Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Im Netz statt auf der Straße
Fridays for Future protestiert erstmals virtuell für Klimaschutz – Livestream erreicht zwischenzeitlich fast 20 000 Menschen
BERLIN (AFP/dpa) - Tausende Protestplakate auf einer Wiese vor dem Reichstag, unzählige Tweets in den sozialen Netzwerken und Live-Streams mit Aktivisten oder Prominenten: Wegen der Corona-Krise hat die Klimabewegung Fridays for Future am Freitag erstmals bundesweit einen virtuellen Netzstreik für mehr Klimaschutz organisiert. Begleitet wurde der digitale Streik der Bewegung von Forderungen nach einer Kopplung staatlicher Corona-Hilfen für Unternehmen an ökologische Kriterien und dem Aufruf, die Klimaerwärmung mit der gleichen großen Entschlossenheit zu bekämpfen wie die Corona-Pandemie. Auch diese bedrohe die Zukunft der Welt, hieß es im deutschen Aufruf zu den Protesten, die Teil eines neuerlichen globalen Aktionstags für mehr Klimaund Umweltschutz waren.
Die höchst unterschiedliche Konsequenz im Umgang mit den beiden Problemen durch die Politik mache gerade sehr deutlich, dass der Klimawandel bislang noch „nicht wie eine Krise behandelt wird“, sagte die führende Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer am Freitag im offiziellen Livestream der Organisatoren.
Es fehle der politische Wille, wie Klimaschützer schon länger bemängelten.
Wegen der Infektionsgefahr und der bundesweit geltenden Kontaktund Versammlungsverbote setzte die vor allem von jungen Leuten getragene
In Biberach, in Aulendorf, auf der Ostalb: Im vergangenen Jahr waren die Fridays-forFuture-Proteste omnipräsent. Nicht jeder war von der wöchentlichen Schulschwänz-Aktion begeistert, doch den Schülern gelang damit Bemerkenswertes: Sie wurden gehört, bestimmten die Schlagzeilen, katapultierten den Klimaschutz in die politischen Debatten.
Dann kam die Corona-Krise und stahl ihnen die Show. Laut einer Bewegung am Freitag auf neue digitale Protestformen. So waren die landesweit verstreuten Ortsgruppen sowie Unterstützer zuvor aufgerufen worden, Plakate symbolisch in ihrem persönlichen Umfeld aufzustellen und aktuelle Fotos davon ins Netz zu stellen. Außerdem platzierten die Aktivisten bei einer zentralen Aktion tausende zuvor eingesammelte Transparente aus ganz Deutschland vor dem Reichstag in Berlin, um die sonst üblichen Protestzüge zu ersetzen. Viele tausend
Zuschauer verfolgten außerdem den Livestream zum Streik mit Wissenschaftlern und prominenten Unterstützern wie der durch Fernsehauftritte bekannte Mediziner Eckart von Hirschhausen oder die Musiker Bosse, Clueso und Lena Meyer-Landrut. Die Zuschauerzahl erreichte zwischenzeitlich fast 20 000. Anfängliche technische Probleme nahmen die Organisatoren mit Selbstironie. Ihr Livestream laufe „immer noch besser als die Klimapolitik der Großen Koalition“, blendeten sie stattdessen ein.
Unterstützung erhielten die Schüler aus der Politik, vor allem von Linken und Grünen. Der badenwürttembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hält es für nicht verwunderlich, dass der Klimawandel derzeit in den Hintergrund rückt: „Corona ist das alles beherrschende Thema im Moment, das ist nachvollziehbar und richtig so“, hatte Untersteller am Donnerstag gesagt. Fridays for Future habe aber dazu beigetragen, dass das Thema Klimaschutz in allen Gesellschaftsschichten wahrgenommen wird. Jetzt müsse man jedoch auch an die Zeit nach der Krise denken.