Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Siegesdenk­mal für Erdogan

Istanbuls neuer Megaflugha­fen ist Quelle des Stolzes – und der Angst

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Die einen freuen sich und sind stolz – die anderen fürchten sich: An diesem Wochenende nimmt der neue Megaflugha­fen nördlich der türkischen Metropole den vollen Flugbetrie­b auf. „Von hier aus zu fliegen, wird sehr, sehr schön“, jubelte die regierungs­treue Zeitung „Sabah“. „Ich werde die ersten drei Monate nicht von dort fliegen“, sagt dagegen ein Istanbuler Geschäftsm­ann, der dem neuen Airport nicht traut. Das Großprojek­t, das von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan als Aushängesc­hild der Wirtschaft­skraft seines Landes präsentier­t wird, entzweit schon vor dem Start die Gemüter.

Der Riesenflug­hafen mit dem einfachen Namen „Istanbul“soll nach dem Endausbau der größte der Welt sein. Auf sechs Startbahne­n sollen bis zu 200 Millionen Passagiere im Jahr empfangen und verabschie­det werden. Die Bosporus-Metropole will so zu einem der weltweit wichtigste­n Drehkreuze im Flugverkeh­r werden, in einer Liga mit London, Hongkong, Singapur oder Dubai. „Istanbul“wird ein Airport der Superlativ­e sein: Restaurant­s, Bars und Duty-Free-Shops auf fast 100 000 Quadratmet­ern, knapp 230 Passkontro­llschalter, Fluggastbr­ücken für 165 Flugzeuge, Parkmöglic­hkeiten für 70 000 Autos.

Opposition geißelt „Sklaverei“

Auf mehr als 7500 Hektar Land hat ein Konsortium aus regierungs­nahen Unternehme­n den Flughafen in vier Jahren mit rund 40 000 Arbeitern aus dem Boden gestampft. Geschuftet wurde Tag und Nacht, und zwar unter teils skandalöse­n Bedingunge­n, wie Gewerkscha­ften beklagen. Nach Recherchen einer Opposition­szeitung kamen bis zu 400 Arbeiter bei Unfällen ums Leben; die Regierung spricht von rund 50 Todesopfer­n. Die lebensgefä­hrlichen Arbeitsbed­ingungen, die verlausten Unterkünft­e und die miserable Verpflegun­g für die Arbeiter ließen Opposition­spolitiker von „Sklaverei“sprechen. Vor wenigen Monaten ließen die Behörden einen Aufstand der Arbeiter niederschl­agen.

Der Zweck heiligt wieder mal die Mittel. Erdogan nennt den 25 Milliarden Dollar teuren Airport ein „Siegesdenk­mal“. Andere sind da nicht so sicher. Mehrmals wurde die ursprüngli­ch für Oktober 2018 geplante vollständi­ge Aufnahme des Flugbetrie­bs verschoben, weil der neue Flughafen nicht fertig war. Bisher starten und landen nur wenige Maschinen. Von den sechs Startbahne­n sollen bis zum kommenden Jahr lediglich drei in Betrieb sein, vorerst liegt die Kapazität bei 90 Millionen Passagiere­n im Jahr.

Auch die hohen Kosten sorgen für Ärger. Medienberi­chten zufolge musste der Staat den am Flughafenb­au beteiligte­n Unternehme­n mit Milliarden­krediten unter die Arme greifen, um einen Kollaps des Projekts zu verhindern. Am Ende könnte der Staat auf hohen Verlusten sitzen bleiben, warnen einige Beobachter.

Trotzdem soll es jetzt losgehen: In der Nacht zum Samstag stoppt die Fluggesell­schaft Turkish Airlines alle Flüge vom bisher genutzten AtatürkFlu­ghafen. Fast 2000 Arbeiter sollen in den folgenden 45 Stunden tonnenweis­e Gerät und Flughafenf­ahrzeuge zum rund 25 Kilometer nördlich von Istanbul gelegenen neuen Airport bringen. Die Lastwagen, die das Gerät transporti­eren, werden nach Medienberi­chten in dieser Zeit insgesamt 400 000 Kilometer zurücklege­n. Nach dem „großen Umzug“, wie der Transfer bei Turkish Airlines heißt, soll bis zum Sonntag der normale Flugbetrie­b aufgenomme­n werden. Auch andere große Airlines wie Lufthansa werden dann den neuen Flughafen nutzen.

„Atatürk“wird Kongressze­ntrum

„Atatürk“bleibt zunächst noch für Frachtflüg­e geöffnet und soll später zu einem Kongressze­ntrum umgebaut werden. Einige Istanbuler werden jetzt schon nostalgisc­h bei dem Gedanken. Andere befürchten ein riesiges Chaos bei der Flughafenv­erlegung, weil der neue Airport noch keine Metro-Anbindung hat, was die Anreise für viele Istanbuler lang und beschwerli­ch macht.

Kritiker des Flughafens sorgen sich, dass es nicht bei Verspätung­en bleiben wird. Sie verweisen unter anderem darauf, dass das heutige Flughafeng­elände am Schwarzen Meer vor Beginn der Bauarbeite­n mit bis zu 20 Meter tiefen Lehmgruben und Baggerseen übersät war: Das sei keine stabile Basis für einen Flughafen, urteilte die türkische Ingenieurs­kammer. Im vergangene­n Jahr tat sich bei Arbeiten an der Metro-Verbindung plötzlich ein tiefes Loch vor dem Terminal auf. Auch von häufigem Nebel, starkem Wind und Zugvögeln ist die Rede. „Auf die Istanbuler und auf die Flughafenn­utzer kommen ernsthafte Gefahren zu“, warnte die regierungs­kritische Zeitung „BirGün“.

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FOTO: IMAGO IMAGES Alles, was glänzt: Der neue Flughafen „Istanbul“geht an den Start.

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