Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Zahl der fettleibigen Kinder nimmt stark zu
Ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel sind die Hauptgründe
KREIS RAVENSBURG (sz) - Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die unter extremem Übergewicht leiden, habe von 2009 auf 2019 bundesweit um rund ein Viertel zugenommen (24 Prozent), das teilt die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) mit Sitz in Ravensburg mit. Damit hätten mehr als 11 000 KKH-Versicherte bis 18 Jahre die Diagnose Adipositas erhalten, wie eine aktuelle Datenerhebung der KKH zeige. Im Geschlechtervergleich sei die Entwicklung vor allem bei den Jungen alarmierend. So läge der Anstieg zum Beispiel bei den 15- bis 18Jährigen dreieinhalbmal so hoch wie bei den gleichaltrigen Mädchen (35 zu 10 Prozent). Bei den sechs- bis zehnjährigen Jungen sei die Steigerungsrate mit 32 Prozent ähnlich hoch.
„Wir beobachten diese Entwicklung voller Sorge“, sagt KKH-Ernährungswissenschaftlerin Anja Luci. „Denn jeder Heranwachsende, der fettleibig ist, hat ein hohes Risiko, spätestens als Erwachsener zu erkranken.“Hinzu komme eine geringere Lebenserwartung vergleichbar der von Rauchern.
„Falsche, das heißt fett- und kalorienreiche Ernährung ist eine der
Hauptursachen für Übergewicht bei Kindern“, erklärt Luci.W ährend der Corona-Krise habe sich das Problem der Fehlernährung in etlichen Familien noch verschärft. Zwischen Homeschooling, Homeoffice und Kinderbetreuung blieb Eltern wenig Zeit für gesundes Kochen, sodass oftmals Tiefkühlgerichte oder die Pizza vom Bringdienst auf dem Teller landeten.
Ursacheherd Nummer 2 dafür, dass immer mehr Kinder deutlich zu viele Kilos auf die Waage bringen: Bewegungsmangel. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bewegten sich mehr als 80 Prozent der schulpflichtigen Kinder zu wenig. 60 Minuten täglich – moderat bis anstrengend – sollten es sein, neben Sport auch Alltagsaktivitäten. Doch das schafft nur eine Minderheit. „Die heutige Lebenswelt von Kindern fördert Inaktivität“, so Anja Luci. „Sie werden von ihren Eltern häufig mit dem Auto zur Schule gefahren, sitzen viel im Unterricht sowie auch daheim bei den Schulaufgaben.“Auch die stundenlange Nutzung von Smartphone und PC trage zum Übergewicht bei.
Bei der Wahl der Therapie komme es auf drei Säulen an, um Fettleibigkeit in den Griff zu bekommen: eine gezielte Ernährungsumstellung auf fettreduzierte, vitaminreiche Vollwertkost, weiter regelmäßigen Kraft- und Ausdauersport und ein Verhaltenstraining. „Den Lebensstil grundlegend zu verändern, ist ein Kraftakt, der Kindern wie Eltern viel Geduld und Durchhaltevermögen abverlangt. Doch nur so kann der Teufelskreis durchbrochen, die Gesundheit stabilisiert und die Lebensqualität dauerhaft erhöht werden“, ist Anja Luci überzeugt.