Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Alles schief und bunt
Lindau feiert Eröffnung des Kunstmuseums mit einer Retrospektive zu Hundertwasser
LINDAU - Die gerade Linie war für ihn „unmoralisch und gottlos“. Deshalb wurde der Wiener Maler Friedensreich Hundertwasser (19282000) nicht müde, die Welt zu verschönern. Wie, das zeigt vom heutigen Samstag an die neue Ausstellung im Kunstmuseum am Inselbahnhof in Lindau. Unter dem Titel „Hundertwasser – Traumfänger einer schöneren Welt“sind Druckgrafiken, Architekturzeichnungen und Gemälde aus fünf Jahrzehnten zu sehen. Das heißt, Hundertwasser ist in Lindau als bildender Künstler in allen Aspekten zu erleben. Das Besondere daran: Eine neue Generation von LED-Lampen lässt die Farben seiner Werke leuchten wie nie zuvor.
Anfangs fällt es gar nicht so leicht, sich den Bildern unbefangen zu nähern und die immer noch vorhandene Hundertwasser-Übersättigung zu unterdrücken. Schließlich war der Wiener Universalkünstler in seinen späten Jahren ein begnadeter Selbstvermarkter, der alles gestaltete, was er in die Finger bekam – von der Häuserfassade bis zum Seidenschal. Verschleißerscheinungen lassen sich also nicht vermeiden.
72 Arbeiten, entstanden zwischen 1951 und 1999, hat der renommierte Wiener Kunsthistoriker Robert Fleck für die Ausstellung versammelt. Darunter sind allein 23 Gemälde sowie die komplette Siebdruckmappe „Regentag“von 1971. Ein Großteil der Leihgaben stammen aus der Hundertwasser-Stiftung in Wien und haben die Stadt bislang noch nie verlassen. Hinzu kommen Leihgaben aus dem Privatbesitz von Yuko Ikewada, der zweiten Frau des Künstlers, einer Japanerin, sowie aus der Sammlung Würth. In dieser Konstellation wird man die Werke wohl vorerst nicht mehr zu sehen bekommen. Allein schon deshalb lohnt sich ein Ausflug nach Lindau.
Friedensreich Hundertwasser provozierte gern, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber im Gegensatz zu seinen Kollegen, den Wiener Aktionisten, ging es ihm darum, dass „etwas Schönes geschieht“, wie er einmal sagte. Für eine Ästhetik der Harmonie einzutreten, das war in den 1950er- und 60er-Jahren ziemlich gewagt. Doch der Künstler war mehr als nur ein bunter Illustrator. Er war ein großer ökologischer Vordenker und setzte auf formale Vielfalt anstelle von Monotonie. Zudem entwickelte er als Maler eine neue Formensprache, indem er die Abstraktion der Nachkriegszeit mit gegenständlichen Motiven verknüpfte. Auch in der Grafik ging er – ausgehend vom japanischen Holzschnitt – neue Wege.
Zentrale, wiederkehrende Motive in seinem Gesamtwerk sind die schiefe Linie sowie die Spirale. Selbst eine Fläche wird bei ihm stets durch Linien aufgebaut. Besonders schön zeigen seine Grafiken, die in Lindau zum Auftakt zu sehen sind, in welchem geistigen Raum sich Hundertwasser bewegt. So dient ihm als Inspirationsquelle immer wieder Egon Schiele und gelegentlich auch Paul Klee. Farblich ist er zudem von der Pop-Art beeinflusst – ein anschauliches Beispiel dafür ist sein Blatt „Green Power“(1972), das einen abstrahierten Kopf in Froschgrün zeigt, der mit weißen Tropfen übersät ist.
Verspielte Architekturen
Wie seine Häuser aussehen sollten, dokumentieren die Architekturzeichnungen in der Ausstellung: die Kindertagesstätte Heddernheim bei Frankfurt mit ihren verspielten Säulen und Zwiebeltürmen, ein Hochhaus mit seinem bewaldeten Dach, die grüne Autobahn, die durch überhängende Wiesen unsichtbar und unhörbar wird. Schon 1958 protestierte der Künstler in seinem „Verschimmelungsmanifest“gegen das ungesunde Wohnen in den nüchternen Zweckbauten und wünschte sich, sie mögen alle verschimmeln. Wie man es besser machen kann, zeigt sein Hundertwasserhaus in Wien – ein sozialer Wohnungsbau, in dem es keine gerade Wand gibt, auf den Balkonen Bäume wachsen und das Dach begrünt ist.
Auch seine Malereien in den Farben des Regenbogens haben etwas Vegetatives, sie scheinen wie Pflanzen gewachsen zu sein. Viele Bilder wirken wie Aquarelle – das mag zum einen an der raffinierten Beleuchtung liegen, zum anderen daran, dass Hundertwasser die Pigmente oft ohne Bindemittel auf die Leinwand auftrug. Bemalt wurde immer die gesamte Fläche, und es wurde nichts weggeworfen, nicht einmal das Pinselwasser. Stattdessen hat es der Künstler oftmals über seine Bilder geschüttet. Mit der Folge, dass die Farben zu vibrieren beginnen. Bestes Beispiel dafür ist das großformatige Bild „Blutregen tropft in japanisches Wasser, das in einem österreichischen Garten liegt“von 1961 in schillernden Rot- und Blautönen.
Hundertwasser verwendete für seine Malerei auch gern Fundstücke. Ausgedientem hauchte er so neues Leben ein, um Wertloses wieder wertvoll zu machen. Bei der „Antipodischen Insel“(1975) etwa diente ihm ein Türblatt als Malgrund.
Entstanden ist das Bild in Neuseeland. Hundertwasser selbst mied übrigens das Wort „Atelier“und sprach stattdessen von seinen Lebens- und Arbeitsorten. Davon hatte er sechs: Wien, das Waldviertel in Niederösterreich, Paris, die Normandie, Venedig mit dem Giardino Eden auf der Insel Giudecca, und Neuseeland, wo er 1975 400 Hektar abgeholztes Weideland erwarb. Dort pflanzte der Künstler 100 000 Bäume aus allen Erdteilen und führte sie in beispielhafter Weise zu einem Paradiesgarten zusammen. Auf diesem Gelände ist Hundertwasser auch beerdigt. Auf seinem Grab wächst ein mächtiger Tulpenbaum. Eine Aufnahme davon wird am Eingang zur Ausstellung gezeigt.
Die Hundertwasser-Schau im Kunstmuseum am Inselbahnhof (Maximilianstraße 52) dauert bis 29. September. Öffnungszeiten: Mo.-So. 10 -18 Uhr, Katalog: 15 Euro. Weitere Infos zu den Führungen unter: www.kultur-lindau.de