Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Haftstrafen für Brandanschlag auf Ulmer Moschee
Landgericht bewertet die Tat dreier junger Syrer als versuchten Mord und versuchte Brandstiftung
ULM - Drei junge Syrer kurdischer Herkunft sind am Freitag wegen des Brandanschlags auf eine Moschee der türkisch-islamischen Religionsgemeinschaft Milli Görüs in Ulm zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Das Landgericht Ulm bewertet die Tat als versuchten Mord und versuchte Brandstiftung. Daher waren nach Ansicht der Kammer Haftstrafen von drei Jahren, drei Jahren und neun Monaten sowie fünf Jahren und sechs Monaten (Az.: 3 KLs 241 Js 29178/18) zu verhängen.
Zwei weitere der insgesamt sechs Angeklagten im Alter von 18 Jahren bis 27 Jahren wurden zu Bewährungsstrafen von sechs Monaten sowie einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Ein Beschuldigter kam mit einer Verwarnung wegen indirekter Hilfeleistung für den Anschlag davon.
Rückblende ins Frühjahr 2018: Die türkische Armee marschiert mit Spezialeinheiten und Kämpfern der mit Ankara verbündeten Freien Syrien Armee (FSA) in ein Gebiet nördlich von Idlib rund um die Stadt Afrin ein und vertreibt in diesem Teil Nordsyriens die Kurdenmiliz YPG. Bis zu 200 000 Zivilisten fliehen aus der
Stadt.
Gegen diese türkische Militäroffensive demonstrieren die Kurden weltweit. Der Konflikt eskaliert im März 2018 und richtet sich in Deutschland auch gegen die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs („Nationale Sicht“): Brandsätze treffen Moschee-Gebäude in Lauffen am Neckar und in Berlin. In Itzehoe (Schleswig-Holstein) werden Fenster einer Moschee eingeschlagen. Kurz darauf brennt rund einen Kilometer entfernt ein türkischer Gemüseladen. In Meschede und Ahlen (Nordrhein-Westfalen) registriert die Polizei nächtliche Angriffe auf die Vereinsheime türkischer Kulturvereine.
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist politisch klar zuzuordnen. Sie war in der Türkei vom islamisch-konservativen Politiker Necmettin Erbakan gegründet worden, der 2011 starb. Er galt als enger Vertrauter des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. In Schwaben hat die IGMG 3000 Mitglieder in 16 Ortsvereinen.
Gleichzeitig ist auch in Ulm die kurdische Community aktiv. Fast jede Woche gehen die Kurden auf die Straße und protestieren friedlich gegen die Offensive des türkischen Militärs. Doch es bleibt nicht bei den friedlichen Protesten. Sechs Syrer mit kurdischen Wurzeln verabreden sich für den Abend des 18. März. Es handelt sich um Flüchtlinge, die 2014 und 2015 nach Deutschland gekommen sind und in Ulm, Neu-Ulm und im Landkreis Ravensburg wohnen.
„Wir wollten etwas Türkisches verbrennen“, hatte ein 18-jähriger Angeklagter beim Prozessauftakt im Oktober 2018 gesagt. Ein anderer Angeklagter berichtete von der Tatnacht: „Sie haben gesagt: ,Warte mal, wir möchten noch etwas machen, etwas erreichen’.“Einen Benzinkanister habe einer schon zur Demo im Rucksack mit sich herumgetragen. Seine Bekannten hätten gesagt: „Wir sind verpflichtet, etwas zu machen.“Doch was?
Die sechs Männer entscheiden sich für eine Attacke auf ein IGMGObjekt und schleudern drei Molotowcocktails gegen das Moschee-Gebäude der Gemeinschaft am Rande der Ulmer Innenstadt. In Wohnungen des Gebäudes halten sich zur Tatzeit in der Nacht zum 19. März 2018 acht Menschen auf. Polizisten, die sehr schnell zur Stelle sind, ersticken mit den Feuerlöschern aus ihrem Streifenwagen Flammen, die an der Fassade des Wohn-, Gebets- und Geschäftshauses am Ehinger Tor in Ulm züngeln. So bleibt es beim Sachschaden.
Wenig später tauchen im Internet Bilder vom Tatort auf, die erste Zeugen mit ihren Handys aufgenommen haben. Spurensicherer der Polizei finden am Morgen nach der Tat einen weiteren Molotowcocktail außerhalb des Gebäudes.
Intensive Ermittlungen der Polizei führen nach wenigen Tagen auf die Spur der Syrer, die in Untersuchungshaft genommen werden. Im Oktober 2018 beginnt der Prozess vor dem Landgericht Ulm. Der Vorwurf: versuchter Mord, versuchte Brandstiftung und Beihilfe.
Traumatisierte junge Männer
Gutachter des Landeskriminalamts stellen im Laufe des Gerichtsverfahrens fest, dass die selbst gebastelten Molotowcocktails gar keinen Brand hätten entfachen können. Drei Flaschen seien an der Hauswand abgeprallt, drei Brandsätze gar nicht geworfen worden.
Die Verteidiger der Angeklagten bezeichnen die Tat in ihren Plädoyers als Reaktion „emotional aufgewühlter junger Menschen“. Die jungen Männer hätten traumatische Kriegserfahrungen hinter sich, teilweise litten sie unter posttraumatischer Belastungsstörung. Dass Menschen in dem Haus wohnten, das sie in Brand setzen wollten, sei ihnen nicht bekannt und auch nicht erkennbar gewesen.
Die Wut der jungen Männer über die tragische Situation ihrer kurdischen Landsleute in Syrien sei nachvollziehbar, erklärt der Vorsitzende Richter Wolfgang Tresenreiter in seiner Urteilsbegründung. Schließlich seien bei der Afrin-Offensive wehrlose Menschen Opfer von Bombenangriffen geworden. Insofern könne das Gericht dem Vorwurf der Anklage, die Männer hätten aus niederen Beweggründen gehandelt, nicht folgen.
Doch die Richter am Landgericht erkennen die Mordmerkmale Heimtücke und Ausführung der Tat mit gemeingefährlichen Mitteln: Die acht Hausbewohner wären, so Tresenreiter, im Schlaf von einem Feuer überrascht worden, wenn die Brandsätze nicht noch rechtzeitig von der Polizeistreife gelöscht worden wären. „Der mögliche Tod dieser Menschen war ihnen egal, sie wollten unbedingt ein Fanal setzen“, sagt Richter Tresenreiter. Der Anschlag sei daher als heimtückisch und rücksichtslos einzustufen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, innerhalb einer Woche kann dagegen Revision eingelegt werden.