Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Manchmal fehlt mir die letzte Konsequenz“
Alexander Jäger über den Nachwuchs und Eishockey in Ravensburg, Deutschland und der Champions League
RAVENSBURG - Der berufliche Saisonhöhepunkt von Alexander Jäger fand noch statt. Am 4. Februar genoss der Ravensburger das Finale der diesjährigen Champions Hockey League (CHL) vor ausverkauftem Haus im tschechischen Hradec Králové zwischen Rekordsieger Frölunda Indians aus Schweden und Gastgeber Mountfield HK. Der Titelverteidiger aus Göteborg gewann mit 3:1. Dann kam das Coronavirus und der Zwangsstillstand im europäischen Eishockey. Thorsten Kern hat mit dem CHL-Sportdirektor Alexander Jäger über die momentane Situation und die Zukunft gesprochen.
Herr Jäger, wie fühlen Sie sich, wenn Sie jetzt eigentlich Play-offEishockey schauen könnten und in Ruhe über die abgelaufene Champions League sowie die neue Saison nachdenken könnten?
Es ist schon komisch, weil es in einer Zeit, die vermeintlich ruhiger gewesen wäre, plötzlich mehr und mehr zu tun gab. Das Coronavirus hat die Sportwelt auf den Kopf gestellt. Aus Sicht der CHL können wir uns noch glücklich schätzen, dass wir die Saison zu Ende spielen konnten. Wir hatten ein ausverkauftes Stadion, eine tolle Atmosphäre, das war eine tolle Sache und hat uns noch mal gezeigt: Wir haben ein gutes Produkt.
Eines, das anfangs durchaus kritisch gesehen wurde ...
Ja, in der Gründungszeit war es sicher schwierig. 2012 haben die großen Clubs gesagt, dass sie einen europäischen Wettbewerb bräuchten, zwei Jahre später wurde die CHL dann gestartet. Man war es im europäischen Eishockey aber nicht gewohnt, wirklich europäisch zu spielen wie in anderen Sportarten. Da gab es natürlich Themen, die nicht so einfach waren, etwa die sportliche Qualifikation. Im Rückblick können wir aber sagen: Wäre es damals nicht probiert worden, hätte es wohl nie solch einen Wettbewerb gegeben.
Sie sind seit mehr als vier Jahren bei der CHL, wie fällt Ihr Fazit aus?
Man sieht das konstante Wachstum in Europa. Die Zahlen bestätigen uns, dass das Interesse an der Champions Hockey League steigt. Ich bin sehr glücklich bei der CHL. Ich weiß, dass ich das Glück habe, mit erfolgreichen Vereinen arbeiten zu dürfen. Dazu kann ich mein Netzwerk ausbauen. Es ist einfach ein toller Job.
Sie waren Sportlicher Leiter bei den Ravensburg Towerstars, haben auch für die Schwenninger Wild Wings gearbeitet. Haben Sie keine Ambitionen, noch mal einen Verein zu übernehmen?
Derzeit nicht, aber man kann es nicht ausschließen, die Champions Hockey League liegt mir aber sehr am Herzen.
Wie Tausende andere Arbeiter müssen Sie derzeit von zu Hause aus arbeiten. Was stehen denn für Entscheidungen für die nächste CHL-Saison an?
Die wichtigste Frage derzeit ist die nach der Qualifikation. Alle Ligen in Europa haben die Saison nicht zu Ende gespielt. Die meisten Ligen haben es aber geschafft, die Hauptrunde zu beenden, dadurch konnten wir aus sportlichen Gesichtspunkten die Teams für die neue CHL-Saison finden. Stand jetzt fehlen uns nur noch die Teilnehmer aus der Slowakei.
Wer darf denn aus Deutschland starten?
RB München, die Straubing Tigers, die Adler Mannheim und die Eisbären Berlin. Vor allem über Straubing – ich habe deren erste Schritte in der Deutschen Eishockey Liga ja mitgestaltet – freue ich mich sehr, weil es wie Augsburg wieder eine Überraschungsmannschaft geschafft hat.
Aber wann die Saison starten kann, ist weiter ungewiss, oder?
Keiner kann derzeit sagen, wann es im Sport generell wieder losgehen kann. Wir planen erst mal ganz normal weiter, was einen Saisonstart am 3. September vorsieht. Dabei müssen wir aber verschiedene Szenarien berücksichtigen. Etwa, wenn einige oder alle Ligen nicht rechtzeitig mit der neuen Saison anfangen können, oder wenn Teams nach der CoronaKrise wirtschaftliche Probleme bekommen sollten. Das wollen wir aber nicht hoffen.
Wenn wir auf Ihre Heimat und Ihren Heimatverein blicken: Wie intensiv verfolgen Sie den EV Ravensburg und die Towerstars?
Ich verfolge natürlich, wie die Towerstars spielen. Ich versuche auch, ins Stadion zu gehen. Meine Eltern sind begeisterte Towerstars-Anhänger und Dauerkarteninhaber. Da mein ältester Sohn (Jon Jäger, Anm. der Red.) in der U20 des EVR und auch in der Oberligamannschaft in Lindau gespielt hat, verfolge ich auch da die Ergebnisse. Ich werde sogar hin und wieder von Spielern nach Rat gefragt, das freut mich sehr. Aber ich sage immer dazu, dass ich das alles nur von außen betrachte.
Von Außen betrachtet: Was sagen Sie zum EVR und speziell zur U20 von Trainer Jan Benda, in dessen Mannschaft Ihr Sohn spielt?
Ich glaube, dass beim EVR viel Engagement dahintersteckt. Sie machen, was möglich ist. Und das oftmals auf Ehrenamtsbasis, was sicher kein Zukunftsmodell ist. Da steckt schon viel Arbeit drin.
Könnte ein Ravensburger Nachwuchsspieler, etwa Ihr Sohn, in naher Zukunft Stammspieler bei den Towerstars sein?
In Deutschland ist der Sprung aus dem Nachwuchs in den Profibereich nicht einfach. Da hab ich – nicht nur bei den Towerstars – von außen gesehen immer mal das Gefühl, dass die letzte Konsequenz fehlt. Wir haben in Deutschland viele gute junge Spieler, auch beim EVR. Ihnen muss man das Vertrauen geben, Geduld haben, man muss intensiv mit ihnen arbeiten. Da ist es natürlich oft leichter, einen gestandenen Spieler von einem anderen Club zu holen. Aber: Ich betrachte das nur von außen, da hat man nicht immer das ganze Bild.
Sie haben durch die CHL-Spiele auch den europäischen Vergleich. Wie sieht es in anderen Ligen aus?
Das beste Beispiel sind für mich die Schweden. In der ersten Liga gibt es keine Ausländerbegrenzung, aber viele Vereine spielen dennoch nur mit zwei oder drei Ausländern. Viele Clubs sind stolz darauf, mit eigenen Spielern anzutreten. Das fehlt uns. Etwas salopp: Bei uns sagt der Trainer, was der Spieler tun soll. In Schweden fragt sich der Trainer, wie er den Spieler besser machen kann. Es ist toll, was ein kleines Land wie Schweden schafft. Sie hatten in der vergangenen Saison 86 Spieler in der NHL. 86! Ähnlich sieht es in Finnland aus. Das sind Paradebeispiele, ein Vergleich ist immer schwierig.
Aber auch in Deutschland gab es Veränderungen ...
Das deutsche Eishockey hat in den vergangenen fünf, sechs Jahren eine große Wendung genommen. Wegen Olympia, wegen den Bundestrainern Marco Sturm und Toni Söderholm, die auf den Nachwuchs gesetzt haben und setzen. Vor ein paar Jahren war ein DEL-Club der Meinung, Leon Draisaitl sei nicht gut genug, um ins Training eingeladen werden zu können. Das würde heute nicht mehr passieren, da sind die Clubs professioneller aufgestellt. In Ravensburg war Marko Friedrich ein gutes Beispiel. Landshut wollte ihn nicht, er kam nur zu den Towerstars, weil sein Cousin Lukas Slavetinsky mich gebeten hatte, Marko unter Vertrag zu nehmen. Ohne Slavetinsky würde er jetzt vielleicht nur Oberliga statt DEL spielen. Ich frage mich manchmal, wo die ganzen guten Spieler aus der Deutschen Nachwuchsliga hin sind. Der Weg nach oben ist für Spieler aufgrund des fehlenden Vertrauens und der Arbeit für die Clubs mühsam.