkeit und einem vitalen Arbeitsmar­kt – so präsentier­t sich das an der holländisc­hen Grenze gelegene Emsland. Die Region im Westen Niedersach­sens koppele sich damit ab von der üblichen Entwicklun­g vieler ländlicher Gebiete Europas. Für Schrumpfre­gionen seien dringend gute Konzepte nötig, so Klingholz. Reiner Klingholz mahnt Kommunen und Länder, ehrliche Antworten auf die Herausford­erungen zu geben. Es gebe kein Finanzieru­ngsrezept für die Renten der Zukunft, so Klingholz, dass sie nur über Steuern zu finanziere­n seien, sage niemand. Das Renteneint­rittsalter müsse dringend an die Lebenserwa­rtung gekoppelt werden. Die Abbrecherq­uote an deutschen Schulen sie viel zu hoch, in Sachsen-Anhalt seien zehn Prozent ohne Hauptschul­abschluss. Zu Zuwanderun­g, um den Fachkräfte­mangel zu verringern, gebe es keine Alternativ­en, aber man brauche eine viel schnellere Integratio­n.

Ihre Studie verstehen die Autoren als Denkanstoß an die Politik. „Die Förderung mit der Gießkanne ist Geldversch­wendung“, urteilt Klingholz. „Die Realität ist eine Vielfalt. Gleichwert­igkeit lässt sich nicht schaffen.“

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