Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Schlüsselbranche unter Schock
Die Maschinenbauer im Südwesten kämpfen mit den Corona-Folgen und rechnen mit Jobverlusten
DITZINGEN/RAVENSBURG - Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es ist! Das Zitat, das auf den deutschen Humoristen Karl Valentin zurückgeht, und das der Chef des baden-württembergischen Maschinenbauverbandes VDMA, Mathias Kammüller, am Dienstag adaptierte, beschreibt ziemlich genau die aktuelle Situation der Schlüsselbranche im Südwesten. Die Firmen, die im vergangenen Jahr 83 Milliarden Euro mit Maschinen und Anlagen erlöst haben und mit mehr als 330 000 Mitarbeitern die höchste Zahl an Industriearbeitsplätzen im Land stellen, kämpfen auf breiter Front mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie.
„Die Corona-Krise ist ein heftiger Schock für den Maschinenbau mit bisher unabsehbaren Folgen. Unsere Mitgliedsunternehmen berichten von Umsatzeinbrüchen zwischen zehn und dreißig Prozent“, sagte Kammüller, der neben seiner Position im Verband auch Mitglied der Gruppengeschäftsführung des Ditzinger Laserspezialisten Trumpf ist und die Probleme der Branche hautnah miterlebt. Zusammen mit VDMA-Geschäftsführer Dietrich Birk zog Kammüller per Videoschalte aus den Trumpf-Räumlichkeiten eine erste Corona-Bilanz.
Die fiel – nicht überraschend – ziemlich düster aus. Zumal die Branche infolge der Schieflage im Automobilsektor, von dem die Maschinenund Anlagenbauer im Südwesten in besonderem Maße abhängen, sowie globaler Handelskonflikte schon vorher unter Druck stand:
Der Umsatz sank
2019 gegenüber dem Vorjahr um drei Prozent, der Auftragseingang brach gar um 13
Prozent ein, und der Jobmotor, als der sich der Maschinenbau in der vergangenen Dekade erwies, kam ins Stottern. Und nun auch noch Corona.
Einer Blitzumfrage des VDMA Baden-Württemberg bei 3100 Entscheidern aus der Branche zufolge sind neun von zehn Unternehmen negativ durch die Corona-Pandemie betroffen. „Abgesagte Kaufentscheidungen, aufgeschobene Investitionsvorhaben – vor allem die Nachfrageseite bereitet den Firmen aktuell große Sorgen“, erklärte Kammüller.
Lichtblicke gebe es allenfalls bei Unternehmen, deren Kunden aus der Medizin- und Textiltechnik kommen sowie im Bereich Elektromobilität, wo bisher keine Abstriche bei den Investitionsentscheidungen gemacht wurden. Darüber hinaus würden die erlassenen Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen und zunehmend auch Liquiditätsengpässe aufs Geschäft durchschlagen.
Kammüller berichtete von Servicetechnikern, die für die Wartung von Anlagen in Südkorea erst einmal zwei Wochen in Quarantäne geschickt wurden und nach dem Abarbeiten des Auftrags das gleiche Prozedere noch einmal im Heimatland erdulden mussten.
Vor diesem Hintergrund hätten in den vergangenen Wochen fast 90 Prozent der Maschinen- und Anlagenbauer im Südwesten ihre Kapazitäten heruntergefahren. Noch würden die Firmen versuchen, mit dem Abbau von Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit über die Runden zu kommen, sagte VDMA-Geschäftsführer Birk, „um die Stammbelegschaft zu halten“. So hätten die Firmen im April für 97 000 Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt – Tendenz weiter steigend. Gleichwohl gab sich Birk keinen Illusionen hin: „Auch im Maschinenbau wird es zu Personalabbau kommen.“
Wie hoch dieser ausfallen könnte – darauf wollten sich weder Birk noch Kammüller festlegen. Zumal völlige Uneinigkeit über die Perspektiven der Branche herrscht. Manche Unternehmer gehen demnach davon aus, dass es bereits in der zweiten Jahreshälfte wieder bergauf gehen könnte. Andere wagen kaum aufs nächste Jahr zu hoffen. Aktuell jedenfalls hätten schon 17 Prozent der befragten Unternehmen ihre Stammbelegschaft reduziert.
Angesichts der schwierigen Situation fordert der VDMA, Investitionen in Infrastruktur und Bildung zu verstärken. Damit ließe sich die größte Breitenwirkung erzielen. Bewusst grenzten sich die VDMA-Verantwortlichen dabei von der Automobilbranche ab. Das Investitionsklima müsse insgesamt verbessert werden, damit Menschen und Unternehmen „wieder Mut fassen“, sagte Kammüller.
Ins Bild passt da auch der recht schmallippige Kommentar zu möglichen staatlichen Autokaufprämien. Das sei ein „diskussionswürdiges Instrument“, erklärte Birk. Doch sei ein breiterer Hilfsansatz über die Steuerpolitik sinnvoller. Explizit nannte er die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung und die Möglichkeit steuerlicher Verlustrückträge für die Jahre 2017 und 2018. „Das waren zwei starke Jahre im Maschinenbau. Ein Verlustrücktrag würde die Steuerbelastung der Unternehmen verstetigen und die Liquidität schonen.“
Ganz grundsätzlich fanden die VDMA-Verantwortlichen aber lobende Worte für die Krisenpolitik der Regierung. Vor allem die auf zwei Jahre verlängerte Bezugsfrist für Kurzarbeitergeld sei hilfreich. „Die Branche nimmt das auf breiter Front an“, sagte Kammüller. Und auch das am Dienstag vom Kabinett in Stuttgart abgesegnete zusätzliche Corona-Angebot für den Mittelstand fand Anklang. Demnach gewährt das landeseigene Förderinstitut L-Bank zusätzlich zu dem bestehenden Liquiditätskredit von bis zu fünf Millionen Euro einen Tilgungszuschuss von bis zu zehn Prozent oder maximal 300 000 Euro.
Das Programm soll die CoronaKredite der KfW ergänzen und Förderlücken schließen. „Der Tilgungszuschuss wirkt wie Eigenkapital. Damit tragen wir dazu bei, dass mittelständische Unternehmen ihre Struktur auch während des coronabedingten Stillstandes aufrechterhalten und nach der Krise rasch wieder agieren können“, erklärte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).
Kammüller zufolge will der größte Teil der Maschinen- und Anlagenbauer im Südwesten die Krise aber aus eigener Kraft durchstehen. Hoffnungen macht ihm die Tatsache, dass viele Projekte nicht abgesagt. sondern nur aufgeschoben sind. Jetzt komme es darauf an, dass der Markt schnell wieder anspringt. Damit es nicht so schlimm wird, wie es ist.