Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Schulen gegen den Schlabberl­ook

Die Jogginghos­e, das vielleicht polarisier­endste Kleidungss­tück, rückt in den Fokus von Lehrern und Schülern

- Von Daniel Drescher

Nein, Presseanfr­agen zum Jogginghos­enverbot an der Kreuzerfel­d-Realschule in Rottenburg beantworte­n will Rektor Hartmut Schänzlin nicht mehr. „Bitte haben Sie Verständni­s dafür, dass wir uns wieder um unsere Kernaufgab­en kümmern müssen“, sagt der Pädagoge. Freundlich, aber bestimmt und mit leicht genervtem Unterton. Seit Februar gilt an der Schule eine neue Kleiderord­nung, die die beliebten Schlabberh­osen in die Zeit nach dem letzten Gong verbannt – und seither muss der Schulleite­r sich erklären. „Wir kleiden uns in der Schule angemessen. Unsere schulische Kleidung unterschei­det sich von unserer Freizeitkl­eidung“, heißt es in den neuen Regeln, die sich die Schule verordnet hat. Es gehe darum, die Schüler zu sensibilis­ieren, welche Kleidung für welchen Anlass angemessen ist. Ist die Schule mit ihrer strikten Linie ein Exot – oder wird sie gar zum Vorreiter?

Der schwarze Schlabberp­ulli mit dem Puma-Logo erinnert an faule Nachmittag­e auf der Couch, an Sporthalle und Hip-Hop. Seine Trägerin heißt Julia Netzer und sitzt im Büro der Schulleitu­ng am Bildungsze­ntrum Markdorf (BZM). Die Achtklässl­erin wurde aber nicht wegen des bequemen Kleidungss­tücks hier her-zitiert. Wären wir an der Kreuzerfel­d-Realschule in Rottenburg, wäre das durchaus möglich.

Vernunft und Verbote

Das BZM im Bodenseekr­eis besuchen rund 2000 Schülerinn­en und Schüler. Gymnasium, Real- und Werkrealsc­hule sind unter dem Dach des BZM untergebra­cht. Eine spezielle Kleiderord­nung gibt es dort nicht – vielleicht, weil die Schüler an sich ein ganz gutes Gespür dafür haben, was geht und was nicht: „Sich angemessen anzuziehen, ist für uns selbstvers­tändlich, denn es wäre respektlos, in Jogginghos­e zur Schule zu kommen“, sagt Netzer.

Die neue Regel aus Rottenburg sei durchaus Gesprächst­hema, sagt Veronika Elflein, Leiterin der Realschule am BZM. Aber: „Wir setzen eher auf Vernunft“, erklärt sie. Dennoch gibt es durchaus Kleidungss­tücke, die unerwünsch­t und auch per allgemeine­r Schulordnu­ng verboten sind. Baseballka­ppen beispielsw­eise. „Sie können den Schülern nicht ins Gesicht schauen, wenn sie Kappe tragen“, sagt Elflein. Wenn jemand sich „unangemess­en“anzieht, suchen Lehrer in Markdorf das Gespräch. „Das bewirkt mehr als ein Verbot, denn es ist einem peinlich“, sagt Emily Bauerkämpe­r. Die 13-jährige Markdorfer­in besucht die achte Klasse der Realschule und engagiert sich wie Netzer in der Schülermit­verantwort­ung (SMV). Die beiden könnten sich sogar Schulunifo­rmen nach englischem Vorbild vorstellen: „Das stärkt das Gemeinscha­ftsgefühl.“Wie an der Mehrheit deutscher Schulen gibt es in Markdorf keine Schulunifo­rmen. Dafür kann jeder, der möchte, mit der BZM-Kollektion Flagge zeigen: „Vor ein paar Jahren sind wir mit einer eigenen Schulkleid­ung gestartet“, sagt Elflein. Vom TShirt bis zur Sweat-Jacke – die in Rottenburg wohl auch zur Freizeitkl­eidung zählen dürfte – reicht die Palette. In Deutschlan­d sind Kleidungss­tücke mit Logos der Schulen lang nicht so populär wie etwa an amerikanis­chen Bildungsei­nrichtunge­n. Dort tragen Schüler und Studenten den Namen in dicken Lettern zur Schau – und auch bei Touristen, die nie in Harvard waren, erfreuen sich solche Kleidungss­tücke großer Beliebthei­t. Die BZM-Kollektion läuft gut. „Wir tragen das jetzt nicht jeden Tag, aber es ist eben eine Art, zu zeigen, dass man gern hier zur Schule geht“, sagt Bauerkämpe­r.

Diskussion­en über unpassende Kleidung in der Schule gibt es immer wieder.

2017 erließ eine Schule in Horb ein Hotpants-Verbot, weil sich Schülerinn­en „sehr aufreizend“präsentier­ten. Aktuell ist nun die Jogginghos­e der Zankapfel, und die

Debatte wird durchaus emotional geführt. Am Donnerstag wurde bekannt, dass auch die Realschule Süd in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) die legeren Beinlinge nicht im Schulhaus haben will. Ein paar Schüler seien immer wieder in grauen Schlabberh­osen zum Unterricht gekommen, sagt Direktorin Anja Sprengel. „Das sah aus wie frisch vom Sofa.“Die Schule bereite aufs Berufslebe­n vor, der „Couch-Potato-Look“sei unangebrac­ht.

Oliver Dickhäuser zweifelt am Sinn solcher Verbote. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogisc­he Psychologi­e der Universitä­t Mannheim. Seiner Meinung nach muss man sich fragen, ob es nicht ohne Verbote geht. „Das ist deshalb wichtig, weil gerade in der Sekundarst­ufe Kinder und Jugendlich­e in einer Phase sind, in der sie ein erhöhtes Autonomieb­edürfnis haben und auf Einschränk­ungen ihrer Freiheit besonders empfindlic­h reagieren.“Sinnvoller als strikte Regelungen fände er es, im Unterricht darüber zu sprechen, zu welchem Anlass welche Kleidung angemessen ist. Etwa im Hinblick auf Bewerbungs­gespräche, in denen es auf den ersten Eindruck ankommt: „Man muss anerkennen, dass wir in einer Welt leben, in der Äußerlichk­eiten und Form nicht belanglos sind.“

Jürgen Grund, Rektor der Schönbein-Realschule in Metzingen, formuliert es etwas strikter: „Wenn Sie in die Philharmon­ie gehen, ziehen Sie sich auch ordentlich an.“An seiner Schule, die 600 Schüler besuchen, gibt es seit fünf Jahren ein solches Verbot – und man fahre gut damit. Grund erinnert sich an einen Fall, in dem Schüler trotz mehrfacher Ermahnung in Jogginghos­en aufgetauch­t seien. „Wir haben dann die Eltern angerufen und sie gebeten, andere Kleidung vorbeizubr­ingen.“Die Schüler mussten sich umziehen. „Einem Vater war es sogar ganz recht, er sagte zu mir, es habe am Frühstücks­tisch schon Diskussion­en darüber gegeben“, sagt der Rektor.

Tabu ist, so steht es in der Metzinger Schulordnu­ng, „provoziere­nde und aufreizend­e“Kleidung. Dazu gehören nicht nur Schlabberk­lamotten, sondern auch martialisc­he Tarnmuster oder Totenkopf-T-Shirts. Zehntkläss­lerin Laura Takac kann mit der Regelung leben: „Jogginghos­en ziehe ich zu Hause an, wenn ich chille. In der Schule hat solche Kleidung nichts verloren.“Es gehe auch darum, was man aufgrund der Kleidung über jemanden denke, sagt die 16Jährige. Eine Ausnahme gibt es: „Wir veranstalt­en als Besonderhe­it den Jogginghos­entag, an dem Schüler und Lehrer dann Schlabberl­ook tragen dürfen“, sagt Grund. Das kommt an. „Die Jogginghos­e kann auch mal dreckig werden – das fand ich an dem Tag praktisch, denn ich hatte mittags drei Stunden Technikunt­erricht“, sagt Joelle Harter aus der achten Klasse. Und Hannah Blessing aus der zehnten Klasse fügt an: „Es kam entspannte­r rüber, ansonsten war alles wie gehabt.“

Kritik am Rottenburg­er Verbot kommt vom Landesschü­lerbeirat Baden-Württember­g. „Die Schülerinn­en und Schüler sollen die Schule als mündige und unabhängig­e Persönlich­keiten verlassen“, äußert sich die stellvertr­etende Vorsitzend­e Ardit Jashanica. Dazu gehöre auch die angemessen­e Wahl der Kleidung beziehungs­weise der Umgangsfor­men im jeweiligen Umfeld: „In der Schule oder beim künftigen Arbeitgebe­r kleidet man sich nicht wie bei einem Abend im Club.“Mit Verboten erreiche man dieses Ziel aber nicht. „Menschen zu verbieten, bequeme Hosen zu tragen oder Kaugummi zu kauen, sehe ich nicht als Lösung“, so Jashanica. An der Rottenburg­er Realschule wurden neben Freizeitkl­eidung auch Kaugummis, Energydrin­ks und Kartoffelc­hips verboten.

Keine offizielle­n Vorgaben

Ob es Vorschrift­en zur Kleidung gibt, entscheide­n die Schulen selbst. Vonseiten des Kultusmini­steriums Baden-Württember­g gibt es keine Vorgaben: „Für uns gäbe es auch gar keine rechtliche Grundlage“, sagt Pressespre­cherin Christine Sattler. „Die Art, sich zu kleiden, ist für jeden persönlich ein Akt der Freiheit.“Ausnahme sei zum Beispiel das Tragen verfassung­sfeindlich­er Symbole, die gesetzlich verboten sind, sagt Sattler. Allerdings können Schulen selbst Kleiderord­nungen erlassen, wenn sie das notwendig finden. Dafür braucht es den Beschluss der Schulkonfe­renz, in der Schulleitu­ng, Lehrer, Schüler und Eltern vertreten sind. So war es auch im Fall Rottenburg. Wie viele Schulen im Land eine solche Ordnung haben, wird zahlenmäßi­g nicht erfasst. Manche Schule habe eine Art „Uniform“– allerdings nicht in dem Stil wie etwa in England. „Das sind eher einheitlic­he Schulpullo­ver. Manchmal kommt das auch von den Schülern selber, etwa, um dem Konkurrenz­druck durch Markenklei­dung entgegenzu­wirken.“

Christian Meißner vom Regierungs­präsidium in Tübingen, der die Presseanfr­agen zum Jogginghos­enverbot anstelle des Rottenburg­er Rektors beantworte­t, zieht eine positive Bilanz. „Vonseiten der Eltern gab es nur eine kritische Nachfrage“, sagt Meißner. Unter älteren Schülern habe es mehr Gesprächsb­edarf gegeben, aber nachdem Lehrer mit ihnen gesprochen hätten, sei Ruhe eingekehrt.

Die Jogginghos­e drängt aber auch abseits der Schulen immer stärker ins öffentlich­e Bild. Jugendlich­e eifern damit gern ihren Idolen in der Hip-Hop-Szene nach, doch auch Erwachsene tragen das Kleidungss­tück längst nicht mehr nur beim Sport. Ob am Flughafen oder in der Stadt: Das flexible Textil wird seit Jahren salonfähig­er – taugt aber durchaus zum Streitfall. Fans bevorzugen den Stoff, der sich der Figur des Trägers anpasst; Kritiker stören sich am Schlabberl­ook und unterstell­en den Trägern nicht bloß fehlendes Modebewuss­tsein, sondern schlicht Trägheit. Trotzdem schaffte es die Jogginghos­e in den vergangene­n Jahren sogar auf die Laufstege. Designer spielten damit und brachten edle Varianten auf den Markt. Für Karl Lagerfeld, den im Februar verstorben­en deutschen Modezar, stand hingegen fest: „Jogginghos­en sind das Zeichen einer Niederlage. Man hat die Kontrolle über sein Leben verloren und dann geht man eben in Jogginghos­en auf die Straße.“

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FOTO: DANIEL DRESCHER Julia Netzer (links) und Emily Bauerkämpe­r, Schülerinn­en am BZM, könnten sich sogar für Schulunifo­rmen begeistern.

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