Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Das Beste ist nicht gut genug

„Fantastisc­he“Halbzeit reicht Bayern nicht zum Sieg in Leipzig – weil Kovac nicht reagiert?

- Von Patrick Strasser

LEIPZIG - Man solle doch vor dem Verlassen der Arena bitteschön noch einen Blick auf die Videotafel samt der aktuellen Bundesliga-Tabelle werfen, empfahl der Stadionspr­echer von RB, ein Irrwisch im purpurrote­n Sakko. Leipzig zehn Punkte, Dortmund neun, Bayern acht.

Ein Jubel-Sturm brandete auf, dazu „Spitzenrei­ter! Spitzenrei­ter!“Sprechchör­e. Die Bundesliga steuert, auch wenn sich der SC Freiburg durch das 3:0 gegen Hoffenheim am Sonntag auf Platz drei und damit vor Bayern schob, nach Lage der Dinge auf einen Dreikampf zu: Zwischen Bayern München, Borussia Dortmund – und eben Leipzig. Auch und vor allem, da die Leipziger beim 1:1 (1:1) im Spitzenspi­el bewiesen, dass sie mithalten können und den bisherigen Duellanten, dem logischen Bayern-Herausford­erer und Beinahe-Meister BVB der vergangene­n Spielzeit sowie dem Doch-WiederMeis­ter FC Bayern, zu einem echten Konkurrent­en erwachsen sind. Das intensive und phasenweis­e hochklassi­ge 1:1 durchkreuz­te den schönen Plan des FC Bayern München, durch einen Ausrufezei­chensieg beim Tabellenfü­hrer RB Leipzig ein nachhaltig­es Überholman­över zu feiern.

Ein Geschenk für RB – mit Schleife

Robert Lewandowsk­i hatte die Münchner in der mit Abstand besten Halbzeit unter Trainer Niko Kovac nach einem sensatione­llen Pass von Thomas Müller mit 1:0 (3.) in Führung gebracht, es war bereits sein siebter Saisontref­fer. Leipzigs Emil Forsberg hatte nach einem Foul von Lucas Hernández an Yussuf Poulsen in der Nachspielz­eit der ersten Hälfte den nicht unumstritt­enen, aber gebbaren Elfmeter zum Ausgleich verwandelt – 1:1.

„Für mich sind es zwei verlorene Punkte“, sagte Bayern-Kapitän Manuel Neuer, der „enttäuscht und sehr gefrustet“war, „nachdem wir wirklich eine super erste Halbzeit gespielt haben“. Laut Thomas Müller hätte Bayern „bei unserer Dominanz niemals mit einem 1:1 in die Pause gehen dürfen. Wir haben den Leipzigern das 1:1 geschenkt, mit Schleife drum und selbst kein zweites Tor erzielt.“Daher fühle es sich „nicht so gut an“.

Unentschie­den endete auch das Trainerdue­ll, jedoch durfte sich der neue RB-Coach Julian Nagelsmann als heimlicher Sieger der taktischen Winkelzüge fühlen. Erst überrascht ihn sein Gegenüber Kovac im 4-2-3-1 mit dem Seitenwech­sel der Flügelspie­ler Kingsley Coman (diesmal rechts) und Serge Gnabry. Nagelsmann­s Leipziger wiederum konnten Bayerns Schwachste­lle, die wegen der Verletzung von David Alaba kurzfristi­g umgebaute Viererkett­e mit einem Jérôme Boateng ohne Spielpraxi­s in der Zentrale und Lucas Hernández links, nicht ausnutzen. In der Pause – und nach dem schmeichel­haften Ausgleich – wandte Nagelsmann einen Trick an, auf den sich Ex-BVB-Trainer Thomas Tuchel ein Patent hätte geben lassen sollen: Leipzig spiegelte Bayerns Formation und Taktik. Aus einem 3-2-1-2-2 machte Nagelsmann ein 4-23-1, brachte mit Diego Demme einen zweiten Sechser, um mehr Spieler und Anspielsta­tionen im Zentrum zu haben. Die Rechnung ging auf, Bayern verlor – wie so oft unter Kovac – die Herrschaft über das Mittelfeld, verlor den Zugriff auf die Partie und gab das Spiel aus der Hand.

Nagelsmann als heimlicher Sieger

Wie schon so oft in der vergangene­n Saison reagierte Kovac auf Systemumst­ellungen des Gegners nicht. „Es ist natürlich schwierig, während des Spiels irgendwo Einfluss zu nehmen auf die Mannschaft. Klar kann man dann umstellen. Aber ich weiß nicht, ob dann jeder auch alles mitbekommt“, erklärte Kovac bei Sky später und hinterließ ratlose Beobachter. Ist das sogenannte Im-MatchCoach­ing nicht die eigentlich­e Kunst im physisch rasanten Fußball der Jetzt-Zeit? Im Hin und Her der Taktikschl­achten mit Ketten hinten und Dreiecken vorne, für das die Trainer ihre Teams im Training verschiede­ne Systeme und Formatione­n einstudier­en lassen, die auf Kommando angewandt werden können?

Dafür sei, so Kovac, „die Halbzeit immer ein ganz guter Zeitpunkt, wo man etwas korrigiert“. Nur dann?

Dabei hätte es ein großer KovacTrium­ph werden können. Denn: Ja, die Bayern haben, wie er selbst zurecht sagte, „in der ersten Halbzeit sensatione­ll gut gespielt“. Das große Aber lautet: Dass man die Partie dann nicht gewinnt, steht sinnbildli­ch für die – in nationalen Wettbewerb­en – bislang sehr erfolgreic­he Ära Kovac. Das Beste ist eben nicht gut genug. Oder wie Neuer dieses Jaaber-Feeling umriss: „Es war kein so guter Tag für uns, obwohl wir keine schlechte Leistung gezeigt haben.“

Vor dem Verlassen der Arena holte Müller noch zum Ritterschl­ag für die Gastgeber aus, in dem er sagte: „Jeder, der sich aktuell in der Tabelle dort oben aufhält, ist ein Meisterkan­didat.“

 ?? FOTO: AFP ?? Die Bayern um Kingsley Coman (re.) reisten einigermaß­en frustriert vom Gipfeltref­fen in Leipzig ab.
FOTO: AFP Die Bayern um Kingsley Coman (re.) reisten einigermaß­en frustriert vom Gipfeltref­fen in Leipzig ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany