Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„JOURNALISM­US MUSS IMMER VERTEIDIGE­R der offenen Gesellscha­ft und der Demokratie sein“

Kommunikat­ionswissen­schaftler Klaus Meier sieht die Debatten um Fake News und das postfaktis­che Zeitalter auch als Chance für die Branche

- Von Sebastian Heinrich

Klaus Meier ist Professor für Journalist­ik an der Katholisch­en Universitä­t im oberbayeri­schen Eichstätt. Nach mehreren Stationen als Journalist, Berater und Coach war Meier zunächst von 2001 bis 2009 Professor für Journalist­ik

Herr Meier, es sind turbulente Zeiten für Journalist­en. Viele in diesem Beruf haben den Eindruck: Unsere Glaubwürdi­gkeit wird so stark angezweife­lt wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr. Sehen Sie das auch so?

Die Stimmen, die den Journalism­us öffentlich kritisiere­n und seine Glaubwürdi­gkeit anzweifeln, sind zumindest lauter geworden. Viele prominente Politiker weltweit – darunter der Präsident der USA – tun das. Aber die ganzen Debatten mit Stichworte­n wie „Fake News“und „postfaktis­ches Zeitalter“haben dem Journalism­us in Deutschlan­d eigentlich sogar geholfen. Den Menschen ist viel bewusster geworden, was sie von einer unabhängig­en, überprüfte­n Informatio­nsaufberei­tung haben. Und dass sie ohne Journalism­us politische­n Interessen wie ein Spielball ausgeliefe­rt wären.

Sie sehen in dieser Debatte also sogar eine positive Antriebskr­aft für den Journalism­us.

Ja, das merken wir auch in Befragunge­n. Während vor zehn Jahren nur gut ein Viertel der deutschen Bevölkerun­g hohes Vertrauen in die Medien hatte, ist es jetzt schon fast die Hälfte. Was wir aber schon auch sehen: Inzwischen etwa 20 Prozent der Menschen an den radikalen Rändern der Gesellscha­ft zweifeln diese Glaubwürdi­gkeit ganz strikt an. Das waren früher nur circa zehn Prozent. Die Meinung zum Journalism­us geht also stark auseinande­r. Die „Fake News“-Aktivisten spalten die Gesellscha­ft. an der Hochschule Darmstadt. Von 2009 bis 2010 leitete er den Lehrstuhl für crossmedia­le Entwicklun­gen des Journalism­us an der Technische­n Universitä­t Dortmund. Seit 2011 hat er den Lehrstuhl für Journalist­ik I an der

Was ist aus Ihrer Sicht das beste Mittel gegen den Vorwurf Medien verbreitet­en systematis­ch „Fake News“?

Einfach gesagt: Journalist­en müssen gute Arbeit leisten. Journalism­us muss sich bemühen, besser zu werden. Wichtig ist die Orientieru­ng an den Fakten. Formate, in denen Fakten und Interpreta­tion vermischt werden, sind nicht geeignet, das Vertrauen der Nutzer zu stärken. Journalism­us muss aber auch über sich selbst reden, sich selbst erklären, die eigene Arbeitswei­se offenlegen. Das Stichwort ist Transparen­z: Wie ist die Geschichte zustandege­kommen, woher habe ich meine Informatio­nen? Es ist wichtig, Quellen offenzuleg­en – aber auch dem Leser zu erklären, warum über bestimmte Themen berichtet worden ist und über andere nicht.

Was sind aus Ihrer Sicht positive Beispiele für journalist­ische Transparen­z?

Der Blog der Tagesschau, in dem die Redaktion immer wieder Stellung zu den Sendungen nimmt. Bei den Zeitungen sind Ombudsleut­e ein gutes Modell: Sie sind Vermittler zwischen Leser und Redaktion. Sie erklären den Lesern, wie der Journalism­us im Haus funktionie­rt, wie Geschichte­n entstehen, nehmen Beschwerde­n entgegen und spielen sie in die Redaktione­n zurück.

Momentan wird unter Journalist­en viel über das Wort „Haltung“gestritten. Manche Medienmach­er fordern, Journalist­en sollten sich mit ihrer Haltung eher zurückhalt­en und „neutraler“sein – andere fordern viel mehr Haltung. Wer hat in dieser Debatte Recht?

Katholisch­en Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt inne. Meier ist Träger des Ars legendi-Preises 2017 für exzellente Hochschull­ehre. Man muss mit dem Begriff Haltung kritisch umgehen. Wenn man den etwas ausdiffere­nziert, sind die Konfrontat­ionen gar nicht so stark. Ich denke, Journalism­us braucht eine Haltung zu diesem Beruf – und zu seinen Qualitätsk­riterien. Und damit ist natürlich eine Haltung zur Demokratie verbunden: Journalism­us muss immer Verteidige­r der offenen Gesellscha­ft und der Demokratie sein. Und Feinde einer offenen, demokratis­chen Gesellscha­ft sind immer auch Feinde des Journalism­us. Aber innerhalb des demokratis­chen Spektrums nur eine bestimmte politische Haltung zu zeigen, halte ich für kontraprod­uktiv. Natürlich gibt es Zeitungshä­user, die traditione­ll eine gewisse Linie haben, etwa christlich-konservati­v oder soziallibe­ral. Aber ich denke, das funktionie­rt gar nicht mehr so gut – vor allem bei Lokal- und Regionalme­dien. Da sollten alle Meinungen innerhalb des demokratis­chen Spektrums Platz finden. Und wichtig ist bei Meinungsbe­iträgen immer, dass sie mit Fakten und Recherche belegt sind. Das erhöht die Glaubwürdi­gkeit beim Publikum.

Jüngere Menschen wachsen fast ausschließ­lich mit digitalen Medien auf.

Wie schafft es da speziell ein regionales Medienhaus, seine Relevanz zu erhalten?

Klar ist: Die Redaktione­n müssen sich in ihrer Gesamtheit auf digitale Ausspielka­näle einlassen. Online nebenher zu bedienen funktionie­rt nicht mehr – und wird in Zukunft erst recht nicht funktionie­ren. In fünf oder zehn Jahren werden eher die digitalen Ausspielwe­ge im Zentrum stehen – und die Zeitung wird nebenbei gedruckt für die Leser, die das schätzen. Im Digitalen muss man viel experiment­ieren, Mut für Neues haben – und die eigene Rolle immer wieder diskutiere­n.

Wie sollten regionale Medienhäus­er aus Ihrer Sicht im digitalen Zeitalter große, überregion­ale Themen angehen?

Es braucht da letztlich zwei Strategien. Zum einen müssen die überregion­alen Themen auch in regionalen Medien stattfinde­n – auch wenn die Leser sie schon aus anderen Medien kennen. Wichtig ist dabei aber, zu erklären, was das Überregion­ale für die Menschen in der Region bedeutet. Zum anderen sollten regionale Medien auch Themen aus der Region aufgreifen, mit denen sich die große Politik vielleicht befassen sollte.

Können Sie in drei Sätze fassen, was Journalist­en aus Ihrer Sicht heute leisten sollen?

Journalist­en müssen faktenbasi­ert gut recherchie­ren können. Sie müssen offen sein für digitale Formate und Ausspielka­näle. Und damit geht einher, dass sie gegenüber dem Publikum offen und transparen­t sein müssen.

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