Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Das Beste ist nicht gut genug
„Fantastische“Halbzeit reicht Bayern nicht zum Sieg in Leipzig – weil Kovac nicht reagiert?
LEIPZIG - Man solle doch vor dem Verlassen der Arena bitteschön noch einen Blick auf die Videotafel samt der aktuellen Bundesliga-Tabelle werfen, empfahl der Stadionsprecher von RB, ein Irrwisch im purpurroten Sakko. Leipzig zehn Punkte, Dortmund neun, Bayern acht.
Ein Jubel-Sturm brandete auf, dazu „Spitzenreiter! Spitzenreiter!“Sprechchöre. Die Bundesliga steuert, auch wenn sich der SC Freiburg durch das 3:0 gegen Hoffenheim am Sonntag auf Platz drei und damit vor Bayern schob, nach Lage der Dinge auf einen Dreikampf zu: Zwischen Bayern München, Borussia Dortmund – und eben Leipzig. Auch und vor allem, da die Leipziger beim 1:1 (1:1) im Spitzenspiel bewiesen, dass sie mithalten können und den bisherigen Duellanten, dem logischen Bayern-Herausforderer und Beinahe-Meister BVB der vergangenen Spielzeit sowie dem Doch-WiederMeister FC Bayern, zu einem echten Konkurrenten erwachsen sind. Das intensive und phasenweise hochklassige 1:1 durchkreuzte den schönen Plan des FC Bayern München, durch einen Ausrufezeichensieg beim Tabellenführer RB Leipzig ein nachhaltiges Überholmanöver zu feiern.
Ein Geschenk für RB – mit Schleife
Robert Lewandowski hatte die Münchner in der mit Abstand besten Halbzeit unter Trainer Niko Kovac nach einem sensationellen Pass von Thomas Müller mit 1:0 (3.) in Führung gebracht, es war bereits sein siebter Saisontreffer. Leipzigs Emil Forsberg hatte nach einem Foul von Lucas Hernández an Yussuf Poulsen in der Nachspielzeit der ersten Hälfte den nicht unumstrittenen, aber gebbaren Elfmeter zum Ausgleich verwandelt – 1:1.
„Für mich sind es zwei verlorene Punkte“, sagte Bayern-Kapitän Manuel Neuer, der „enttäuscht und sehr gefrustet“war, „nachdem wir wirklich eine super erste Halbzeit gespielt haben“. Laut Thomas Müller hätte Bayern „bei unserer Dominanz niemals mit einem 1:1 in die Pause gehen dürfen. Wir haben den Leipzigern das 1:1 geschenkt, mit Schleife drum und selbst kein zweites Tor erzielt.“Daher fühle es sich „nicht so gut an“.
Unentschieden endete auch das Trainerduell, jedoch durfte sich der neue RB-Coach Julian Nagelsmann als heimlicher Sieger der taktischen Winkelzüge fühlen. Erst überrascht ihn sein Gegenüber Kovac im 4-2-3-1 mit dem Seitenwechsel der Flügelspieler Kingsley Coman (diesmal rechts) und Serge Gnabry. Nagelsmanns Leipziger wiederum konnten Bayerns Schwachstelle, die wegen der Verletzung von David Alaba kurzfristig umgebaute Viererkette mit einem Jérôme Boateng ohne Spielpraxis in der Zentrale und Lucas Hernández links, nicht ausnutzen. In der Pause – und nach dem schmeichelhaften Ausgleich – wandte Nagelsmann einen Trick an, auf den sich Ex-BVB-Trainer Thomas Tuchel ein Patent hätte geben lassen sollen: Leipzig spiegelte Bayerns Formation und Taktik. Aus einem 3-2-1-2-2 machte Nagelsmann ein 4-23-1, brachte mit Diego Demme einen zweiten Sechser, um mehr Spieler und Anspielstationen im Zentrum zu haben. Die Rechnung ging auf, Bayern verlor – wie so oft unter Kovac – die Herrschaft über das Mittelfeld, verlor den Zugriff auf die Partie und gab das Spiel aus der Hand.
Nagelsmann als heimlicher Sieger
Wie schon so oft in der vergangenen Saison reagierte Kovac auf Systemumstellungen des Gegners nicht. „Es ist natürlich schwierig, während des Spiels irgendwo Einfluss zu nehmen auf die Mannschaft. Klar kann man dann umstellen. Aber ich weiß nicht, ob dann jeder auch alles mitbekommt“, erklärte Kovac bei Sky später und hinterließ ratlose Beobachter. Ist das sogenannte Im-MatchCoaching nicht die eigentliche Kunst im physisch rasanten Fußball der Jetzt-Zeit? Im Hin und Her der Taktikschlachten mit Ketten hinten und Dreiecken vorne, für das die Trainer ihre Teams im Training verschiedene Systeme und Formationen einstudieren lassen, die auf Kommando angewandt werden können?
Dafür sei, so Kovac, „die Halbzeit immer ein ganz guter Zeitpunkt, wo man etwas korrigiert“. Nur dann?
Dabei hätte es ein großer KovacTriumph werden können. Denn: Ja, die Bayern haben, wie er selbst zurecht sagte, „in der ersten Halbzeit sensationell gut gespielt“. Das große Aber lautet: Dass man die Partie dann nicht gewinnt, steht sinnbildlich für die – in nationalen Wettbewerben – bislang sehr erfolgreiche Ära Kovac. Das Beste ist eben nicht gut genug. Oder wie Neuer dieses Jaaber-Feeling umriss: „Es war kein so guter Tag für uns, obwohl wir keine schlechte Leistung gezeigt haben.“
Vor dem Verlassen der Arena holte Müller noch zum Ritterschlag für die Gastgeber aus, in dem er sagte: „Jeder, der sich aktuell in der Tabelle dort oben aufhält, ist ein Meisterkandidat.“