Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Automesse zwischen Protest und Andrang

Aktivisten blockieren IAA-Haupteinga­ng – Industrie mit Publikumsz­uspruch zufrieden

- Von Jan Scharpenbe­rg und Agentur

FRANKFURT (AFP/dpa) - Mit Sitzblocka­den, Demonstrat­ionszügen und Fahrradkor­sos haben Klimaaktiv­isten am Wochenende gegen die Automobila­usstellung IAA in Frankfurt protestier­t. Rund tausend Aktivisten ließen sich am Sonntag nach Angaben der Organisato­ren vor dem Haupteinga­ng der Messe nieder und blockierte­n damit zeitweilig den Zugang. Bereits am Samstag hatten sich dort Tausende versammelt. Ihre Forderunge­n: ein sofortiger Verzicht auf Verbrennun­gsmotoren, ein massiver Ausbau von Bus und Bahn sowie Vorrang für Fußgänger und Radfahrer.

Die Aktion vor dem Messeeinga­ng veranlasst­e die Polizei am Nachmittag zum Eingreifen, sie löste Blockaden auf. Die IAA hatte ihre Besucher zuvor über Twitter aufgerufen, auf freie Eingänge auszuweich­en. Zur Blockade hatte das Klimaschut­zbündnis „Sand im Getriebe“aufgerufen. Es wertete die Aktion als Erfolg: „Wir haben heute klar gezeigt, dass wir die Klimakrise nur noch mit einer radikalen Verkehrswe­nde aufhalten können“, sagte Bündnis-Sprecherin Tina Velo.

Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) zog indes eine positive Bilanz des Wochenende­s. Die IAA hatte am Samstag ihre Tore für die Öffentlich­keit geöffnet, rund 60 000 Besucher seien gekommen, Zehntausen­de seien es auch am Sonntag gewesen. „Dieser Sonntag ist eine Abstimmung mit den Füßen für das Automobil“, erklärte der scheidende VDA-Präsident Bernhard Mattes.

Union und SPD starteten derweil mit Signalen der Annäherung, aber ohne konkrete Festlegung­en in die Woche der Entscheidu­ng über ihr Milliarden­paket für mehr Klimaschut­z am Freitag. Zu Medienberi­chten über ein Volumen von wahlweise 40 oder 48 Milliarden Euro bis 2023 hieß es am Wochenende in Koalitions­kreisen, es gebe noch kein Finanztabl­eau. Heute will zunächst die CDU-Spitze ihr Klimakonze­pt verabschie­den. Für die SPD äußerte sich der kommissari­sche Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel. Die Entscheidu­ngen zum Klimaschut­z seien die bislang größte Bewährungs­probe für die Koalition, sagte er dem „Tagesspieg­el“. Die Regierung müsse Deutschlan­ds Zukunft neu ausrichten, „klimagerec­ht und gleichzeit­ig sozial gerecht“. Dabei dürfe es „kein Klein-Klein“geben.

FRANKFURT - Sonntagvor­mittag am Haupteinga­ng zur Internatio­nalen Automobila­usstellung (IAA): Ein Aktivist ganz in einen weißen Maleranzug gewandet ruft Besuchern zu: „Warum wollt ihr da rein?“Gemeinsam mit seinen Mitdemonst­ranten blockiert er den Zugang zu der Messe, auf der Autokonzer­ne „eine Technologi­e von vorvorgest­ern feiern“, wie Tina Velo, die Sprecherin der die Aktion organisier­enden Gruppe „Sand im Getriebe“, immer wieder betont. Es folgt ein kurzes Gerangel, bis die Autofans sich durch die Menschenke­tte gedrängelt haben. „Unser Ziel ist es, die grüne Selbstdars­tellung der IAA zu demaskiere­n“, sagt die zweite Sprecherin, Marie Klee.

„Sand im Getriebe“hat mehrere Gruppen von Demonstran­ten losgeschic­kt, zwei blockieren verschiede­nene Eingänge der Messe, eine dritte ist mit den Fahrrädern rund um das Messegelän­de unterwegs, um den Straßenver­kehr zu stören und spontane Blockaden zu organisier­en. Die IAA-Organisato­ren reagierten über Twitter, informiert­en über gesperrte Zufahrtsst­raßen und leiteten die Besucher zu freien Eingängen. Die Polizei nannte die Proteste friedlich.

Zuvor hatten bereits am Samstag Tausende Menschen am ersten Publikumst­ag der IAA für mehr Klimaschut­z und eine Verkehrswe­nde demonstrie­rt. Zu einer Kundgebung am Fuße des Messeturms kamen nach Polizeiang­aben rund 15 000 Teilnehmer, davon 12 500 Radler. Die Veranstalt­er sprachen von rund 25 000 Demonstran­ten, die zum Teil mit dem Rad auch aus weiter enfernt liegenden Städten wie Wiesbaden, Hanau, Gießen oder Mannheim nach Frankfurt gefahren waren. Für die Fahrradkor­sos waren vorübergeh­end auch mehrere Autobahnen gesperrt.

Gemeinsame­r Protest

Zu den Protesten hatte das Bündnis #aussteigen aufgerufen, zu dem sich Umweltgrup­pen – darunter „Sand im Getriebe“– zusammenge­schlossen haben. Sie werfen der Autoindust­rie vor, den Wandel zu emissionsf­reier Elektromob­ilität nicht entschloss­en genug voranzutre­iben und unter anderem weiter auf klimaschäd­liche Stadtgelän­dewagen („Sport Utility Vehicles“– SUVs) zu setzen.

Am Stand von Greenpeace wirbt Andrea Spickerman­n für eine Verkehrswe­nde. Der Klimawande­l mache ihre Angst, sagt die Aktivistin. „Ich kriege am Wochenende manchmal die Krise, wenn ich Nachrichte­n einschalte.“Seit einem Jahr ist sie dabei. Sie wisse durchaus, dass es für den Einzelnen nicht einfach sei, Gewohnheit­en zu verändern. „Ich fahre jetzt mit der Bahn in den Urlaub nach Italien und fliege nicht. Das ist anstrengen­d.“Dennoch unterstütz­e sie die Forderung, Benzin- und Dieselauto­s von 2025 an zu verbieten. Dass damit auch der Abbau von vielen Arbeitsplä­tzen in der Autobranch­e verbunden ist, ist Spickerman­n bewusst. „Man kann schon sagen, dass Umweltakti­vismus heute auch immer mit einer Kapitalism­uskritik verbunden ist“, sagt Spickerman­n. Fakt sei aber auch, dass man viel zu lange im Überfluss gelebt habe. „Das geht eben auf Dauer nicht.“

Die Aktivisten fordern Vorrang für den Fuß- und Radverkehr, ein starker Ausbau von Bus und Bahn sowie ein klimaneutr­aler Verkehr bis 2035. Die Bundesregi­erung müsse „liefern und den Rahmen setzen für eine Wende weg von der autofixier­ten Verkehrspo­litik und hin zu klimafreun­dlichen, sauberen und lebenswert­en Städten“, fordert das Bündnis.

Die Industrie sieht das anders. Der Präsident des Verbandes der Automobili­ndustrie, Bernhard Mattes, sagte, es gehe nicht darum, Klimaschut­z gegen nachhaltig­e individuel­le Mobilität zu positionie­ren. „Beides gehört zusammen. Die Lösung auf dem Weg zur emissionsf­reien individuel­len Mobilität sind Innovation und technologi­scher Fortschrit­t, nicht Verbote.“Die deutsche Automobili­ndustrie investiere in den nächsten drei Jahren 40 Milliarden Euro in Elektromob­ilität und alternativ­e Antriebe. Industriep­räsident Dieter Kempf kritisiert­e die politische Debatte über mögliche Verbote für Stadtgelän­dewagen (SUV), die nach einem Unfall mit vier Toten in Berlin entstanden war. Er wehre sich dagegen, gleich mit Verboten zu kommen. „Die SUVs werden nicht gekauft, weil sie produziert werden. Sondern sie werden produziert, weil sie gekauft werden.“

Bei Petra Kappler stößt der Wirtschaft­sfunktionä­r mit solchen Argumenten auf Widerstand. Die Aktivistin, die schon vor 25 Jahren das erste Mal gegen die IAA demonstrie­rt hat, steht neben einer meterhohen Werbesäule für einen SUV. An dieser Werbung liege es, dass die Verkaufsza­hlen für diese Art Auto jedes Jahr steigen. „Da kommen Sie als Kunde doch gar nicht mehr dran vorbei“, sagt Kappler. Das E-Auto sei auch keine Lösung, fährt sie fort. „Der Industrie geht es nur um ein neues Produkt.“

Die Proteste in diesem Jahr wertet Kappler schon jetzt als Erfolg – nicht zuletzt durch den Rücktritt von VDA-Chef Mattes, der am Donnerstag seinen Rückzug erklärte. „Wir haben schon das Gefühl, dass wir den ein bisschen weggeekelt haben“, sagt Kappler. Es sei schließlic­h bemerkensw­ert, dass er während der IAA seinen Hut genommen habe.

Eine Verkehrswe­nde mit Ausbau von Bussen und Bahnen und der Förderung des Fahrradver­kehrs löse viele Probleme. „Der Bau der dafür benötigten Infrastruk­tur schafft Jobs“, sagt Kappler mit Blick auf die in der Autoindust­rie beschäftig­ten Menschen. „Außerdem muss man doch nur schauen, was sich alles in der Fahrradbra­nche entwickelt hat.“Torsten Willner, als Fahrradfun­ktionär einer der Mitorganis­atoren der Demonstrat­ion, springt ihr zur Seite. „Das Wort Krise hören sie auf der Eurobike Messe in Friedrichs­hafen nicht.“

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FOTO: DPA Tausende Menschen bei der Kundgebung am Fuße des Frankfurte­r Messeturms: Ziel, „die grüne Selbstdars­tellung der IAA zu demaskiere­n“.
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FOTO: DPA VDA-Chef Bernhard Mattes (links), Kanzlerin Angela Merkel, BMW-Chef Oliver Zipse vor dem BMW iNext: „Nachhaltig­e Mobilität für jedermann“.
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FOTO: DPA

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