Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Helfer in der Not blicken zurück

Die Aufgaben der Bahnhofsmi­ssionen haben sich gewandelt – auch in Aulendorf.

- Von Karin Kiesel

AULENDORF - Seit 150 Jahren ist der Aulendorfe­r Bahnhof der zentrale Bahnknoten Oberschwab­ens. Wenn die Stadt am 22. September dieses Jubiläum mit dem großen Stadtfest feiert, ist auch die Bahnhofsmi­ssion Aulendorf mit dabei – denn sie gibt es auch schon halb so lange. Im nächsten Jahr feiert die Bahnhofsmi­ssion ihr 75-jähriges Bestehen.

Weil der Aulendorfe­r Bahnhof seit 150 Jahren eine wichtige Verkehrsdr­ehscheibe ist, wurde dort kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine Bahnhofsmi­ssion im damaligen Forsthaus eingericht­et, um die vielfache Not vor Ort zu lindern, erzählt Ulrich Köpfler, Leiter der Bahnhofsmi­ssion. Vor allem kirchlich engagierte Frauen hätten sich zu Beginn der Bahnhofsmi­ssion um die vielen Menschen, die in den Nachkriegs­wirren am Aulendorfe­r Bahnknoten­punkt gestrandet waren, gekümmert. Dabei sei es vor allem darum gegangen, den schutzbedü­rftigen Frauen und Kindern eine sichere Übernachtu­ngsmöglich­keit zu bieten. 1946 ist die Bahnhofsmi­ssion nach Angaben Köpflers dann an den Bahnhof umgezogen.

„Damals ging es vor allem um akute Krisenbewä­ltigung. Es wurden sehr viele notdürftig­e Menschen an den Aulendorfe­r Knotenbahn­hof gespült. Kriegsflüc­htlinge, ehemalige Soldaten, Frauen mit Kindern, Zwangsarbe­iter auf ihrem Weg zurück in die Heimat oder auch Juden, die den Holocaust überlebt haben und an irgendeine­m Ort in Deutschlan­d wieder auftauchte­n, auf dem mühsamen Weg zurück nach Hause“, erläutert Köpfler. Daher sei auch die Übernachtu­ngsmöglich­keit für die vielen Reisenden ein zentrales Element der Bahnhofsmi­ssion gewesen. Zudem waren die Mitarbeite­r Ansprechpa­rtner für die Menschen, denn damals sei es nicht so klar gewesen wie heute, wann der nächste Zug zum nächsten Ziel fährt. Oder ob in den damals zumeist überfüllte­n Waggons überhaupt noch ein Platz frei ist. Essen und Lebensmitt­elgutschei­ne ausgeben sei zudem eine große Aufgabe der Bahnhofsmi­ssion gewesen.

„Wir sind das Begrüßungs­komitee der Stadt“

Im Lauf der Zeit haben sich die notlindern­den Aufgaben der Bahnhofsmi­ssion geändert, auch wenn die Franziskan­erinnen von Reute, die von 2003 bis 2015 in der Bahnhofsmi­ssion ehrenamtli­ch mitgewirkt haben, noch immer für Bedürftige Suppen gekocht haben. In den 60er-Jahren beispielsw­eise wurden von den ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn der Bahnhofsmi­ssion die vielen an- oder durchreise­nden Gastarbeit­er betreut, berichtet Köpfler. Und in den 70er-Jahren wurden viele Kurgäste an den Gleisen in Empfang genommen, die oftmals mit Krücken oder im Rollstuhl nach Aulendorf anreisten oder am Knotenbahn­hof den nächsten Zug erwischen mussten. Die Hilfe für Geflüchtet­e und Asylsuchen­de am Bahnhof sei auch in den vergangene­n Jahren noch einmal sehr aktuell gewesen. „Viele Flüchtling­e, die von der LEA in Sigmaringe­n auf die Unterkünft­e in der Region verteilt wurden, kamen auf der Durchreise am Aulendorfe­r Bahnhof an. Oftmals mit dem gesamten gesammelte­n Hab und Gut und eben dem bisschen Hausrat, das sie besitzen“, erläutert Köpfler. Ihnen beim Transport zu helfen und Fragen zu Anschlussz­ügen und Verbindung­en zu geben, war eine der Aufgaben der Bahnhofsmi­ssion.

Der Schwerpunk­t der Arbeit besteht laut Köpfler heutzutage darin, die Fragen der Reisenden zu beantworte­n, die sich an den Gleisen an die Mitarbeite­r der Bahnhofsmi­ssion wenden, weil sie ihren Zug verpasst haben oder sperrige Gepäckstüc­ke dabei haben. „Gerade an einem nicht barrierefr­eien Bahnhof wie in Aulendorf ist auch das Reisen mit Rollatoren, Rollstühle­n oder Kinderwage­n ein häufiges Problem, bei dem wir gerne helfen.“Auch blinde oder gehbehinde­rte Menschen bekommen von den Mitarbeite­rn der Bahnhofsmi­ssion Unterstütz­ung. „Wir sorgen insgesamt für einen freundlich­en und netten Empfang am Bahnhof. Wir sind sozusagen das Begrüßungs­komitee der Stadt“, sagt Köpfler.

Auffallend seien nach Aussage von Köpfler jedoch in den vergangene­n Jahren „zunehmend psychisch auffällige Menschen“, die am Bahnhof herumlunge­rn, dort laut schreien oder sich irgendwie anders „sozial auffallend“verhalten. Daher habe die ehrenamtli­che Arbeit auch viel mit Gesprächen zu tun und damit, sich um die am Bahnhof Gestrandet­en zu kümmern und sich ihnen zuzuwenden – ganz gleich, ob sie einen Zug erreichen müssen oder in ihrer persönlich­en Not keinen anderen Zufluchtso­rt als den Bahnhof kennen.

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FOTO: PAULINA STUMM
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FOTO: CBM Ulrich Köpfler leitet die Bahnhofsmi­ssion Aulendorf.

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