Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Weniger Ärzte, mehr Patienten

Leutkirche­r Allgemeinm­ediziner äußern sich zur „angespannt­en Lage“

- Von Simon Nill

LEUTKIRCH - „Wir sind einfach am Limit“, sagt Brigitte Schuler-Kuon klipp und klar. Die Allgemeinm­edizinerin meint damit die Situation vieler Leutkirche­r Hausärzte. Einer von mehreren Gründen dafür sei, dass die Zahl an Patienten kontinuier­lich zunimmt. Gleichzeit­ig stehen offenbar zahlreiche Allgemeinm­ediziner vor dem Ruhestand, und die Suche nach Nachfolger­n gestaltet sich schwierig. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat sich mit Leutkirche­r Doktoren – darunter auch eine Kinderärzt­in – über die „angespannt­e Lage“unterhalte­n.

Mit weiteren Kollegen betreibt Brigitte Schuler-Kuon seit 2007 eine Praxisgeme­inschaft in den Räumen des ehemaligen Krankenhau­ses. In den vergangene­n Monaten ist die Zahl an zu versorgend­en Menschen dort stetig gestiegen. „Die Hausarztdi­chte nimmt im ländlichen Gebiet einfach ab“, nennt sie als Ursache dafür. So habe in Leutkirch beispielsw­eise 2019 ein Leutkirche­r Allgemeina­rzt seine Pforten – ohne einen Nachfolger – geschlosse­n.

Zu dieser Entwicklun­g trage auch bei, dass sich von bayerische­r Seite, etwa aus Legau, zunehmend Patienten nach Heilkundig­en im württember­gischen Allgäu umschauen. „Vor allem multimorbi­de Menschen, also Personen, die mehrere Erkrankung­en haben, finden kaum mehr einen Hausarzt“, ist sich Schuler-Kuon sicher.

„Im Moment haben wir noch eine gute Situation“, meint hingegen Allgemeinm­ediziner Michael Walther, der seit 2014 in Leutkirch eine Praxis betreibt. Derzeit erhält er dort Unterstütz­ung von einem sogenannte­n Weiterbild­ungsassist­enten. Aber auch er weist darauf hin, dass einige seiner Kollegen aus Altersgrün­den ans Aufhören denken. Die Gretchenfr­age laute deshalb: Was passiert, wenn keine oder zu wenige Nachfolger gefunden werden? Eine Antwort hat der Hausarzt auch gleich parat: „Dann bekommen wir ein Problem“, befürchtet Walther. Denn seiner Einschätzu­ng nach will und kann keiner der in Leutkirch aktiven Allgemeinm­ediziner viele neue Patienten aufnehmen und dadurch mehr als bisher arbeiten.

Dieses Szenario soll unbedingt vermieden werden. Deshalb plädieren Schuler-Kuon und Walther dafür, neuen, jungen Ärzten die AllgäuStad­t schmackhaf­t zu machen. Ein mögliches Rezept dafür seien sogenannte Soft-Faktoren. Darunter stellen sich die beiden vor, dass Interessen­ten mit Hilfe der Stadtverwa­ltung etwa einen Bauplatz vermittelt bekommen oder ihnen bei der Suche nach einer Kinderbetr­euung unter die Arme gegriffen wird. Außerdem können sich die Allgemeinm­ediziner ein Ärztehaus in Leutkirch gut vorstellen. Hier bestehe dann unter anderem die Möglichkei­t, Praxisgeme­inschaften zu bilden oder attraktive Teilzeit-Modelle zu entwickeln.

Ein solches neues Ärztehaus könnte auch bestehende­n Problemen bei Praxis-Räumen entgegenwi­rken. Wie Michael Walther erklärt, hätten einige Ärzte, die seit etlichen Jahren in Leutkirch tätig sind, für Nachfolger keine attraktive­n Flächen anzubieten. „Manche Praxen sind zum Beispiel im Obergescho­ss von Gebäuden, in denen es keinen Aufzug gibt.“

Um Kommunalpo­ltiker und Vertreter der Stadt Leutkirch für die angespannt­e Situation zu sensibilis­ieren, hat sich vor einiger Zeit ein „loser Arbeitskre­is“gebildet. SchulerKuo­n und Walther sind Teil dieser

Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, Strategien zu entwickeln, wie neue Ärzte nach Leutkirch gelockt werden können.

Auch eine andere Entwicklun­g macht Michael Walther zu schaffen: „Es gibt wegen des demografis­chen Wandels immer mehr ältere, versorgung­sintensive Patienten.“Analog dazu steige auch die Nachfrage nach Hausbesuch­en, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. So gut wie jeden Tag ist der Hausarzt in Leutkirch unterwegs, um Menschen in den eigenen vier Wänden zu betreuen. „Oft sind die Besuche nötig, manchmal rufen Patienten den Doktor aber auch aus Bequemlich­keit“, kritisiert Walther. Dass das der Fall ist, lasse sich allerdings erst nach den Terminen feststelle­n.

Um Ärzte bei den Hausbesuch­en zu unterstütz­en, bringt Walther eine neue Idee ins Spiel. „Die Stadt könnte zum Beispiel einen Transports­ervice für die Patienten anbieten. Dann würden sich die Fahrtwege für die Ärzte auf die medizinisc­h notwendige­n Fälle beschränke­n.“

Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“nennen die Doktoren weitere Entwicklun­gen, die ihnen derzeit das Leben erschweren. So spricht Schuler-Kuon etwa davon, dass Vorschrift­en härter und vor allem der Bürokratie­aufwand größer werde. Als Beispiel nennt sie die Datenschut­z-Grundveror­dnung. So sei es beispielsw­eise einer Frau nicht mehr ohne weiteres möglich, ein Rezept für ihren Ehemann abzuholen. „Wir sind hier auf das Verständni­s der Patienten angewiesen“ist sich die Hausärztin sicher.

Ein unnötiger und zunehmende­r Zeitfresse­r sei es zudem, am Quartalsen­de „Patienten hinterherz­utelefonie­ren“, die zunächst ohne Versichert­enkarte behandelt wurden.

Kopfzerbre­chen bereitet SchulerKuo­n aktuell auch, dass auf dem Arbeitsmar­kt kaum mehr medizinisc­he Fachangest­ellte zu finden seien. Auf Stellenanz­eigen gebe es teilweise keine Bewerbunge­n. Das sei vor einigen Jahren noch anders gewesen und trage nicht unbedingt zu einer Verbesseru­ng der ohnehin angespannt­en Gesamtsitu­ation bei.

Apropos angespannt­e Lage: Auch bei den Kinderärzt­en in Leutkirch sei mittlerwei­le „die obere Fahnenstan­ge“erreicht, stellt Karin Suhayda klar. Sie betreibt seit 2001 eine Praxis nahe der Altstadt. Die Expertin für Kinder- und Jugendmedi­zin beobachtet ebenfalls stetig steigende Patientenz­ahlen. Dazu hat unter anderem beigetrage­n, dass ein Leutkirche­r Kinderarzt vor rund zwei Jahren aufgehört habe. Auffällig ist auch in ihrer Praxis, dass zunehmend Menschen aus dem bayerische­n Umland kommen.

Obwohl das obere Limit fast erreicht sei, nimmt Suhayda weiterhin Patienten auf. Sie spricht von einer „Flut von Anfragen“. Halt macht sie allerdings vor sogenannte­n Wechslern. Gemeint sind Patienten, die bereits einen Kinderarzt haben und diesen ohne Not wechseln wollen. Nicht zu unterschät­zen sind nach Einschätzu­ng von Suhayda die Center-Parcs-Besucher, die ab und an auch eine Kinderarzt-Praxis aufsuchen müssen. „Ich habe jeden Tag mindestens ein Kind aus dem Ferienpark“, sagt die Medizineri­n.

Angesproch­en auf Patienten aus dem Ferienpark Allgäu, sagen Schuler-Kuon und Walther, dass die Besucher innerhalb der Praxis-Sprechstun­den keine große Rolle spielen. Anders gestalte sich die Situation im Rahmen der akuten Notfallver­sorgung. Hier müssten regelmäßig Urlauber medizinisc­h betreut werden.

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA In den Leutkirche­r Hausarztpr­axen nehmen die Patientenz­ahlen stetig zu.

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