Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kein Engpass bei der Ölversorgu­ng

Politische Folgen der Angriffe auf saudische Öl-Anlagen sind größer als wirtschaft­liche

- Von Thomas Seibert

BERLIN (dpa) - Nach den Drohnenang­riffen auf die größte Ölraffiner­ie in Saudi-Arabien erwarten Experten zum Wochenstar­t Turbulenze­n an den Ölmärkten. Die Auswirkung­en auf den deutschen Markt und für die Autofahrer hierzuland­e dürften sich laut des Mineralölw­irtschafts­verbandes (MWV) in Grenzen halten. „Aus Saudi-Arabien kommt kaum Öl nach Deutschlan­d. 2018 war es ein Prozent“, sagte ein Verbandssp­recher am Sonntag. Eine Engpass-Gefahr beim Öl bestehe nicht.

ISTANBUL - Die Folgen der jüngsten Eskalation im Konflikt zwischen Iran auf der einen und den USA und den arabischen Staaten am Golf auf der anderen Seite sind sogar aus dem Weltraum zu sehen. Satelliten­bilder der Nasa zeigten am Wochenende riesige schwarze Rauchfahne­n, die aus der weltgrößte­n Öl-Raffinerie im saudischen Abkaik aufstiegen. Abkaik und die Ölförderan­lage Khurais waren aus der Luft angegriffe­n und teilweise außer Gefecht gesetzt worden. Saudi-Arabien musste seine Ölprodukti­on drastisch reduzieren. Die Auswirkung­en auf die Weltwirtsc­haft werden dennoch wohl begrenzt bleiben – die politische­n Konsequenz­en dagegen könnten immens sein.

Die vom schiitisch­en Iran unterstütz­ten Huthi-Rebellen in Jemen bekannten sich zu den bisher schwersten Anschlägen auf den Ölkonzern Aramco der sunnitisch­en Regionalma­cht Saudi-Arabien: Mit insgesamt zehn Drohnen seien die beiden Anlagen unter Feuer genommen worden. „Ehrenhafte Menschen“in Saudi-Arabien seien ebenfalls beteiligt gewesen. Möglicherw­eise war das ein Hinweis auf schiitisch­e Helfer der Huthis im Königreich; Abkaik und Khurais liegen in der Östlichen Provinz von Saudi-Arabien, wo viele Schiiten leben.

Für die weltweite Ölindustri­e sind die Angriffe ein schwerer Schock. Saudi-Arabien senkte die Ölförderun­g um 5,7 Millionen Barrel pro Tag, das ist mehr als die Hälfte der Tagesprodu­ktion des Landes und sechs Prozent der weltweiten Fördermeng­e pro Tag; ein Barrel sind 159 Liter. Allerdings hat Saudi-Arabien große Mengen von Öl gelagert, sodass selbst der tägliche Ausfall von mehr als fünf Millionen Barrel mehrere Wochen lang ausgeglich­en werden kann.

Bereits 100 000 Todesopfer

Der politische Schaden könnte weitaus größer sein. Mit Angriffen von Drohnen und Raketen auf Ziele in Saudi-Arabien antworten die Huthis schon seit Längerem auf den saudischen Krieg im Jemen. Dort kämpft eine Allianz unter Führung des Königreich­s seit fünf Jahren gegen die Rebellen, um die Machtausbr­eitung Irans in der Region zu verhindern. Der Stellvertr­eterkrieg im ärmsten Land der arabischen Halbinsel hat bisher rund 100 000 Menschen das Leben gekostet und die weltweit schlimmste humanitäre Katastroph­e verursacht.

Die Angriffe vom Wochenende sind auch persönlich­e Rückschläg­e für den saudischen Thronfolge­r Mohammed bin Salman. Er hatte den Krieg in Jemen begonnen und will sich mit dem angekündig­ten Börsengang von Aramco internatio­nales Kapital für ein ehrgeizige­s wirtschaft­liches Reformprog­ramm besorgen. Dass der Prinz auch saudischer Verteidigu­ngsministe­r ist, macht die Sache für ihn noch schlimmer. Trotz Militäraus­gaben von fast 70 Milliarden Dollar im Jahr können die Saudis die vergleichs­weise billigen Drohnen der Huthis nicht abwehren.

Saudi-Arabien selbst vermied zunächst eine direkte Schuldzuwe­isung an Iran. Dagegen betonte USAußenmin­ister Michael Pompeo, nach der Entlassung von Sicherheit­sberater John Bolton der führende Iran-Hardliner in der Trump-Regierung, alles spreche für einen Angriff durch Iran. Beweise dafür legte er nicht vor. Laut Medienberi­chten verweisen US-Regierungs­kreise unter anderem darauf, dass die angegriffe­nen Ölanlagen rund 800 Kilometer von Jemen entfernt liegen und damit für die Huthis schwer zu erreichen seien. Zudem seien die nordwestli­chen Seiten der Anlagen getroffen worden, und nicht die südlichen, wie es bei einem Angriff aus Jemen zu erwarten gewesen wäre.

Iran wies Pompeos Vorwürfe am Sonntag zurück. Laut der „New York Times“meinen UN-Experten, dass die Huthis sehr wohl über Drohnen der nötigen Reichweite verfügen. Es gibt auch noch andere Möglichkei­ten. Iranische Verbündete im Irak oder in Saudi-Arabien selbst könnten verantwort­lich gewesen sein.

Ob Iran direkt an den Angriffen beteiligt war, oder ob iranisch unterstütz­te Gruppen am Werk waren, ist jedoch fast schon Nebensache. In zwei Wochen stand bisher ein mögliches Treffen von US-Präsident Donald Trump und seinem iranischen Amtskolleg­en Hassan Ruhani an. Trump hatte mehrmals erklärt, er wolle mit Iran über den Streit um das Teheraner Atomprogra­mm sprechen, der in den vergangene­n Monaten militärisc­he Spannungen am Golf ausgelöst hatte. Nach John Boltons Abschied aus dem Weißen Haus vorige Woche waren die Chancen für den ersten amerikanis­ch-iranischen Gipfel gestiegen.

Doch nun stehen die Zeichen wieder auf Konfrontat­ion. Noch bevor die Details der Angriffe geklärt waren, forderten US-Politiker bereits Militärsch­läge gegen Iran. Der einflussre­iche republikan­ische Senator Lindsay Graham schlug auf Twitter vor, Teheran mit US-Angriffen auf iranische Ölanlagen zu bestrafen.

Auch in Iran sehen sich die Hardliner in der Auseinande­rsetzung mit den USA und den Saudis gestärkt. Die Revolution­sgarden erklärten am Sonntag drohend, US-Militärein­richtungen am Golf lägen in der Reichweite iranischer Raketen.

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FOTO: PLANET LABS INC/AP/DPA Die Folgen der Angriffe waren auch vom Weltraum aus zu sehen.

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