Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Lösung oder Luftnummer?
Flugtaxis sollen Mobilität revolutionieren – In Stuttgart zeigt Volocopter, wie das in Zukunft aussehen könnte
Ein Flugtaxi des Bruchsaler Unternehmens Volocopter hat am Samstag in Stuttgart seinen ersten europäischen Probeflug vor Publikum absolviert. Rund 12 500 Menschen sahen zu, als das Fluggerät beim MercedesMuseum für vier Minuten in der Luft war. Ob Flugtaxis tatsächlich in zwei bis drei Jahren in deutschen Städten unterwegs sein werden, wie Volocopter plant, ist allerdings noch offen. (dre/Foto: dpa)
STUTTGART - Tausende Hände recken sich zum Himmel, manche fotografieren und filmen mit Smartphones, andere halten Digitalkameras in die Höhe. Fest im Fokus der Menschen vor dem Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart: das Flugtaxi von Volocopter, das in 30 Metern Höhe seine Runden dreht. Es ist der erste öffentliche Probeflug in einer europäischen Stadt. Vier Minuten surrt der elektrisch angetriebene Ultraleichthubschrauber mit seinen 18 Rotoren umher. Gesteuert wird er von einem Piloten am Boden, unbemannt ist das zweisitzige Fluggerät beim Demoflug auch. Beides soll sich in naher Zukunft ändern. Denn das junge Unternehmen Volocopter, das seinen Sitz in Bruchsal hat, will mit dem Flugtaxi die Mobilität revolutionieren. Das Flugtaxi soll dann autonom, ohne menschliche Steuerung, Passagiere von A nach B bringen. Als der Volocopter wieder landet, brandet Applaus in den Reihen der rund 12 500 Zuschauer auf.
Prominente Gäste geben dem Projekt vor dem Probeflug des „2X“ihren Segen. Daimler-Chef Ola Källenius, dessen Unternehmen an Volocopter beteiligt ist, sagt: „Der Volocopter vereint alle Themen, die gerade wichtig sind: Er ist vernetzt, autonom, on demand und emissionsfrei.“Er sei überzeugt davon, dass sich das Stauproblem auf spezifischen Strecken mit dem Volocopter reduzieren ließe. Thomas Strobl, als Innenminister von Baden-Württemberg auch für Digitalisierung zuständig, nennt das Flugtaxi ein „geiles Ding“und sorgt damit für Lacher im Publikum, das sich im Großen Saal des Museums drängt. Der CDU-Politiker zieht kühne Vergleiche zur Erfindung des Autos und des Fahrrads in BadenWürttemberg. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beschwört den „Pioniergeist“im Lande und sagt über das Flugtaxi: „Das wäre optimal für mich, bei dem Termindruck, den ich oft habe.“
Das Unternehmen, das 2011 einen ersten Prototypen abheben ließ, gibt sich selbstbewusst: „In zwei bis drei Jahren wollen wir die erste kommerzielle Lizenz haben, um Passagiere befördern zu können“, sagt Firmenchef Florian Reuter. Diese Genehmigung steht bislang noch aus. Zu klären sind auch noch Fragen der Sicherheit und der Infrastruktur, etwa wenn es um Landeplätze und Vernetzung geht. Doch das Unternehmen streckt die Fühler in viele Richtungen aus. Als potenzielle Einsatzorte hat Volocopter die Großstädte ausgemacht. So prüft der Flughafen Frankfurt, wie das drohnenähnliche Gerät in die Abläufe eingegliedert werden könnte. Am Flughafen im finnischen Helsinki wurde das vor zwei Wochen bei einem Flug getestet. In Dubai war der Volocopter vor zwei Jahren bereits komplett autonom in der Luft. Geldgeber empfinden das Flugtaxi offenbar nicht als reine Science Fiction: Bislang hat Volocopter rund 85 Millionen Euro von Investoren einsammeln können. Vor wenigen Tagen stieg Daimlers chinesischer Großinvestor Geely ein.
Reuter sieht den Volocopter aber nicht als exklusive Lösung für „fünf Prozent wohlhabende Menschen“. Das Flugtaxi soll über Handy von jedem angefordert werden können. „Mit einer App sollen alle verfügbaren Mobilitätsangebote zu sehen sein, und wir hoffen, dass der Volocopter möglichst oft die beste Option ist.“Reuter rechnet vor: Momentan brauche man vom Stuttgarter Flughafen zum Mercedes-Museum 30 Minuten, zu Stoßzeiten könne es auch doppelt so lang dauern. Der Volocopter bräuchte seinen Angaben zufolge zwölf Minuten für die zwölf Kilometer lange Strecke. Aktuell haben die Fluggeräte eine Reichweite von rund 35 Kilometern, wie Christian Bauer, bei Volocopter für die Geschäftsentwicklung zuständig, sagt. Denkbar sei das Fluggerät auch, um Notärzte schneller an Unfallstellen bringen zu können.
Eingebettet ist der Probeflug in ein Themenwochenende unter dem Motto „Vision Smart City“. Rund um das Mercedes-Museum geht es um die Mobilität der Zukunft. Es ist eine kuriose Mischung aus PR- und Informationsveranstaltung, Essensbuden verleihen dem Ganzen VolksfestFlair, wenige Meter weiter kann man auf E-Scootern Runden drehen. Tina und Sascha Buhr aus Göppingen sind mit ihrem Sohn Miles wegen des Volocopter-Probeflugs da. Sie würden am liebsten sofort in das Flugtaxi steigen. „Wir finden es traurig, dass man es nicht heute schon nutzen kann“, sagt Sascha Buhr. Deutschland hinke hinterher, wenn es um derartige Zukunftsvisionen geht. Eine weitere Anreise hat Heiko Müller aus Hannover hinter sich. Er ist einer von 749 Investoren, die sich 2013 an einer CrowdfundingAktion beteiligt haben, um das Unternehmen finanziell zu unterstützen. „Ich glaube, dass die Firma auf dem richtigen Weg ist“, sagt er.
Für Volocopter ist der Demoflug auch ein Test, ob sich die Öffentlichkeit für das Flugtaxi begeistern kann. Wer im Ausstellungsmodell probesitzen will, muss einen Fragebogen der Stuttgarter Hochschule für Technik ausfüllen. Unter anderem wird gefragt, welchen Preis man für die Strecke vom Flughafen Stuttgart in die Innenstadt erwarten würde. Ein Taxi kostet etwa 35 Euro, wenn die Fahrt bei freien Straßen rund 30 Minuten dauert. Auch ob man sich einem autonom fliegenden Gerät anvertrauen würde, wird gefragt. Die Ergebnisse sollen im Oktober veröffentlicht werden. Das Konzept geht auf: Die Schlange ist den ganzen Tag über lang. Im Minutentakt machen junge Männer und Frauen in Volocopter-Shirts auf Wunsch Beweisfotos von den Besuchern im Flugtaxi.
Volocopter ist nicht das einzige Unternehmen in Deutschland, das an einer derartigen Technologie arbeitet. Im Mai hatte das fünfsitzige Flugtaxi Lilium Jet in Oberpfaffenhofen bei München seinen Jungfernflug erfolgreich hinter sich gebracht. Der Flugzeugbauer Lilium wurde 2015 gegründet und will ebenfalls eine eigene Buchungsplattform anbieten. Der Flugzeugbauer Airbus hatte bereits am 1. Mai den City-Airbus vorgestellt. Das viersitzige elektrische Flugtaxi mit vier Rotoren hob in Ingolstadt ab. Das Fluggerät wurde in den vergangenen Jahren in Donauwörth bei Airbus gebaut, ab Ende des Jahres soll es in Manching ein Testprogamm durchlaufen.
Zeit, in die Luft zu gehen? Manfred Hajek hält den Einsatz solcher Geräte im großen Stil vor dem Jahr 2050 für unrealistisch. „Wir erforschen in München Grundlagen und es ist noch ein weiter Weg bis zu einem komplexen Produkt.“Der Professor leitet den Lehrstuhl für Hubschraubertechnologie an der Technischen Universität München. „Wenn Sie das in der gleichen Masse haben wollen wie heutzutage Taxis, da bin ich sehr pessimistisch.“Und das, obwohl die Zahl der Projekte, die sich mit elektrischen Fluggeräten auseinandersetzen, rapide angewachsen sei. „Vergangenes Jahr waren es noch 100, jetzt sind es rund 250.“Niemand wolle den Trend verpassen.
Beim baden-württembergischen Verkehrsministerium glaubt man nicht, dass Flugtaxis irgendwann so selbstverständlich genutzt werden wie Taxis heutzutage. Welche Rolle die Fluggeräte in Zukunft spielen würden, lasse sich noch nicht abschätzen. „Flugtaxis werden aber sicherlich mengenmäßig nur in einem sehr begrenzten Segment Anwendung finden“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Beratungsgesellschaft Horváth und Partner sagt voraus, dass schon 2025 Flugtaxis in großen Städten auf ersten, festgelegten Routen Passagiere transportieren werden, autonome Flüge prognostiziert die Firma für 2035.
Wenige Meter vom Museum entfernt holt die Realität der Mobilität von heute die Zuschauer des Probeflugs ein: Die S-Bahn zum Hauptbahnhof fährt samstags nur alle halbe Stunde. Der Blick schweift an den Himmel – aber kein Volocopter am Horizont.
„Wir finden es traurig, dass man es nicht heute schon nutzen kann.“Sascha Buhr aus Göppingen würde am liebsten sofort einsteigen