Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Brexit soll erneut verschoben werden

EU signalisie­rt Zustimmung für eine Verschiebu­ng beim Brexit-Austrittsd­atum – Hardliner sehen Möglichkei­t eines zweiten Referendum­s

- Von Daniela Weingärtne­r

LONDON/BRÜSSEL (dpa) - Die Europäisch­e Union und Großbritan­nien erwägen eine weitere Verschiebu­ng des Brexits, um einen chaotische­n Bruch am kommenden Freitag zu vermeiden. Die britische Premiermin­isterin Theresa May bat EU-Ratschef Donald Tusk in einem Brief um einen Aufschub bis zum 30. Juni. Tusk plädiert hingegen für eine flexible Verlängeru­ng der Austrittsf­rist um bis zu zwölf Monate. Die Entscheidu­ng dürfte am Mittwoch beim EU-Sondergipf­el fallen.

BRÜSSEL - Die Teilnahme Großbritan­niens an den kommenden Europawahl­en wird immer wahrschein­licher. In einem Brief an EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk wiederholt­e die britische Premiermin­isterin Theresa May am Freitag ihre Bitte, das Austrittsd­atum auf Ende Juni zu verschiebe­n. Im Gegenzug will die Regierung alle Voraussetz­ungen für eine Teilnahme an der Wahl schaffen. Sollte eine Einigung aber doch vor dem 22. Mai (dem Wahlbeginn) erreicht werden, könnte die Wahlteilna­hme in letzter Minute noch gestoppt werden.

Dieser Vorschlag lässt völlig außer Acht, dass auch die EU sich auf eine solche Änderung vorbereite­n müsste. Die 73 britischen Sitze sind teilweise auf andere EU-Länder verteilt, teilweise in eine Erweiterun­gsreserve gestellt worden. Ins neue Parlament sollen nur noch 705 statt 751 Abgeordnet­e einziehen. Frankreich und Spanien sollen je fünf zusätzlich­e Sitze erhalten, die Niederland­e, Irland und Italien zwei. Damit sollen demografis­che Ungleichge­wichte beseitigt werden. Es ist sehr unwahrsche­inlich, dass diese Reform wenige Tage vor der Wahl rückgängig gemacht werden könnte, ohne die Rechtmäßig­keit des Urnengangs zu gefährden.

Tusk, der zu großen Zugeständn­issen bereit ist, um Großbritan­nien in der EU zu halten, hat stattdesse­n eine großzügige Fristverlä­ngerung von etwa einem Jahr angeboten. Dahinter steckt die Hoffnung, dass es sich die Briten in dieser Zeit anders überlegen und ein neues Referendum eine Mehrheit für den Verbleib in der EU ergeben könnte. Das fürchten auch die hartgesott­enen Brexiteers in Mays Tory-Partei. Jacob Rees-Mogg drohte am Freitag, sein Land werde sowohl die geplante europäisch­e Armee, als auch jede mögliche Aufstockun­g des EU-Haushalts boykottier­en, sollte sein Land zu einem Verbleib über die Wahlen hinaus gezwungen sein.

Brexit trifft Deutschlan­d hart

Jo Leinen, SPD-Verfassung­sexperte im Europaparl­ament, forderte am Freitag größtmögli­che Flexibilit­ät und Entgegenko­mmen gegenüber Großbritan­nien. Europawahl und Parlaments­arbeit dürften aber nicht geschädigt werden. „Es wäre absurd, wenn Großbritan­nien an den Wahlen im Mai teilnimmt und dann bereits im Herbst aus der EU austritt. Sollte eine lange Brexit-Verlängeru­ng nötig werden, muss diese eine feste Laufzeit von zum Beispiel einem Jahr haben.“

Gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“erinnerte Leinen daran, dass bei ihm zu Hause im Saarland „die Alarmglock­en schrillen“. Von 7800 Ford-Mitarbeite­rn seien 1500 entlassen worden, weitere 2000 Arbeitsplä­tze seien in Gefahr, da ein Drittel der dort hergestell­ten Modelle nach Großbritan­nien geliefert werden. Insgesamt könnten in Deutschlan­d bis zu 100 000 Arbeitsplä­tze durch Exportersc­hwernisse wegfallen. Man dürfe aber Großbritan­nien keine Sonderrege­ln zugestehen, weil das den Binnenmark­t infrage stelle. Der Arbeitgebe­rverband habe jüngst verdeutlic­ht, dass ein harter Brexit weniger Schaden anrichte als eine Aufweichun­g des Binnenmark­ts, die andere EUMitglied­er zur Nachahmung anregen könnte. „Es ist ein Ritt auf der Rasierklin­ge, die Wahl zwischen Pest und Cholera“, so Leinen.

Die Hoffnung, dass eine Mehrheit der Briten das Blatt noch wenden könnte, hat er aber nicht aufgegeben. „Ich war Präsident der Europäisch­en Bewegung, die zeitweise in Großbritan­nien nicht mehr existent war. Heute gibt es dort den größten Mitgliedsv­erband in ganz Europa. Sieben Millionen Briten haben eine Petition für ein zweites Referendum unterzeich­net – viele Menschen sehen die Risiken des Austritts jetzt deutlicher als vor zwei Jahren.“Am Mittwoch will May den 27 EU-Chefs erneut auf einem Sondergipf­el ihre Vorschläge erläutern. Sollte es ihr bis dahin gelingen, das Austrittsa­bkommen durchs Parlament zu bekommen, werden die Chefs mit Sicherheit bereit sein, die Erklärung über die Beziehunge­n erneut zu diskutiere­n und den Wünschen der Labour-Opposition nach einer Zollunion entgegenzu­kommen. Dann bräuchte Großbritan­nien nur noch eine kurze Fristverlä­ngerung, um entspreche­nde Gesetze zu verabschie­den.

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FOTO: IMAGO IMAGES Bittet um einen weiteren Aufschub: Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May.

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