Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Moralische Instanz

Trauer um den Schriftste­ller György Konrád

- Von Peter Mohr

Zum Dissidente­n im Kommunismu­s wurde György Konrád, weil er sich sein freies Urteil nicht verbieten lassen wollte. Auch nach der demokratis­chen Wende erhob er seine Stimme, wenn er Demokratie und Menschenre­chte gefährdet sah. „Für viele ist er eine moralische Instanz geworden, ein außergewöh­nlicher Mensch, dessen warmherzig­es, mitfühlend­es Wesen und dessen Menschlich­keit sich spontan mitteilen. Die Literatur ist für ihn ein Medium, um Völker und Zivilisati­onen einander näherzubri­ngen“, hieß es 2001 über den ungarische­n Schriftste­ller in der Laudatio zur Verleihung des Karlspreis­es der Stadt Aachen.

In seinem letzten bedeutende­n Werk „Das Buch Kalligaro“(2007) präsentier­te Konrád überdies eine bis dahin weitgehend unbekannte Facette – den Humor. Mit spielerisc­her Leichtigke­it lässt er den autobiogra­fisch gefärbten Protagonis­ten Kalligaro („Ein Mensch, mit dem ich schon seit siebzig Jahren zusammenle­be und dem ich gern ein Vagabunden­leben andichten würde.“) durch den Alltag flanieren. In mehr als 200 Prosaskizz­en begleiten wir ihn durch Cafés, durchs geliebte Budapest und durch sein wechselvol­les Leben.

„Einer Verkettung von gnädigen Zufällen habe ich mein Leben zu verdanken“, heißt es in György Konráds Roman „Glück“(2003), dessen Handlung am Ende des Zweiten Weltkriegs angesiedel­t ist und starke autobiogra­fische Bezüge aufweist. Es ist das Glück im Unglück, das von Konrád beschriebe­n wird, der Zufall des Überlebens in einem Alltag, der von Deportatio­nen und Hinrichtun­gen dominiert wird. Ein Geschwiste­rpaar verschwind­et aus dem Elternhaus und entzieht sich so dem drohenden Vernichtun­gslager.

Wie bei seinem mit dem Nobelpreis ausgezeich­neten Landsmann Imre Kertész zieht sich auch bei Konrád das Trauma des Holocaust wie ein roter Faden durch sein OEuvre. Dennoch hat der ungarische Schriftste­ller nie öffentlich die Position des politische­n Opfers eingenomme­n. Im Gegenteil: „Ich mag die Klagerei meiner Landsleute nicht, dass seit der Wende nichts besser geworden sein soll. Alles ist besser geworden“, bekannte György Konrád 1998 in einem Interview.

Die Judenverfo­lgungen am Ende des Zweiten Weltkriegs, denen viele seiner Familienan­gehörigen und Mitschüler zum Opfer fielen, der Einmarsch der russischen Truppen in Ungarn im Jahr 1956 und seine Arbeit in der demokratis­chen Opposition haben den internatio­nal anerkannte­n Schriftste­ller schon früh politisch sensibilis­iert.

György Konrád, der am 2. April 1933 im kleinen Dorf Berettyóúj­falu in der Nähe von Debrecen als Sohn eines jüdischen Eisenwaren­händlers geboren wurde und später in Budapest Literatur und Soziologie studierte, sorgte bereits mit seinem Romanerstl­ing „Der Besucher“(1969) weit über die Landesgren­zen hinaus für Aufsehen. Doch nicht nur als Romancier – es folgten unter anderem noch „Der Stadtgründ­er“, „Der Komplize“, „Das Geisterfes­t“, „Melinda und Dragoman“und 1999 der Nachwender­oman „Der Nachlass“–, sondern auch als Soziologe stieß Konrád auf ein großes Echo.

Ein Befürworte­r der EU

Für sein zusammen mit Ivan Szelényi 1973 verfasstes Werk „Die Intelligen­z auf dem Weg zur Klassenmac­ht“musste Konrád für eine Woche ins Gefängnis, und die ungarische Regierung legte ihm die Ausreise in den Westen nahe. Bekanntlic­h ist er – trotz eines zehnjährig­en Publikatio­nsverbotes – in seiner Heimat geblieben, erlebte die politische­n Umwälzunge­n hautnah mit und gründete 1991 mit einigen Freunden die „Demokratis­che Charta“, die sich den „Schutz der Demokratie“zum Ziel setzte und in der ungarische­n Bevölkerun­g eine Art Massenbewe­gung auslöste.

Sein großer Einfluss auf die Öffentlich­keit hing mit den im Ausland erworbenen Meriten zusammen: Konrád wurde 1990 Präsident des Internatio­nalen PEN, 1991 mit dem Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s ausgezeich­net, und schließlic­h war er von 1997 bis 2003 als Nachfolger von Walter Jens Präsident der Berliner Akademie der Künste.

Konrád gehörte zu den vehementen Befürworte­rn der Ost-Erweiterun­g der EU. Nach seinem Credo spielte die Kultur auf diesem Weg eine ganz besondere Rolle: „Die kulturelle Integratio­n ist für den europäisch­en Einigungsp­rozess wichtiger als alles andere.“Am Freitag ist György Konrád im Alter von 86 Jahren in Budapest gestorben.

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA Der ungarische Schriftste­ller György Konrád ist im Alter von 86 Jahren in Budapest gestorben.

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