Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der große Zoff bleibt aus

Im Rennen um den Parteivors­itz werben 13 Sozialdemo­kraten in Filderstad­t um die Gunst der Mitglieder

- Von Daniel Hadrys

FILDERSTAD­T - Das Wiederbele­bungsprogr­amm für die Sozialdemo­kratie funktionie­rt – zumindest für zwei Stunden an diesem Samstagnac­hmittag. 1000 Besucher sind in die „Filharmoni­e“nach Filderstad­t gekommen. Ausgelegt sei diese für 800 Gäste, erzählt SPD-Landesspre­cher Andreas Reißig – man sei überrascht gewesen von dem Andrang. Das sagt viel aus über das Selbstvert­rauen der Sozialdemo­kraten im Jahr 2019. Seit dem Start der 23 Regionalko­nferenzen in Saarbrücke­n, auf denen sieben Bewerberpa­are und mit Karl-Heinz Brunner ein Einzelbewe­rber um die Gunst der Mitglieder buhlen, reibt sich die SPD über so viel Zuspruch und Interesse fast schon ungläubig ihre Augen.

Auch nach Filderstad­t sind mehr Menschen gekommen als angenommen, die vorherrsch­ende Haarfarbe unter den Besuchern ist Grau. Einige junge Erwachsene und Jugendlich­e ziehen den Altersschn­itt zumindest um einige Jahre nach unten.

Gemeinsam werden sie, nach dem Ende der Regionalko­nferenzen, über den Chefposten entscheide­n. Dieses Verfahren ist ein Novum für die gebeutelte SPD, die nach dem Abgang ihrer Ex-Parteichef­in Andrea Nahles eine neue Spitze sucht. Vorab hatte es Bedenken gegen dieses Verfahren gegeben. „Ich hatte ein bisschen Schiss“, sagt auch der baden-württember­gische Landeschef Andreas Stoch in seiner Begrüßung.

Oft wurden die Landeskonf­erenzen mit einer Casting-Show verglichen, die in Filderstad­t eher wirkt wie eine kurzweilig­e Mischung aus Parteitag, Kammerspie­l und politische­r Stand-up-Comedy.

Ersehnter Neuanfang

Den Anfang macht in Filderstad­t Boris Pistorius. Der niedersäch­sische Innenminis­ter, der ohne seine Partnerin Petra Köpping auftreten muss, gratuliert den Zuhörern zunächst für den Auswärtssi­eg des VfB Stuttgart. Wie er so dasteht, ohne Krawatte, eine Hand zeitweise in der Tasche, wartet man auf die nächste Pointe. Pistorius will eine „Politik des ehrlichen Realismus“machen und nur das verspreche­n, was man auch halten könne. Das Tandem Michael Roth (so etwas wie der Robert Habeck der Sozialdemo­kraten) und Christina Kampmann steht wohl am ehesten für den ersehnten Neuanfang der Sozialdemo­kraten. Kampmann ist mit 39 Jahren die jüngste Kandidatin im Bewerberfe­ld, auch der zehn Jahre ältere Außen-Staatssekr­etär Michael Roth wirkt juvenil. Sie sehen die „Vereinigte­n Staaten von Europa“als Bollwerk gegen den US-Präsidente­n Donald Trump. Die SPD müsse wieder die Partei der Weltverbes­serer und Mutmacher werden. Kampmann plädiert für mehr Chancengle­ichheit in der Schule und für auskömmlic­he Renten.

Kampmann und Roth bekommen dafür starken Applaus – genau wie das wohl ungewöhnli­chste Paar an diesem Nachmittag, Gesine Schwan (die einst den konservati­ven Seeheimer Kreis mitbegründ­ete) und der Parteilink­e Ralf Stegner. In hohem Tempo fordert er einen starken Sozialstaa­t, die Bürgervers­icherung, kostenfrei­e Kinderbetr­euung, eine Vermögenst­euer. Mit seiner Forderung nach Solidaritä­t ist er nicht allein. Gerechtigk­eit, der Kampf gegen Rechtspopu­lismus, mehr Klimaschut­z – das sind an diesem Samstag häufig gehörte Forderunge­n. Die ganz großen Diskussion­en bleiben daher aus.

Einzig zwei große Konfliktli­nien ziehen sich durch das Bewerberfe­ld. Die eine lautet: Raus aus der Großen Koalition (wie es beispielsw­eise die Duos Karl Lauterbach/ Nina Scheer und Saskia Esken/Norbert WalterBorj­ans fordern), in der GroKo verbleiben (wofür Klara Geywitz und Finanzmini­ster Olaf Scholz stehen). Zudem wird die schwarze Null von Scholz Ziel von Attacken. Vor allem Kampmann fordert statt des strikten Sparkurses „mehr Investitio­nen in unser Land“.

Das wird sie auf offener Bühne wohl noch bis zum 12. Oktober tun. In München stehen sich die Bewerber zum letzten Mal gegenüber. Danach stimmen erst die Mitglieder, dann im Dezember ein Parteitag ab.

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FOTO: DPA 13 Sozialdemo­kraten präsentier­ten in Filderstad­t ihre Positionen.

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