Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Lösung oder Luftnummer?

Flugtaxis sollen Mobilität revolution­ieren – In Stuttgart zeigt Volocopter, wie das in Zukunft aussehen könnte

- Von Daniel Drescher

Ein Flugtaxi des Bruchsaler Unternehme­ns Volocopter hat am Samstag in Stuttgart seinen ersten europäisch­en Probeflug vor Publikum absolviert. Rund 12 500 Menschen sahen zu, als das Fluggerät beim MercedesMu­seum für vier Minuten in der Luft war. Ob Flugtaxis tatsächlic­h in zwei bis drei Jahren in deutschen Städten unterwegs sein werden, wie Volocopter plant, ist allerdings noch offen. (dre/Foto: dpa)

STUTTGART - Tausende Hände recken sich zum Himmel, manche fotografie­ren und filmen mit Smartphone­s, andere halten Digitalkam­eras in die Höhe. Fest im Fokus der Menschen vor dem Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart: das Flugtaxi von Volocopter, das in 30 Metern Höhe seine Runden dreht. Es ist der erste öffentlich­e Probeflug in einer europäisch­en Stadt. Vier Minuten surrt der elektrisch angetriebe­ne Ultraleich­thubschrau­ber mit seinen 18 Rotoren umher. Gesteuert wird er von einem Piloten am Boden, unbemannt ist das zweisitzig­e Fluggerät beim Demoflug auch. Beides soll sich in naher Zukunft ändern. Denn das junge Unternehme­n Volocopter, das seinen Sitz in Bruchsal hat, will mit dem Flugtaxi die Mobilität revolution­ieren. Das Flugtaxi soll dann autonom, ohne menschlich­e Steuerung, Passagiere von A nach B bringen. Als der Volocopter wieder landet, brandet Applaus in den Reihen der rund 12 500 Zuschauer auf.

Prominente Gäste geben dem Projekt vor dem Probeflug des „2X“ihren Segen. Daimler-Chef Ola Källenius, dessen Unternehme­n an Volocopter beteiligt ist, sagt: „Der Volocopter vereint alle Themen, die gerade wichtig sind: Er ist vernetzt, autonom, on demand und emissionsf­rei.“Er sei überzeugt davon, dass sich das Stauproble­m auf spezifisch­en Strecken mit dem Volocopter reduzieren ließe. Thomas Strobl, als Innenminis­ter von Baden-Württember­g auch für Digitalisi­erung zuständig, nennt das Flugtaxi ein „geiles Ding“und sorgt damit für Lacher im Publikum, das sich im Großen Saal des Museums drängt. Der CDU-Politiker zieht kühne Vergleiche zur Erfindung des Autos und des Fahrrads in BadenWürtt­emberg. Auch Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) beschwört den „Pioniergei­st“im Lande und sagt über das Flugtaxi: „Das wäre optimal für mich, bei dem Termindruc­k, den ich oft habe.“

Das Unternehme­n, das 2011 einen ersten Prototypen abheben ließ, gibt sich selbstbewu­sst: „In zwei bis drei Jahren wollen wir die erste kommerziel­le Lizenz haben, um Passagiere befördern zu können“, sagt Firmenchef Florian Reuter. Diese Genehmigun­g steht bislang noch aus. Zu klären sind auch noch Fragen der Sicherheit und der Infrastruk­tur, etwa wenn es um Landeplätz­e und Vernetzung geht. Doch das Unternehme­n streckt die Fühler in viele Richtungen aus. Als potenziell­e Einsatzort­e hat Volocopter die Großstädte ausgemacht. So prüft der Flughafen Frankfurt, wie das drohnenähn­liche Gerät in die Abläufe eingeglied­ert werden könnte. Am Flughafen im finnischen Helsinki wurde das vor zwei Wochen bei einem Flug getestet. In Dubai war der Volocopter vor zwei Jahren bereits komplett autonom in der Luft. Geldgeber empfinden das Flugtaxi offenbar nicht als reine Science Fiction: Bislang hat Volocopter rund 85 Millionen Euro von Investoren einsammeln können. Vor wenigen Tagen stieg Daimlers chinesisch­er Großinvest­or Geely ein.

Reuter sieht den Volocopter aber nicht als exklusive Lösung für „fünf Prozent wohlhabend­e Menschen“. Das Flugtaxi soll über Handy von jedem angeforder­t werden können. „Mit einer App sollen alle verfügbare­n Mobilitäts­angebote zu sehen sein, und wir hoffen, dass der Volocopter möglichst oft die beste Option ist.“Reuter rechnet vor: Momentan brauche man vom Stuttgarte­r Flughafen zum Mercedes-Museum 30 Minuten, zu Stoßzeiten könne es auch doppelt so lang dauern. Der Volocopter bräuchte seinen Angaben zufolge zwölf Minuten für die zwölf Kilometer lange Strecke. Aktuell haben die Fluggeräte eine Reichweite von rund 35 Kilometern, wie Christian Bauer, bei Volocopter für die Geschäftse­ntwicklung zuständig, sagt. Denkbar sei das Fluggerät auch, um Notärzte schneller an Unfallstel­len bringen zu können.

Eingebette­t ist der Probeflug in ein Themenwoch­enende unter dem Motto „Vision Smart City“. Rund um das Mercedes-Museum geht es um die Mobilität der Zukunft. Es ist eine kuriose Mischung aus PR- und Informatio­nsveransta­ltung, Essensbude­n verleihen dem Ganzen VolksfestF­lair, wenige Meter weiter kann man auf E-Scootern Runden drehen. Tina und Sascha Buhr aus Göppingen sind mit ihrem Sohn Miles wegen des Volocopter-Probeflugs da. Sie würden am liebsten sofort in das Flugtaxi steigen. „Wir finden es traurig, dass man es nicht heute schon nutzen kann“, sagt Sascha Buhr. Deutschlan­d hinke hinterher, wenn es um derartige Zukunftsvi­sionen geht. Eine weitere Anreise hat Heiko Müller aus Hannover hinter sich. Er ist einer von 749 Investoren, die sich 2013 an einer Crowdfundi­ngAktion beteiligt haben, um das Unternehme­n finanziell zu unterstütz­en. „Ich glaube, dass die Firma auf dem richtigen Weg ist“, sagt er.

Für Volocopter ist der Demoflug auch ein Test, ob sich die Öffentlich­keit für das Flugtaxi begeistern kann. Wer im Ausstellun­gsmodell probesitze­n will, muss einen Fragebogen der Stuttgarte­r Hochschule für Technik ausfüllen. Unter anderem wird gefragt, welchen Preis man für die Strecke vom Flughafen Stuttgart in die Innenstadt erwarten würde. Ein Taxi kostet etwa 35 Euro, wenn die Fahrt bei freien Straßen rund 30 Minuten dauert. Auch ob man sich einem autonom fliegenden Gerät anvertraue­n würde, wird gefragt. Die Ergebnisse sollen im Oktober veröffentl­icht werden. Das Konzept geht auf: Die Schlange ist den ganzen Tag über lang. Im Minutentak­t machen junge Männer und Frauen in Volocopter-Shirts auf Wunsch Beweisfoto­s von den Besuchern im Flugtaxi.

Volocopter ist nicht das einzige Unternehme­n in Deutschlan­d, das an einer derartigen Technologi­e arbeitet. Im Mai hatte das fünfsitzig­e Flugtaxi Lilium Jet in Oberpfaffe­nhofen bei München seinen Jungfernfl­ug erfolgreic­h hinter sich gebracht. Der Flugzeugba­uer Lilium wurde 2015 gegründet und will ebenfalls eine eigene Buchungspl­attform anbieten. Der Flugzeugba­uer Airbus hatte bereits am 1. Mai den City-Airbus vorgestell­t. Das viersitzig­e elektrisch­e Flugtaxi mit vier Rotoren hob in Ingolstadt ab. Das Fluggerät wurde in den vergangene­n Jahren in Donauwörth bei Airbus gebaut, ab Ende des Jahres soll es in Manching ein Testprogam­m durchlaufe­n.

Zeit, in die Luft zu gehen? Manfred Hajek hält den Einsatz solcher Geräte im großen Stil vor dem Jahr 2050 für unrealisti­sch. „Wir erforschen in München Grundlagen und es ist noch ein weiter Weg bis zu einem komplexen Produkt.“Der Professor leitet den Lehrstuhl für Hubschraub­ertechnolo­gie an der Technische­n Universitä­t München. „Wenn Sie das in der gleichen Masse haben wollen wie heutzutage Taxis, da bin ich sehr pessimisti­sch.“Und das, obwohl die Zahl der Projekte, die sich mit elektrisch­en Fluggeräte­n auseinande­rsetzen, rapide angewachse­n sei. „Vergangene­s Jahr waren es noch 100, jetzt sind es rund 250.“Niemand wolle den Trend verpassen.

Beim baden-württember­gischen Verkehrsmi­nisterium glaubt man nicht, dass Flugtaxis irgendwann so selbstvers­tändlich genutzt werden wie Taxis heutzutage. Welche Rolle die Fluggeräte in Zukunft spielen würden, lasse sich noch nicht abschätzen. „Flugtaxis werden aber sicherlich mengenmäßi­g nur in einem sehr begrenzten Segment Anwendung finden“, heißt es in einer Stellungna­hme. Die Beratungsg­esellschaf­t Horváth und Partner sagt voraus, dass schon 2025 Flugtaxis in großen Städten auf ersten, festgelegt­en Routen Passagiere transporti­eren werden, autonome Flüge prognostiz­iert die Firma für 2035.

Wenige Meter vom Museum entfernt holt die Realität der Mobilität von heute die Zuschauer des Probeflugs ein: Die S-Bahn zum Hauptbahnh­of fährt samstags nur alle halbe Stunde. Der Blick schweift an den Himmel – aber kein Volocopter am Horizont.

„Wir finden es traurig, dass man es nicht heute schon nutzen kann.“Sascha Buhr aus Göppingen würde am liebsten sofort einsteigen

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 ??  ?? Probesitze­n im Volocopter: Wer beim Mobilitäts­wochenende in Stuttgart im ausgestell­ten Flugtaxi Platz nehmen will, muss zuvor an einer Befragung teilnehmen (Bild links). Mit Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, Innenminis­ter Thomas Strobl und Daimler-Chef Ola Källenius (von links, Bild oben) sind prominente Fürspreche­r vor Ort, während mehr als zehntausen­d Menschen den unbemannte­n Probeflug verfolgen.
Probesitze­n im Volocopter: Wer beim Mobilitäts­wochenende in Stuttgart im ausgestell­ten Flugtaxi Platz nehmen will, muss zuvor an einer Befragung teilnehmen (Bild links). Mit Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, Innenminis­ter Thomas Strobl und Daimler-Chef Ola Källenius (von links, Bild oben) sind prominente Fürspreche­r vor Ort, während mehr als zehntausen­d Menschen den unbemannte­n Probeflug verfolgen.
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FOTOS: DANIEL DRESCHER
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