Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Jede Ablenkung hilft den Leuten“
Ex-Nationalspieler Didi Hamann über den Neustart der Bundesliga und warum er auf Kai Havertz schwört
MÜNCHEN - Mit dem FC Liverpool gewann er die Champions League, beim FC Bayern feierte er zahllose Titel und wurde zum Nationalspieler (59 Partien). Inzwischen ist Dietmar Hamann (46) Experte beim TV-Sender Sky. Mit Patrick Strasser sprach der Bayer über die Probleme des Profifußballs durch die Corona-Krise und die Personalien der Münchner.
Herr Hamann, die Vereine der Bundesliga drängen, die Politik zögert noch. Ist es denn angesichts der Corona-Pandemie wirklich ein Muss, dass die Saison auf Biegen und Brechen mit Geisterspielen noch zu Ende gebracht wird?
Nein, abgesehen von der Gesundheit steht alles andere erst einmal hinten an. Allerdings geht es um die Existenz von 15 bis 20 der 36 Profivereine in Liga eins und zwei, zudem sichert der Spielbetrieb rund 50 000 bis 60 000 Arbeitsplätze, der Staat profitiert durch enorme Steuer-Einnahmen. Ich hoffe, dass man – immer vorausgesetzt, es ist medizinisch vertretbar – Mitte Mai wieder beginnen kann.
Würde sich der Fußball nicht über die Gemeinschaft erhöhen, weil dann andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens noch eingeschränkt sind?
Wie gesagt, die Rahmenbedingungen müssen stimmen, jedes Risiko auf ein Mindestmaß begrenzt sein. Aber generell gilt: Jede Ablenkung hilft den Leuten. Selbst mit Geisterspielen, die wohl aktuell ein Großteil der Fans in Kauf nehmen würde.
Wie herrlich wäre es doch, wenn man am Wochenende wieder über merkwürdige Entscheidungen des Video-Schiedsrichters streiten könnte statt über Schul- und KitaÖffnungen debattieren.
So ist es. Mit zwei bis drei englischen Wochen müsste man bis Ende Juni hinkommen, im Juli, August könnte dann bestenfalls der Europacup beendet werden, in welchem Format auch immer. Not macht erfinderisch.
Die Liga im Schnelldurchlauf – und auf Crashkurs im physischen Sinne? Sportärzte und Physiotherapeuten warnen bereits vor Verletzungen durch Überlastung nach der langen Trainingspause ohne Zweikämpfe.
Ach, das sind alles fitte Jungs im besten Alter, die stehen voll im Saft. Und wir haben nun mal eine Sondersituation, da muss man dann eben auch dreimal pro Woche spielen können. Natürlich ist es nicht einfach, die Wettkampfhärte fehlt seit längerer Zeit. Aber wenn man im Mai wieder anfangen dürfte, mit Körperkontakt zu trainieren, müssten zwei Wochen Vorbereitung reichen. Ich sehe ein anderes Problem.
Welches denn?
Die psychologische Seite. Vielleicht hat der eine oder andere Spieler doch eine gewisse Hemmschwelle vor den Zweikämpfen, weil er sich nicht anstecken will. Aber man will ja die Hygienesituation und die Testkapazitäten bestmöglich vorbereiten.
Was ist mit der Isolation der Mannschaften? Die Spieler müssten sechs Wochen in eine Art Hotel-Quarantäne gehen.
Natürlich wäre das eine lange, zähe Zeit. Aber auch nicht anders als bei einer WM oder EM inklusive Vorbereitung. Die Ehefrauen, Freundinnen und Kinder sind eigentlich das Rückzugsgebiet der Profis, sorgen für die innere Balance der Spieler. Das fiele dann weg. Aber im Vergleich zu dem, was viele Bürger momentan mitmachen, ist das ein kleines Übel.
In der Premier League ist die Aussicht auf Geisterspiele noch nicht vorhanden ...
Dort hat die Regierung viel zu zögerlich auf die Verbreitung des Virus reagiert, wie in den USA. Wir in Deutschland sind in sehr guten Händen, wenn ich mir Statements der Regierungschefs dieser beiden Staaten anschaue. Außerdem hat die Bundesliga schnell an einem Strang gezogen, die Solidarität untereinander ist da. Wenn jemand noch nicht realisiert hat, wie stabil und größtenteils gut aufgestellt die Vereine hierzulande sind, dann jetzt. Als es in England um Gehaltsverzicht der Spieler ging, bekam man den Eindruck, dass es nur noch um Kommerz geht. Da sind moralische Werte verlorengegangen. Allerdings ist das System ein anderes: Die Vereine gehören großen Investoren. Viele Profis haben lieber direkt an das nationale Gesundheitssystem gespendet, wollten nicht dem Investor Geld schenken.
Zum FC Bayern: Pokert Nationaltorhüter Manuel Neuer nicht ein bisschen zu hoch, was seine Vertragsverlängerung betrifft – in Sachen Gehalt und Laufzeit?
Manuel weiß, was er an Bayern hat. Aber er ist in einer sehr guten Verhandlungsposition. Wenn Bayern ihm nicht bietet, was er sich vorstellt und er verärgert ist, weil man Neuzugang Alexander Nübel eben doch eine gewisse Anzahl an Einsätzen in Aussicht gestellt hat, dann geht er halt woanders hin – vielleicht sogar schon diesen Sommer. Der FC Chelsea würde Neuer sicher nehmen. Wenn solch ein Weltklasse-Torhüter plötzlich auf dem Markt wäre, würden noch ganz andere Vereine Interesse zeigen, da bin ich mir sicher. Er ist ein herausragender Torhüter, kann sicher noch zwei, drei Jahre auf höchstem Niveau spielen. Ich würde ihm keine vier Jahre mehr geben. Am wahrscheinlichsten ist für mich, dass man sich auf einen neuen Dreijahresvertrag einigt.
Die Bayern bemühen sich wellenförmig um Leroy Sané, Kai Havertz und Timo Werner – mal intensiver, mal weniger intensiv. Was glauben Sie? Wen verpflichtet Bayern?
Bei Werner wüsste ich nicht, auf welcher Position er spielen soll. Auf der Außenbahn sehe ich ihn nicht, eher im Zentrum wie bei RB Leipzig. Aber nicht hinter Robert Lewandowski, das ist nicht seine Rolle. Werner braucht Raum für sein Spiel, für seine Schnelligkeit, muss hinter die Kette kommen. Und als reiner Back-up für Lewandowski wäre er zu teuer. Sanés Qualitäten als Flügelspieler stehen außer Frage, die sind außergewöhnlich. Aber man weiß eben nicht, wie er nach seiner schweren Verletzung (Kreuzbandriss) zurückkehrt. Stutzig macht mich außerdem, dass Manchester Citys Trainer Pep Guardiola ihn nicht auf Teufel komm raus behalten will. Am Ende ist es für mich bei Sané eine Frage des Preises.
Bliebe Leverkusens Havertz ...
Mit seinen erst 20 Jahren ist er ein beinahe kompletter Spieler mit tollen Anlagen. Er übernimmt Verantwortung, tritt bodenständig auf, hat aber auch schon eine unterschwellige Arroganz in seinem Auftreten – und das braucht man bei Bayern. Ich würde Havertz mit der Schubkarre nach München bringen.