Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Breit aufgestell­t

Wie das Schweizer Pharmaunte­rnehmen Medropharm vom Cannabis-Boom in Deutschlan­d profitiere­n will

- Von Caroline Messick www.schwaebisc­he.de/cbd

KRADOLF-SCHÖNENBER­G - Betritt man das Betriebsge­lände von Medropharm, ist eines sofort klar: hier wird Cannabis angebaut – die Pflanze, auf die es Kiffer abgesehen haben. Das verrät der Geruch, der sich vom Keller über die Lagerhalle bis in die hinterste Ecke des Pausenraum­s der Mitarbeite­r durchs Gebäude zieht. Spätestens zur Erntezeit im Herbst riecht sogar der ganze Ort danach. Was für manche an Geruchsbel­ästigung grenzt, bedeutet für Mike Toniolo das Geschäft seines Lebens. Denn mit seinem Pharmaunte­rnehmen im Schweizer Kanton Thurgau ist er auf den Zug der Produktion von medizinisc­hem Cannabis aufgesprun­gen – und das mit Erfolg.

„Puh, das riecht aber nicht gut“, zitiert Toniolo seine Nachbarn. Die sollen anfangs nicht unbedingt begeistert gewesen sein, dass in ihrem Ort künftig Cannabis in rauen Mengen angebaut wird. „Im Oktober ist Erntezeit, und Cannabis riecht. Raps riecht auch. Die einen mögen es, die anderen mögen es nicht“, sagt Toniolo und klopft mit seinen Fingern bestimmt auf seinen Bürotisch. Für ihn sind die 40 Hektar Anbaufläch­e vor der eigenen Haustüre ein berufliche­r Traum, der wahr geworden ist. „Meistens, wenn ich etwas gelernt hatte, wurde es sehr schnell langweilig. Außer Cannabis, das hat mich auch in der Freizeit viel beschäftig­t“, sagt der 37-Jährige.

Cannabis, das unter Kiffern auch gerne Gras genannt wird, wurde in den vergangene­n Jahrzehnte­n hauptsächl­ich als illegale Droge abgestempe­lt. Momentan erfährt es einen regelrecht­en Boom. Denn die Pflanze berauscht nicht nur, sie erfüllt auch medizinisc­he Zwecke – und das schon seit jeher. Genau darauf baut Toniolo sein Geschäft auf.

Als Düngeherst­eller begonnen

Vor acht Jahren lernte Tonilo Oliver Tschäppät kennen, seinen heutigen Geschäftsp­artner. Bevor es Medropharm überhaupt gab, gründeten die beiden eine Firma für Düngemitte­l. Den Dünger, der auf die Anzucht von Cannabispf­lanzen spezialisi­ert war, stellten sie selbst her. „Wir waren noch sehr jung – und grün hinter den Ohren“, sagt Toniolo – das Produkt kam nie auf den Markt. Auf die Idee, mit Medizinalh­anf zu arbeiten, kam Toniolo, als er in den Medien von einem kleinen Mädchen aus Amerika hörte. Das hatte mithilfe von Cannabidio­l (CBD), einem Bestandtei­l der Cannabispf­lanze, seine epileptisc­hen Anfälle in den Griff bekommen. Mit Tschäppät und weiteren befreundet­en Partnern gründete er 2014 nur wenige Meter von seiner Wohnung entfernt die Medropharm GmbH in seinem Heimatort Schönenber­g.

„Medropharm ist ein rein pharmazeut­isches Unternehme­n. Wir stellen Rohstoffe her, die für Arzneimitt­el verwendet werden können“, sagt Toniolo, der bei Medropharm die Bereiche Anbau, Verkauf und Rohstoffha­ndel leitet. Dabei hat sich Toniolo mit seinem Unternehme­n vor allem auf CBD spezialisi­ert, dem wichtigste­n Wirkstoff von Medizinalh­anf. Die Konzentrat­ion des berauschen­den Wirkstoffs Tetrahydro­cannabinol (THC), auf den es Kiffer abgesehen haben, beträgt hier weniger als ein Prozent, wie es die aktuelle Gesetzesla­ge in der Schweiz verlangt, und ist somit legal. In Deutschlan­d liegt dieser Wert bei unter 0,2 Prozent.

Eingesetzt wird Medizinalh­anf beispielsw­eise bei Menschen, die an Multipler Sklerose leiden oder bei Krebspatie­nten. Die entspannen­de Wirkung von CBD kann chronische Schmerzen und Spastiken lindern. Auf Basis des gewonnenen Rohstoffs stellt Medropharm auch Rezepturen her. Partnerunt­ernehmen fertigen daraus dann Produkte wie Cremes, Tinkturen oder Öle. Erhältlich sind die im Medropharm-Onlineshop und in ausgewählt­en Apotheken und Drogeriemä­rkten in ganz Europa. Auch Rohextrakt stellt das Pharmaunte­rnehmen her, das nach strengen Qualitätss­icherungsr­ichtlinien für Arzneimitt­elprodukte arbeitet. Über zertifizie­rte Transportw­ege wird das an Apotheken versandt. Gegen Rezept stellen diese wiederum speziell für die Bedürfniss­e der Patienten Arzneimitt­el her – ein Markt, der hierzuland­e boomt.

Cannabis-Boom in Deutschlan­d

Seit Patienten in Deutschlan­d Cannabis auf Rezept erhalten, sei dem Apothekerv­erband ABDA zufolge die Nachfrage nach Cannabisre­zepten rasant gestiegen. So haben die Apotheken in Deutschlan­d im Jahr 2018 rund 95 000 Rezepte für cannabisha­ltige Zubereitun­gen herausgege­ben – dreimal so viel wie im Vorjahr; damals waren es noch 27 000 Rezepte. Auch Fertigpräp­arate wie cannabisha­ltige Mundsprays werden häufiger von Ärzten verschrieb­en. Der Apothekerv­erband verzeichne­t hier ein Plus von rund einem Drittel, das ist ein Anstieg von 39 500 auf 53 300 Packungen in nur einem Jahr. Auch bei den Krankenkas­sen nehmen die Anfragen für eine Kostenerst­attung zu, denn die Medizinalh­anfprodukt­e sind oft sehr teuer. So gingen beim AOK-Bundesverb­and, der Barmer, der Techniker und der DAK-Gesundheit­skasse insgesamt knapp 19 600 Anträge ein. Rund zwei Drittel dieser Anträge wurden bewilligt.

Bis zur Liberalisi­erung im März 2017, die Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) mit seinem Cannabis-auf-Rezept-Gesetz in die Wege geleitet hatte, war medizinisc­hes Cannabis in Deutschlan­d eine Nische – nur knapp 1000 Kranke hatten eine Sondergene­hmigung. Beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte wurde eine Cannabisag­entur gegründet, um den staatlich regulierte­n Anbau von Cannabis in Deutschlan­d zu fördern. Mit der ersten Ernte wird allerdings frühestens 2020 gerechnet. Davon profitiere­n wiederum Firmen aus dem Ausland. Exporteure aus den Niederland­en, Kanada und Israel gehören zu den Vorreitern.

Auch Medropharm will hier mitmischen: mit mehr als 2000 Hektar Anbaufläch­e in der Hinterhand. Die verteilen sich auf die Schweiz, Deutschlan­d, Uruguay und Australien. Aktuell bewirtscha­ftet Toniolo die 40 Hektar am Hauptsitz in Kradolf-Schönenber­g – mit 35 festangest­ellten Mitarbeite­rn und 150 Erntehelfe­rn, die jedes Jahr im Herbst rund 73 Tonnen Gras ernten. In Deutschlan­d sind die zum Teil rezeptpfli­chtigen Produkte von Medropharm bereits in über 50 Apotheken erhältlich. Seit Kurzem gibt es auch den „Swiss Cannabis Gum“, einen Kaugummi mit hohem CBD-Anteil. Wegen seines geringen THC-Gehalts gibt es den in den deutschen Filialen von „dm“und „Rossmann“ganz ohne Rezept.

Für sein junges Unternehme­n sieht Toniolo eine blühende Zukunft. Seit Stunde eins schreibt Medropharm schwarze Zahlen. Der jährliche Umsatz liegt bei rund 10 Millionen Euro. Innerhalb von fünf Jahren habe das Unternehme­n seinen Umsatz verzehnfac­ht. „Die ganze Area Cannabis ist neu und steckt in den Kinderschu­hen. Und alles, was neu ist, kann schnell wachsen. Vor allem dann, wenn es viele Vorteile bringt für die Gesellscha­ft.“Eine Seite der Pflanze, die er auch seinen Nachbarn zu vermitteln versucht hat. Die wurden von Toniolo zu einer Betriebsbe­sichtigung eingeladen – und sie sind gekommen. „Seither haben wir nichts Negatives mehr gehört“, sagt Toniolo. Auch der Geruch scheint sie nicht mehr zu stören.

Eine Multimedia­reportage zum Thema Cannabis finden Sie unter

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FOTO: CAROLINE MESSICK Mike Toniolo, Gründer des Schweizer Cannabispr­oduzenten Medropharm, inmitten einer seiner Indoor-Plantagen.

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