Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Schulen gegen den Schlabberlook
Die Jogginghose, das vielleicht polarisierendste Kleidungsstück, rückt in den Fokus von Lehrern und Schülern
Nein, Presseanfragen zum Jogginghosenverbot an der Kreuzerfeld-Realschule in Rottenburg beantworten will Rektor Hartmut Schänzlin nicht mehr. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns wieder um unsere Kernaufgaben kümmern müssen“, sagt der Pädagoge. Freundlich, aber bestimmt und mit leicht genervtem Unterton. Seit Februar gilt an der Schule eine neue Kleiderordnung, die die beliebten Schlabberhosen in die Zeit nach dem letzten Gong verbannt – und seither muss der Schulleiter sich erklären. „Wir kleiden uns in der Schule angemessen. Unsere schulische Kleidung unterscheidet sich von unserer Freizeitkleidung“, heißt es in den neuen Regeln, die sich die Schule verordnet hat. Es gehe darum, die Schüler zu sensibilisieren, welche Kleidung für welchen Anlass angemessen ist. Ist die Schule mit ihrer strikten Linie ein Exot – oder wird sie gar zum Vorreiter?
Der schwarze Schlabberpulli mit dem Puma-Logo erinnert an faule Nachmittage auf der Couch, an Sporthalle und Hip-Hop. Seine Trägerin heißt Julia Netzer und sitzt im Büro der Schulleitung am Bildungszentrum Markdorf (BZM). Die Achtklässlerin wurde aber nicht wegen des bequemen Kleidungsstücks hier her-zitiert. Wären wir an der Kreuzerfeld-Realschule in Rottenburg, wäre das durchaus möglich.
Vernunft und Verbote
Das BZM im Bodenseekreis besuchen rund 2000 Schülerinnen und Schüler. Gymnasium, Real- und Werkrealschule sind unter dem Dach des BZM untergebracht. Eine spezielle Kleiderordnung gibt es dort nicht – vielleicht, weil die Schüler an sich ein ganz gutes Gespür dafür haben, was geht und was nicht: „Sich angemessen anzuziehen, ist für uns selbstverständlich, denn es wäre respektlos, in Jogginghose zur Schule zu kommen“, sagt Netzer.
Die neue Regel aus Rottenburg sei durchaus Gesprächsthema, sagt Veronika Elflein, Leiterin der Realschule am BZM. Aber: „Wir setzen eher auf Vernunft“, erklärt sie. Dennoch gibt es durchaus Kleidungsstücke, die unerwünscht und auch per allgemeiner Schulordnung verboten sind. Baseballkappen beispielsweise. „Sie können den Schülern nicht ins Gesicht schauen, wenn sie Kappe tragen“, sagt Elflein. Wenn jemand sich „unangemessen“anzieht, suchen Lehrer in Markdorf das Gespräch. „Das bewirkt mehr als ein Verbot, denn es ist einem peinlich“, sagt Emily Bauerkämper. Die 13-jährige Markdorferin besucht die achte Klasse der Realschule und engagiert sich wie Netzer in der Schülermitverantwortung (SMV). Die beiden könnten sich sogar Schuluniformen nach englischem Vorbild vorstellen: „Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl.“Wie an der Mehrheit deutscher Schulen gibt es in Markdorf keine Schuluniformen. Dafür kann jeder, der möchte, mit der BZM-Kollektion Flagge zeigen: „Vor ein paar Jahren sind wir mit einer eigenen Schulkleidung gestartet“, sagt Elflein. Vom TShirt bis zur Sweat-Jacke – die in Rottenburg wohl auch zur Freizeitkleidung zählen dürfte – reicht die Palette. In Deutschland sind Kleidungsstücke mit Logos der Schulen lang nicht so populär wie etwa an amerikanischen Bildungseinrichtungen. Dort tragen Schüler und Studenten den Namen in dicken Lettern zur Schau – und auch bei Touristen, die nie in Harvard waren, erfreuen sich solche Kleidungsstücke großer Beliebtheit. Die BZM-Kollektion läuft gut. „Wir tragen das jetzt nicht jeden Tag, aber es ist eben eine Art, zu zeigen, dass man gern hier zur Schule geht“, sagt Bauerkämper.
Diskussionen über unpassende Kleidung in der Schule gibt es immer wieder.
2017 erließ eine Schule in Horb ein Hotpants-Verbot, weil sich Schülerinnen „sehr aufreizend“präsentierten. Aktuell ist nun die Jogginghose der Zankapfel, und die
Debatte wird durchaus emotional geführt. Am Donnerstag wurde bekannt, dass auch die Realschule Süd in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) die legeren Beinlinge nicht im Schulhaus haben will. Ein paar Schüler seien immer wieder in grauen Schlabberhosen zum Unterricht gekommen, sagt Direktorin Anja Sprengel. „Das sah aus wie frisch vom Sofa.“Die Schule bereite aufs Berufsleben vor, der „Couch-Potato-Look“sei unangebracht.
Oliver Dickhäuser zweifelt am Sinn solcher Verbote. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie der Universität Mannheim. Seiner Meinung nach muss man sich fragen, ob es nicht ohne Verbote geht. „Das ist deshalb wichtig, weil gerade in der Sekundarstufe Kinder und Jugendliche in einer Phase sind, in der sie ein erhöhtes Autonomiebedürfnis haben und auf Einschränkungen ihrer Freiheit besonders empfindlich reagieren.“Sinnvoller als strikte Regelungen fände er es, im Unterricht darüber zu sprechen, zu welchem Anlass welche Kleidung angemessen ist. Etwa im Hinblick auf Bewerbungsgespräche, in denen es auf den ersten Eindruck ankommt: „Man muss anerkennen, dass wir in einer Welt leben, in der Äußerlichkeiten und Form nicht belanglos sind.“
Jürgen Grund, Rektor der Schönbein-Realschule in Metzingen, formuliert es etwas strikter: „Wenn Sie in die Philharmonie gehen, ziehen Sie sich auch ordentlich an.“An seiner Schule, die 600 Schüler besuchen, gibt es seit fünf Jahren ein solches Verbot – und man fahre gut damit. Grund erinnert sich an einen Fall, in dem Schüler trotz mehrfacher Ermahnung in Jogginghosen aufgetaucht seien. „Wir haben dann die Eltern angerufen und sie gebeten, andere Kleidung vorbeizubringen.“Die Schüler mussten sich umziehen. „Einem Vater war es sogar ganz recht, er sagte zu mir, es habe am Frühstückstisch schon Diskussionen darüber gegeben“, sagt der Rektor.
Tabu ist, so steht es in der Metzinger Schulordnung, „provozierende und aufreizende“Kleidung. Dazu gehören nicht nur Schlabberklamotten, sondern auch martialische Tarnmuster oder Totenkopf-T-Shirts. Zehntklässlerin Laura Takac kann mit der Regelung leben: „Jogginghosen ziehe ich zu Hause an, wenn ich chille. In der Schule hat solche Kleidung nichts verloren.“Es gehe auch darum, was man aufgrund der Kleidung über jemanden denke, sagt die 16Jährige. Eine Ausnahme gibt es: „Wir veranstalten als Besonderheit den Jogginghosentag, an dem Schüler und Lehrer dann Schlabberlook tragen dürfen“, sagt Grund. Das kommt an. „Die Jogginghose kann auch mal dreckig werden – das fand ich an dem Tag praktisch, denn ich hatte mittags drei Stunden Technikunterricht“, sagt Joelle Harter aus der achten Klasse. Und Hannah Blessing aus der zehnten Klasse fügt an: „Es kam entspannter rüber, ansonsten war alles wie gehabt.“
Kritik am Rottenburger Verbot kommt vom Landesschülerbeirat Baden-Württemberg. „Die Schülerinnen und Schüler sollen die Schule als mündige und unabhängige Persönlichkeiten verlassen“, äußert sich die stellvertretende Vorsitzende Ardit Jashanica. Dazu gehöre auch die angemessene Wahl der Kleidung beziehungsweise der Umgangsformen im jeweiligen Umfeld: „In der Schule oder beim künftigen Arbeitgeber kleidet man sich nicht wie bei einem Abend im Club.“Mit Verboten erreiche man dieses Ziel aber nicht. „Menschen zu verbieten, bequeme Hosen zu tragen oder Kaugummi zu kauen, sehe ich nicht als Lösung“, so Jashanica. An der Rottenburger Realschule wurden neben Freizeitkleidung auch Kaugummis, Energydrinks und Kartoffelchips verboten.
Keine offiziellen Vorgaben
Ob es Vorschriften zur Kleidung gibt, entscheiden die Schulen selbst. Vonseiten des Kultusministeriums Baden-Württemberg gibt es keine Vorgaben: „Für uns gäbe es auch gar keine rechtliche Grundlage“, sagt Pressesprecherin Christine Sattler. „Die Art, sich zu kleiden, ist für jeden persönlich ein Akt der Freiheit.“Ausnahme sei zum Beispiel das Tragen verfassungsfeindlicher Symbole, die gesetzlich verboten sind, sagt Sattler. Allerdings können Schulen selbst Kleiderordnungen erlassen, wenn sie das notwendig finden. Dafür braucht es den Beschluss der Schulkonferenz, in der Schulleitung, Lehrer, Schüler und Eltern vertreten sind. So war es auch im Fall Rottenburg. Wie viele Schulen im Land eine solche Ordnung haben, wird zahlenmäßig nicht erfasst. Manche Schule habe eine Art „Uniform“– allerdings nicht in dem Stil wie etwa in England. „Das sind eher einheitliche Schulpullover. Manchmal kommt das auch von den Schülern selber, etwa, um dem Konkurrenzdruck durch Markenkleidung entgegenzuwirken.“
Christian Meißner vom Regierungspräsidium in Tübingen, der die Presseanfragen zum Jogginghosenverbot anstelle des Rottenburger Rektors beantwortet, zieht eine positive Bilanz. „Vonseiten der Eltern gab es nur eine kritische Nachfrage“, sagt Meißner. Unter älteren Schülern habe es mehr Gesprächsbedarf gegeben, aber nachdem Lehrer mit ihnen gesprochen hätten, sei Ruhe eingekehrt.
Die Jogginghose drängt aber auch abseits der Schulen immer stärker ins öffentliche Bild. Jugendliche eifern damit gern ihren Idolen in der Hip-Hop-Szene nach, doch auch Erwachsene tragen das Kleidungsstück längst nicht mehr nur beim Sport. Ob am Flughafen oder in der Stadt: Das flexible Textil wird seit Jahren salonfähiger – taugt aber durchaus zum Streitfall. Fans bevorzugen den Stoff, der sich der Figur des Trägers anpasst; Kritiker stören sich am Schlabberlook und unterstellen den Trägern nicht bloß fehlendes Modebewusstsein, sondern schlicht Trägheit. Trotzdem schaffte es die Jogginghose in den vergangenen Jahren sogar auf die Laufstege. Designer spielten damit und brachten edle Varianten auf den Markt. Für Karl Lagerfeld, den im Februar verstorbenen deutschen Modezar, stand hingegen fest: „Jogginghosen sind das Zeichen einer Niederlage. Man hat die Kontrolle über sein Leben verloren und dann geht man eben in Jogginghosen auf die Straße.“