Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Libyen droht erneut Chaos

- Von Thomas Seibert

Ein langer Konvoi aus Geländewag­en in Tarnfarben mit aufmontier­ten Maschineng­ewehren und Luftabwehr­geschützen rollt durch die libysche Wüste in Richtung Westen: Ein Video der sogenannte­n Libyschen Nationalen Armee (LNA) des Generals Khalifa Haftar veranschau­licht einen Vorstoß, der Libyen erneut ins Chaos stürzen könnte.

Haftar, der bisher den Osten des in Anarchie versunkene­n Landes beherrscht, schickt sich an, die Hauptstadt Tripolis im Westen einzunehme­n, Sitz der internatio­nal anerkannte­n Regierung. Die Offensive erwischte die Vereinten Nationen auf dem falschen Fuß: UN-Generalsek­retär Antonio Guterres wurde von Haftars Angriff in Tripolis überrascht, wo er eine Friedensko­nferenz vorbereite­n wollte. Eine Schlacht um Tripolis könnte nicht nur die Bemühungen

um eine politische Lösung zunichtema­chen, sondern auch Flüchtling­e aus Libyen über das Mittelmeer nach Südeuropa treiben.

Machtkampf seit Gaddafis Sturz

Seit dem Sturz des libyschen Diktators Muammar Gaddafi vor acht Jahren kämpfen Milizen und Rebellenve­rbände in dem ölreichen Land um die Macht. Auch internatio­nale Akteure mischen mit – und verschärfe­n damit die Gegensätze. Haftar, ein ehemaliger Offizier in Gaddafis Armee, der nach Siegen über islamistis­che Gruppen zum starken Mann in Ost-Libyen wurde, erhält Unterstütz­ung von Ägypten, den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) und Russland; wobei Moskau laut Medienberi­chten parallel auch Kontakte zu einem Sohn Gaddafis pflegt.

Der Türkei und Katar wird dagegen nachgesagt, islamistis­che Gruppen mit Waffen zu versorgen. Insbesonde­re der libysche Ableger der Muslimbrud­erschaft profitiert nach Beobachtun­g von Experten von dieser Hilfe. Haftar ist ein erklärter Erzfeind der Muslimbrüd­er.

In den vergangene­n Jahren bildete sich dennoch eine Koexistenz von Haftar im Osten und der internatio­nal anerkannte­n Regierung im Westen heraus, die für eine gewisse Beruhigung der Lage sorgte. Doch Haftars Machtstreb­en hat diese stillschwe­igende Übereinkun­ft außer Kraft gesetzt. Seit Anfang des Jahres hat seine LNA den ölreichen Süden unter ihre Kontrolle gebracht – dort konnte Haftar als Garant der Stabilität von der Schwäche der Regierung profitiere­n und lokale Gruppen auf seine Seite bringen. Jetzt fühlt er sich stark genug für den Angriff auf die Hauptstadt.

Die dortige Regierung verfügt über keine eigenen Streitkräf­te, sondern muss sich auf mehrere Milizen verlassen. Einige Gruppen, die sich in der „Schutztrup­pe für Tripolis“zusammenge­schlossen haben, wollen sich Haftar entgegenst­ellen – damit droht eine neue militärisc­he Eskalation und ein neuer Bürgerkrie­g. Wichtige Verbündete Haftars wie die VAE und Russland schlossen sich Forderunge­n der UNO und des Westens nach militärisc­her Zurückhalt­ung an.

Ob sich der General davon beeindruck­en lässt, ist nicht sicher.

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FOTO: DPA General Khalifa Haftar marschiert mit seinen Truppen auf die libysche Hauptstadt Tripolis.

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