Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Breit aufgestellt
Wie das Schweizer Pharmaunternehmen Medropharm vom Cannabis-Boom in Deutschland profitieren will
KRADOLF-SCHÖNENBERG - Betritt man das Betriebsgelände von Medropharm, ist eines sofort klar: hier wird Cannabis angebaut – die Pflanze, auf die es Kiffer abgesehen haben. Das verrät der Geruch, der sich vom Keller über die Lagerhalle bis in die hinterste Ecke des Pausenraums der Mitarbeiter durchs Gebäude zieht. Spätestens zur Erntezeit im Herbst riecht sogar der ganze Ort danach. Was für manche an Geruchsbelästigung grenzt, bedeutet für Mike Toniolo das Geschäft seines Lebens. Denn mit seinem Pharmaunternehmen im Schweizer Kanton Thurgau ist er auf den Zug der Produktion von medizinischem Cannabis aufgesprungen – und das mit Erfolg.
„Puh, das riecht aber nicht gut“, zitiert Toniolo seine Nachbarn. Die sollen anfangs nicht unbedingt begeistert gewesen sein, dass in ihrem Ort künftig Cannabis in rauen Mengen angebaut wird. „Im Oktober ist Erntezeit, und Cannabis riecht. Raps riecht auch. Die einen mögen es, die anderen mögen es nicht“, sagt Toniolo und klopft mit seinen Fingern bestimmt auf seinen Bürotisch. Für ihn sind die 40 Hektar Anbaufläche vor der eigenen Haustüre ein beruflicher Traum, der wahr geworden ist. „Meistens, wenn ich etwas gelernt hatte, wurde es sehr schnell langweilig. Außer Cannabis, das hat mich auch in der Freizeit viel beschäftigt“, sagt der 37-Jährige.
Cannabis, das unter Kiffern auch gerne Gras genannt wird, wurde in den vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich als illegale Droge abgestempelt. Momentan erfährt es einen regelrechten Boom. Denn die Pflanze berauscht nicht nur, sie erfüllt auch medizinische Zwecke – und das schon seit jeher. Genau darauf baut Toniolo sein Geschäft auf.
Als Düngehersteller begonnen
Vor acht Jahren lernte Tonilo Oliver Tschäppät kennen, seinen heutigen Geschäftspartner. Bevor es Medropharm überhaupt gab, gründeten die beiden eine Firma für Düngemittel. Den Dünger, der auf die Anzucht von Cannabispflanzen spezialisiert war, stellten sie selbst her. „Wir waren noch sehr jung – und grün hinter den Ohren“, sagt Toniolo – das Produkt kam nie auf den Markt. Auf die Idee, mit Medizinalhanf zu arbeiten, kam Toniolo, als er in den Medien von einem kleinen Mädchen aus Amerika hörte. Das hatte mithilfe von Cannabidiol (CBD), einem Bestandteil der Cannabispflanze, seine epileptischen Anfälle in den Griff bekommen. Mit Tschäppät und weiteren befreundeten Partnern gründete er 2014 nur wenige Meter von seiner Wohnung entfernt die Medropharm GmbH in seinem Heimatort Schönenberg.
„Medropharm ist ein rein pharmazeutisches Unternehmen. Wir stellen Rohstoffe her, die für Arzneimittel verwendet werden können“, sagt Toniolo, der bei Medropharm die Bereiche Anbau, Verkauf und Rohstoffhandel leitet. Dabei hat sich Toniolo mit seinem Unternehmen vor allem auf CBD spezialisiert, dem wichtigsten Wirkstoff von Medizinalhanf. Die Konzentration des berauschenden Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC), auf den es Kiffer abgesehen haben, beträgt hier weniger als ein Prozent, wie es die aktuelle Gesetzeslage in der Schweiz verlangt, und ist somit legal. In Deutschland liegt dieser Wert bei unter 0,2 Prozent.
Eingesetzt wird Medizinalhanf beispielsweise bei Menschen, die an Multipler Sklerose leiden oder bei Krebspatienten. Die entspannende Wirkung von CBD kann chronische Schmerzen und Spastiken lindern. Auf Basis des gewonnenen Rohstoffs stellt Medropharm auch Rezepturen her. Partnerunternehmen fertigen daraus dann Produkte wie Cremes, Tinkturen oder Öle. Erhältlich sind die im Medropharm-Onlineshop und in ausgewählten Apotheken und Drogeriemärkten in ganz Europa. Auch Rohextrakt stellt das Pharmaunternehmen her, das nach strengen Qualitätssicherungsrichtlinien für Arzneimittelprodukte arbeitet. Über zertifizierte Transportwege wird das an Apotheken versandt. Gegen Rezept stellen diese wiederum speziell für die Bedürfnisse der Patienten Arzneimittel her – ein Markt, der hierzulande boomt.
Cannabis-Boom in Deutschland
Seit Patienten in Deutschland Cannabis auf Rezept erhalten, sei dem Apothekerverband ABDA zufolge die Nachfrage nach Cannabisrezepten rasant gestiegen. So haben die Apotheken in Deutschland im Jahr 2018 rund 95 000 Rezepte für cannabishaltige Zubereitungen herausgegeben – dreimal so viel wie im Vorjahr; damals waren es noch 27 000 Rezepte. Auch Fertigpräparate wie cannabishaltige Mundsprays werden häufiger von Ärzten verschrieben. Der Apothekerverband verzeichnet hier ein Plus von rund einem Drittel, das ist ein Anstieg von 39 500 auf 53 300 Packungen in nur einem Jahr. Auch bei den Krankenkassen nehmen die Anfragen für eine Kostenerstattung zu, denn die Medizinalhanfprodukte sind oft sehr teuer. So gingen beim AOK-Bundesverband, der Barmer, der Techniker und der DAK-Gesundheitskasse insgesamt knapp 19 600 Anträge ein. Rund zwei Drittel dieser Anträge wurden bewilligt.
Bis zur Liberalisierung im März 2017, die Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit seinem Cannabis-auf-Rezept-Gesetz in die Wege geleitet hatte, war medizinisches Cannabis in Deutschland eine Nische – nur knapp 1000 Kranke hatten eine Sondergenehmigung. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurde eine Cannabisagentur gegründet, um den staatlich regulierten Anbau von Cannabis in Deutschland zu fördern. Mit der ersten Ernte wird allerdings frühestens 2020 gerechnet. Davon profitieren wiederum Firmen aus dem Ausland. Exporteure aus den Niederlanden, Kanada und Israel gehören zu den Vorreitern.
Auch Medropharm will hier mitmischen: mit mehr als 2000 Hektar Anbaufläche in der Hinterhand. Die verteilen sich auf die Schweiz, Deutschland, Uruguay und Australien. Aktuell bewirtschaftet Toniolo die 40 Hektar am Hauptsitz in Kradolf-Schönenberg – mit 35 festangestellten Mitarbeitern und 150 Erntehelfern, die jedes Jahr im Herbst rund 73 Tonnen Gras ernten. In Deutschland sind die zum Teil rezeptpflichtigen Produkte von Medropharm bereits in über 50 Apotheken erhältlich. Seit Kurzem gibt es auch den „Swiss Cannabis Gum“, einen Kaugummi mit hohem CBD-Anteil. Wegen seines geringen THC-Gehalts gibt es den in den deutschen Filialen von „dm“und „Rossmann“ganz ohne Rezept.
Für sein junges Unternehmen sieht Toniolo eine blühende Zukunft. Seit Stunde eins schreibt Medropharm schwarze Zahlen. Der jährliche Umsatz liegt bei rund 10 Millionen Euro. Innerhalb von fünf Jahren habe das Unternehmen seinen Umsatz verzehnfacht. „Die ganze Area Cannabis ist neu und steckt in den Kinderschuhen. Und alles, was neu ist, kann schnell wachsen. Vor allem dann, wenn es viele Vorteile bringt für die Gesellschaft.“Eine Seite der Pflanze, die er auch seinen Nachbarn zu vermitteln versucht hat. Die wurden von Toniolo zu einer Betriebsbesichtigung eingeladen – und sie sind gekommen. „Seither haben wir nichts Negatives mehr gehört“, sagt Toniolo. Auch der Geruch scheint sie nicht mehr zu stören.
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