Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
VW droht eine Niederlage vor dem BGH
Der Wolfsburger Autobauer muss sich nach der Verhandlung wohl auf weitere Zahlungen für Dieselskandal-Geschädigte einstellen
KARLSRUHE/BERLIN - Tausende Autobesitzer, die wegen des Abgasskandals auf eine Rückabwicklung ihres Kaufvertrags für einen VWDiesel klagen, können auf einen Sieg vor Gericht hoffen. Erstmals befasste sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage, ob sie von Volkswagen getäuscht worden sind und dadurch einen Schaden erlitten haben. Dann könnten sie den Kauf rückgängig machen und den Kaufpreis zurückverlangen. Volkswagen bestritt bisher jedwede Schädigung der Kunden, weil sie mit dem Fahrzeug uneingeschränkt fahren konnten. An dieser Darstellung zweifeln die Richter in dieser ersten Verhandlung vor dem höchsten Gericht. Ein Urteil wird jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt verkündet. Bis dahin wird der BGH noch weitere Fälle in Zusammenhang mit Dieselgate verhandeln.
Geklagt hatte der Besitzer eines VW Sharan 2.0 TDI match, den er bei einem Händler 2014 für 31 490 Euro erworben hatte. Er fühlt sich von VW getäuscht und betrogen. Das Verfahren steht nun stellvertretend für Tausende
andere zur Entscheidung an. Außerdem geht es dabei noch um zwei weitere wichtige Fragen. So hat die Vorinstanz entschieden, dass VW das Auto zurücknehmen und den Kaufpreis erstatten muss. Vom Anspruch zog das Gericht aber eine Nutzungsentschädigung ab. Statt des Kaufpreises legten die Richter eine Zahlung von 25 616,10 Euro fest. Dazu muss das Unternehmen den Betrag seit Kauf verzinsen. Über Zins und Nutzungsentgelt entscheidet der BGH auch noch.
Während VW weiterhin keinen Schaden für die Kunden erkennen kann, sieht sich der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) bestätigt. Es sei erfreulich, dass der BGH einen Schadenersatzanspruch gegen VW bejaht, twitterte vzbv-Chef Klaus Müller. Die konkrete Zahlung hänge dann vom Einzelfall ab. Der Verband hatte erst vor wenigen Wochen für rund 260 000 VW-Kunden einen Vergleich mit Volkswagen vereinbart. Dieser sah Einmalzahlungen zwischen gut 1300 und 6300 Euro für die Kunden vor. Es war die erste Sammelklage in Deutschland. Gut 90 Prozent der Mitkläger haben den
Vergleich angenommen. Sie sind von dem noch ausstehenden Urteil nicht mehr betroffen.
Zwischen der Entschädigung im Vergleich und der Summe, um die es vor dem BGH geht, besteht eine beträchtliche Lücke. Sie erklärt sich aus dem recht hohen Kaufpreis und dem Alter des Fahrzeugs. In der Musterfeststellungsklage ging es um Fahrzeuge mit einem durchschnittlichen Kaufpreis von rund 23 000 Euro. Abzüglich eines Alters- und Nutzungsabschlags wäre für viele Kläger vermutlich nicht sehr viel mehr herausgekommen, als der Vergleich vorsieht. Vor allem für die Besitzer teurer Autos lohnte sich die individuelle Klage. VW muss sich nach der BGH-Verhandlung nun wohl auf weitere Zahlungen für den Dieselskandal vorbereiten.
Zeitgleich zur Verhandlung in Karlsruhe schalteten sich die Chefs der Autoindustrie, ihres Verbandes und der IG Metall mit der Bundeskanzlerin zum Autogipfel zusammen. Die Branche pocht vehement auf eine staatliche Kaufprämie, mit der die Absatzkrise durch Corona bewältigt werden soll. Doch entschieden wurde beim Autogipfel noch nichts. Finanzminister Olaf Scholz hatte schon im Vorfeld klargestellt, dass darüber erst im Rahmen des geplanten Konjunkturprogramms Anfang Juni entschieden wird.