Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Fair muss nicht teuer sein“
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verteidigt den Grünen Knopf – und wirbt für mehr Engagement in Afrika
BERLIN - Bundesentwicklungsminister Gerd Müller will, dass Produkte, die in Deutschland verkauft werden, fair und ökologisch hergestellt werden. Deshalb wirbt er mit Nachdruck für das Textilsiegel Grüner Knopf. „Das geht heute schon über Mindestanforderungen hinaus“, sagte Müller im Interview mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Sabine Lennartz. Zugleich appelliert der CSU-Minister an deutsche Unternehmen, sich mehr in Afrika zu engagieren.
Herr Minister Müller, tragen Sie schon Kleidung mit dem Grünen Knopf?
Selbstverständlich, ich stelle gerade meine Kleidung um, und kaufe von Firmen, die mitmachen. Zum Beispiel Hugo Boss für die Anzüge, Trigema für die Unterwäsche, Vaude für die Outdoor-Bekleidung, Socken und T-Shirts von anderen. Man darf doch Firmen, die verantwortungsvoll handeln und hohe Standards einhalten, hervorheben.
Sie haben sehr lange für ein solches Siegel gekämpft. Trotzdem gab es massive Kritik vom Textilverband, es gebe bereits viel zu viele Siegel. Was sagen Sie den Kritikern?
Der Grüne Knopf ändert das. Kunden haben jetzt ein Leitsiegel beim Einkauf und müssen nicht mehr 30 verschiedene Siegel vergleichen. Der Staat legt zum ersten Mal die Kriterien fest. Und die sind hoch. Die Kritik kommt von Verbänden, die Fortschritte für mehr Nachhaltigkeit abwehren. Die haben sich nicht mal die Mühe gemacht, bei uns nachzufragen. Jeder, der in die Gesichter der Näherinnen in Äthiopien oder Bangladesch geschaut hat, weiß doch, dass etwas geschehen muss.
Wäre ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, soziale und ökologische Standards einzuhalten, nicht die bessere Alternative?
Ich würde das befürworten. Auch von Unternehmen kommen immer mehr Rufe nach einem gesetzlichen Mindeststandard. Dann müssten auch die, die nicht beim Grünen Knopf mitmachen, die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Der Grüne Knopf geht aber schon heute über solche Mindestanforderungen hinaus. Firmen müssen ihre komplette Produktionslinie von Bangladesch bis Berlin anhand von 46 anspruchsvollen Sozial- und Umweltstandards überprüfen lassen – von A wie Abwassergrenzwerte bis Z wie Zwangsarbeitsverbot. In dieser Tiefe prüft sonst keiner.
Wird es für die Verbraucher dann nicht teurer?
Fair muss nicht teuer sein. Bei einem Marken-T-Shirt beträgt der Lohnkostenanteil gerade einmal 0,6 Prozent! Eine Jeans wird für fünf Dollar in Bangladesch produziert und in Stuttgart für 100 verkauft. Die Näherinnen schuften 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche für einen Stundenlohn zwischen 14 und 40 Cent. Unmöglich davon zu leben! Eine Verdopplung würde schon reichen. Die Jeans würde sich nur um einen Euro in der Produktion verteuern – von fünf auf sechs Dollar.
Was muss beim Grünen Knopf künftig besser werden?
Der Grüne Knopf setzt schon heute hohe Standards. Zum Start deckt er die wichtigsten Arbeitsschritte „Nähen und Schneiden“sowie „Färben“ab: Hier laufen alle 100 Milliarden Kleidungsstücke weltweit durch. Hier arbeiten 75 Millionen Menschen, vor allem Frauen. Aber unser Ziel ist der Schutz von Mensch und Natur in der gesamten Lieferkette – bis zum Baumwollfeld. Deswegen entwickeln wir den Grünen Knopf weiter. Wer aber nicht anfängt, kommt nie zum Ziel. Und wie lange will der Verband sagen, der Grüne Knopf mache keinen Sinn? 50 Unternehmen machen schon mit! Darunter Start-Ups wie Melawear und Brands Fashion, bekannte Nachhaltigkeitsvorreiter wie Hessnatur und große Unternehmen wie Tchibo, Lidl, Aldi, Rewe und die Otto Group. 75 Prozent der Kunden wünschen sich eine nachhaltige Produktion. Der Grüne Knopf holt faire Mode raus aus der Nische – rein in die Normalität. Fair ist chic! Jetzt kommt es auf die Kunden an, zuzugreifen.
Gibt es Überschneidungen zwischen fairem Kaffee und fairer Kleidung?
Der Grüne Knopf gilt für Textilien. Wir zeigen hier, dass es geht. Aber wir brauchen Nachhaltigkeit in allen Lieferketten. Bei Kaffee, Kakao, Orangen haben wir vergleichbare Initiativen gestartet. Für den europäischen Markt wäre eine EU-Initiative zu einem europäischen Lieferkettengesetz am besten.
Sie werben seit Jahren für ein stärkeres Engagement deutscher Unternehmer, auch des Mittelstands, auf dem afrikanischen Kontinent. Wie kommen Sie voran?
Afrika ist ein Wachstumskontinent mit enormer Nachfrage. Auch für deutsche Firmen gibt es große Chancen. Ich habe mit Freude bei meinem Besuch in Namibia am Hafen in Walvis-Bay die neuen Container-Krananlagen von Liebherr gesehen. Das zeigt: Deutsche Technik ist gefragt – gerade auch im Bereich der erneuerbaren Energie. Wir fördern dies mit einer besseren Risikoabsicherung und unserem Entwicklungsinvestitionsfonds, der den Markteintritt für deutsche Mittelständler erleichtert.
Wie dringend ist es, aktiv zu werden?
Die Chinesen investieren mit ihrer Seidenstraßeninitiative 60 Milliarden in Afrika. Alle 28 europäische Staaten zusammen sogar 70 Milliarden, aber kleinteilig und unkoordiniert. Wenn wir jetzt nicht Aufgaben bündeln, zum Beispiel bei einem Afrika-Kommissar der EU, und eine neue Afrika-Gesamtstrategie umsetzen, dann orientiert sich Afrika weiter in Richtung China.
Wie sehr hat es Sie enttäuscht, als in dieser Woche Ursula von der Leyen mitteilte, dass es auch weiterhin keinen EU-Kommissar für Afrika geben wird?
Überhaupt nicht, denn Kommissionspräsidentin von der Leyen hat die Idee eines Afrika-Kommissars ja aufgenommen. Und der neuen Kommissarin für internationale Partnerschaften die Aufgabe zugewiesen, bis nächstes Jahr eine ehrgeizige EUAfrika-Strategie vorzulegen. Sie ist sozusagen die europäische Telefonnummer für Afrika.
Bei den Haushaltsberatungen haben Sie gerade um 500 Millionen Euro mehr in Ihrem Haushalt gebeten. Warum?
Es geht um die Einhaltung der Zusage, bis 2020 den deutschen Beitrag für den internationalen Klimaschutz auf vier Milliarden Euro zu verdoppeln. Für nächstes Jahr fehlen noch 500 Millionen Euro. Die Mittel sind dringend erforderlich, um Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Bei mir im Allgäu läuft der Klimawandel so, dass ich herrliche Weintrauben an der Südseite meiner Garage habe. Das war vor zehn Jahren undenkbar. In der Sahelregion, Namibia oder Äthiopien führt der Klimawandel aber zu extremen Dürren. Die Menschen verlieren dort ihre Lebensgrundlagen. Schon jetzt gibt es in der Tschadsee-Region 20 Millionen Klimaflüchtlinge. Wenn wir konsequent auf Klimaschutz insbesondere in Afrika setzen, bekämpfen wir auch Hunger, Armut und verringern so Fluchtursachen.
Wie ist Ihre persönliche Halbzeitbilanz?
Wir haben enorm viel erreicht. Bei fairen Lieferketten, beim Regenwaldschutz. Den Haushalt konnten wir in meiner Amtszeit von 6,4 auf 10,2 Milliarden steigern. Darüber bin ich dankbar. Viel haben wir in die Überwindung von Fluchtursachen investiert. Leider ist die Syrienkrise größer und nicht kleiner geworden. Im neunten Kriegsjahr ist dort die humanitäre Lage so dramatisch wie nie. Ich verstehe den Hilferuf der Türkei, wo dreieinhalb Millionen Geflüchtete aus Syrien ausharren müssen. Hier müssen wir weiter helfen. Auch im Jemen. Alle zehn Minuten stirbt dort ein Kind an Unterernährung.
Und wie erfolgreich sind Sie mit Ihrem Engagement für Afrika?
Wir haben den Marshallplan mit Afrika vorangebracht und mit sechs Ländern eine feste Partnerschaft mit klaren Reformzielen vereinbart. Im Bereich Gesundheit haben wir den Kampf gegen Aids, Tuberkulose, Malaria und Polio verstärkt: Wir bündeln Gelder, nutzen die Größenvorteile, um für lebenswichtige Medikamente Rabatte auszuhandeln und schaffen Versorgungskette zur Verteilung bis in entlegene Dörfer. Bei Polio ist der Erfolg am greifbarsten. 1990 hatten wir 350 000 Poliofälle, letztes Jahr nur 33 – weltweit!